© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Zurück in die Finsternis
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Am Tag nach der Zerstörung des World Trade Center lief in deutschen Kinos der US-Film „Apocalypse Now Redux“
Götz Kubitschek

Am Tag nach der Zerstörung des World Trade Center war Amerika von seiner dreckigsten Seite zu sehen: Hubschrauber einer Luftlandebrigade radierten ein Dorf zu den Klängen klassischer Musik aus, wobei die Bordschützen hinter ihren schweren Gettling-Guns neben den Flaksoldaten des Gegners auch jeden fliehenden Zivilisten niedermähten, der ihnen vor die Flinte lief. Napalmbomber legten einen Feuerteppich über den Wald, durch den zu entkommen der Rest des Dorfes unterwegs war. Keine dreckige, stinkende Schlitzaugenleiche würde übrigbleiben. Zitat Robert Duvall als Colonel Kilgore: „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen“, den sauberen Geruch, der an Waschbenzin erinnert, an porentiefe Reinigung, an chirurgische Aktionen, die den unvermeidlichen Begleitschäden gleich mit aus dem Gesichts- und Geruchsfeld dampfen. Dreckiges Amerika.

In Deutschland liefen am Tag nach den Anschlägen die Pressevorführungen zu „Apocalypse Now Redux“ an. Im Foyer eines Kinos diskutierten einige Filmkritiker darüber, ob das angesichts der Ereignisse angemessen sei: konsequenzlose Betroffenheit, gepaart mit Worthülsen von Wut und Trauer und getragen von dem Gefühl, doch Amerikaner zu sein. Die Gespräche drehen sich um Streifen, die man schon sah und die vielleicht Einordnungsmuster für das eben im Fernsehen geschaute abgeben könnten. In aller Munde ist „Independence Day“, die Schlacht der Menschen gegen die kaltblütigen Zerstörer aus dem All. Das Erdenrund schart sich hinter Amerika und findet über die Verteidigungsschlacht zum Weltstaat. „Pearl Harbor“ wird bemüht, als Sinnbild für einen feigen Überfall auf das friedliebende Amerika. Spätestens eine solche Wertung zeigt, daß die Gleichschaltung des Vokabulars beinahe aller Journalisