© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/01 28. September 2001

 
Für einen Balkan ohne Grenzen
Interview: Der mazedonische Botschafter Goran Rafajlovski über den Friedensprozeß in seinem Land / Ökonomische Gründe für die Krise in der Region
Jörg Fischer

Herr Botschafter, am 26. September soll die Entwaffnung der albanischen UÇK-Kämpfer beendet werden. Was hat diese Aktion, an der auch Bundeswehrsoldaten beteiligt waren, für Ihr Land gebracht?

Rafajlovski: Nach Ansicht unserer Regierung war es eine rein symbolische Handlung, denn weder die Quantität noch die Qualität der „eingesammelten“ Waffen entspricht der rauen Wirklichkeit in Mazedonien. Aber auch die Nato- und EU-Beauftragten sehen es vor allem als Zeichen des „guten Willens“. Was die Entwaffnungsaktion gebracht hat, wird die Zukunft zeigen. Entscheidend ist, daß es eine friedliche Lösung der Konflikte gibt. Bis Anfang diesen Jahres hatten wir in Mazedonien wirklich entspannte inter-ethnische Beziehungen zwischen den Volksgruppen. Doch am 21. Januar 2001 beschossen Terroristen, die sich als Angehörige der UÇK bezeichneten, mit Raketen einen Ort bei Tearce, im nordwestlichen Teil Mazedoniens, an der Grenze zum Kosovo. Bei dem Angriff wurde ein Polizist getötet. Drei weitere Menschen wurden verletzt. Danach folgten weitere Gewalttaten. Noch im April unterzeichnete Mazedonien mit der EU ein Assoziierungs- und Stabilitätsabkommen. Mit dem Vertrag wird unser Land stärker an die EU gebunden, weil wir in den vergangenen zehn Jahren sehr entscheidende wirtschaftliche und institutionelle Reformen vorgenommen haben. Wir waren auf einem guten Weg, der aber leider gewaltsam unterbrochen wurde.

Ihr Staatspräsident Boris Trajkovski hat die Nato am vergangenen Mittwoch bereits um eine neue Mission nach der Entwaffnung der UÇK-Rebellen gebeten. Bedeutet das jetzt auch für Deutschland, daß längerfristig die Soldaten in Mazedonien stationiert werden?

Rafajlovski: Ja, wir brauchen zusätzliche ausländische Hilfe. Nach Ansicht unserer Regierung reicht die Stärke unserer Sicherheitskräfte aus, um das ganze Territorium Mazedoniens zu kontrollieren. Aber wir brauchen nach dem 26. September die Unterstützung von der Nato und der OSZE, um die Grenze zwischen Mazedonien und dem Kosovo - also Serbien - zu kontrollieren. Unsere Sicherheitskräfte brauchen diese Unterstützung auch, um die volle Souveränität über unser Land zurückzugewinnen.

Durch die Terroranschläge in den USA werden in der Nato neue Prioritäten gesetzt werden. Befürchten Sie, daß der Konflikt in Ihrem Land dadurch weniger Aufmerksamkeit erhält?

Rafajlovski: Das mazedonische Volk trauert zusammen mit dem amerikanischen Volk um die Opfer. Terrorismus ist nicht auf eine spezielle Nationalität oder Religion beschränkt, Terrorismus ist ein globales Übel. Dieser Anschlag war nicht nur ein Anschlag auf die USA, sondern auf die Menschlichkeit und die Demokratie. Auch wir haben in den vergangenen Monaten schlimme Erfahrungen mit terroristischen Attacken machen müssen - obwohl es Gespräche über mehr Recht und Freiheit für die albanische Minderheit in Mazedonien gab. Die Terroristen auf den Bergen haben bewaffneten Druck auf die Politiker ausgeübt, um bestimmte Entscheidungen zu erzwingen - leider mit Erfolg. Doch dann fragt man sich, was für eine Demokratie wollen wir künftig in Mazedonien haben? Werden Entscheidungen unter terroristischem Druck eine Ausnahme bleiben?

Mazedonien war eine Teilrepublik von Jugoslawien. Aber im Gegensatz zu Slowenien, Kroatien und Bosnien verlief der mazedonische Unabhängigkeitsprozeß zunächst friedlich. Nun ist die Gewalt auch in Ihrem Land präsent, vielen geht es schlechter als in jugoslawischen Zeiten. Sind das die einzigen Gründe für die aufkommende „Jugo-Nostalgie“?

Rafajlovski: Nach Slowenien und Kroatien waren wir das dritte Land im ehemaligen Jugoslawien, das sehr deutlich und klar sagte: Wir wollen die Unabhängigkeit. Am 8. September 1991 haben sich in einem Referendum 74 Prozent für die Unabhängigkeit entschieden. Am 19. November konstituierte sich die Republik Mazedonien, 1993 wurden wir UN-Mitglied. Wenn es „Jugo-Nostalgie“ gibt, dann besonders bei den älteren Menschen, die in Jugoslawien groß geworden sind. Sie waren gewöhnt an Tito und die sozialistisch-kommunistische Gesellschaft. Aber das ist keine politische Gesellschafts-Nostalgie, sondern vor allem eine Nostalgie für die Zeit als man jung war. Die jüngeren Leute, die jetzt dreißig sind, die sind für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.

Warum kommt die Gewalt mit zehnjähriger „Verspätung” nach Mazedonien?

Rafajlovski: Wir haben uns in Mazedonien für die Bildung einer bürgerlichen Gesellschaft entschieden, auf der Grundlage der territorialen Integrität und Souveränität des Landes. Der einzelne Bürger, egal welcher Volksgruppe er angehört, soll Träger dieses demokratischen Prozesses sein. In unserer Regierung gibt es Minister mazedonischer und albanischer Nationalität. Im Parlament sind die Minderheiten proportional vertreten, auch an den Universitäten und Schulen. Doch ein Teil der albanischen Minderheit will vor allem die Minderheitenrechte ausweiten - mit Gewalt und Unterstützung aus dem Ausland, speziell dem Kosovo. Das ist der Hauptgrund für die momentane Krise in Mazedonien.

Die Mazedonier sind sehr stolz auf ihren Nationalstaat, der in den letzten zehn Jahren geschaffen wurde. OSZE und EU unterstützen die albanische Forderung nach mehr Minderheitenrechten. Besteht da nicht die Gefahr, daß ein mazedonisch-albanischer Doppelstaat geschaffen wird? Ihr „französisches Staatsverständnis“ steht dem „belgischen Modell“ gegenüber, wo Wallonen und Flamen nur noch durch den König zusammengehalten werden. Kann der Wunsch nach mehr Autonomie Ihren Staat gefährden?

Rafajlovski: Nach der Ohrid-Friedensvereinbarung haben sich die vier größten Parteien in Mazedonien u.a. dafür entschieden, daß die albanische Sprache eine in der Verfassung offiziell anerkannte Sprache werden soll. Die Bildung einer albanischen Polizei hingegen kann ein gefährlicher Schritt sein, der zu Spannungen führt. Einige Politiker bei uns sehen die Schweiz als Vorbild für Mazedonien. Sie können jedoch in der Schweiz keinen Kilometer Straße bauen ohne ein zusätzliches Referendum. Zur Zeit haben wir eine ganz andere Situation in Mazedonien. Es soll ein Referendum über die Verfassungsveränderungen zugunsten der albanischen Minderheit geben. Dadurch wird sich Mazedonien in den nächsten zwei, drei Monaten in einem Machtvakuum befinden. Über den Zeitpunkt des Referendums selbst entscheidet das Parlament, da wir nicht wollen, daß nur eine momentane Stimmung im Land entscheidet.

Welche Vorstellungen haben Sie von der Zukunft Ihrer Region?

Rafajlovski: Die wahrscheinlich beste Lösung für alle Probleme auf dem Balkan wäre ein Balkan ohne Grenzen, der Balkan ein Teil der EU. Würden Sie heute ein Referendum in Mazedonien abhalten, bekämen Sie bestimmt fast 100 Prozent Zustimmung für einen Beitritt zur EU. Wenn Sie hingegen ein Referendum in Slowenien oder Tschechien abhalten, dann bekommen Sie viel weniger. Je ärmer ein Land ist, desto eher sind die Menschen davon überzeugt, daß die EU ein Wunder für die eigene Wirtschaft bedeuten würde. Doch neben Demokratie und stabilen politischen Verhältnissen ist die wirtschaftliche Entwicklung der Schlüssel zur Lösung der Probleme in Mazedonien und auf dem gesamten Balkan. Unser historisch begründeter Sprachkonflikt mit Bulgarien (Ost-Mazedonien war von 1941 bis 1945 Teil von Bulgarien) ist mittlerweile beigelegt worden. Die größte mazedonische Bank gehört jetzt Griechenland. Über diese ökonomische Zusammenarbeit lassen sich Konflikte auch beseitigen. Während des Krieges erhielten wir übrigens die größte Unterstützung von Griechenland. Die regionale Zusammenarbeit ist enorm wichtig. Wenn wir nicht einmal mit zwei oder drei Ländern zusammenarbeiten können, wie können wir dann mit über 20 bis 30 Ländern in der EU zusammenarbeiten? Die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen Griechenland funktioniert wunderbar. Ich denke, in ein paar Jahren sind auch die letzten Hindernisse überwunden.

Spielt dabei auch der gemeinsame christlich-orthodoxe Glaube eine Rolle?

Rafajlovski: Die gemeinsame Religion der christlich-orthodoxen Kirche bringt sicher Vorteile, da es auch das Verständnis untereinander fördert.

Ist der Konflikt mit den Albanern auch religiös begründet?

Rafajlovski: In der Republik Albanien selbst gibt es immerhin 30 Prozent Christen, doch die Albaner in Mazedonien sind zu beinahe 100 Prozent muslimisch und leider in Teilen dazu noch radikal. Ich glaube aber nicht, daß man von einem Kampf zwischen Islam und der westlichen Welt sprechen kann. Auch mit Hinblick auf die Ereignisse in Amerika denke ich, man muß auch bei uns eher von verrückten Terroristen ausgehen. Nehmen Sie etwa Irland: Die haben die gleiche Sprache, Kultur und gehören der christlichen Religion an, und trotzdem herrscht dort Bürgerkrieg. Man kann schwer über dieses Thema sprechen. Es gibt hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch, nicht wie in der Mathematik. Das Problem ist die Identifizierung der Hauptgründe oder der Ziele bzw. Interessen in diesem Konflikt. Kennen wir diese, so können wir recht schnell eine Lösung finden. Hauptsächlich sehe ich ökonomische Gründe, die hier eine Rolle spielen.

Mazedonien gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Sind Sie enttäuscht, wenn sie sehen, wie wenig Hilfe Sie vom Westen erhalten haben?

Rafajlovski: Die Hauptvorbedingung für eine Verbesserung der Situation in Mazedonien ist eine erfolgreiche Wirtschaft. Wir brauchen nicht virtuelle Geberkonferenzen, sondern konkrete Hilfe im kleinen, an verschiedenen Orten im Lande. Aber für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung braucht man auch eine stabile politische Lage. Vor allem die Privatinvestitionen kommen nur, wenn sicherer Gewinn in Aussicht steht. Die Frage, die uns beschäftigt, ist, wie unser Land soviel Sicherheit bieten kann, daß die Wirtschaft in Gang kommen kann. Es sind vor allem legislative und infrastrukturelle Probleme, die uns behindern. Die wirklich schlechte Infrastruktur und das niedrige Bruttoinlandsprodukt, die überkommenen sozialistischen Strukturen behindern uns. In fünf Jahren läßt sich da nicht sehr viel erreichen. Wir brauchen noch ein wenig Zeit, aber auch politische und wirtschaftliche Unterstützung - für den ganzen Balkan. Sie müssen uns helfen. Sie sollten uns helfen. Denn wir sind ein Teil Europas und nur 500 Kilometer vom Zentrum Europas entfernt. Wir sind nur zwei Millionen Menschen, so daß die EU keine Angst vor uns haben muß.

Wann erwarten Sie wieder die ersten Touristen in Ihrem Land?

Rafajlovski: Schon jetzt. Im größten Teil unseres Landes ist es friedlich. In den Gebieten, die an Bulgarien und Griechenland grenzen, ist kein einziger Schuß gefallen. Jörg Fischer

 

Goran Rafajlovski: Der 38jährige stammt aus Skopje und studierte Elektrotechnik. Im Rahmen seiner Promotion war er an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Kaiserslautern tätig. Seit Juni ist er mazedonischer Botschafter in Berlin.

 

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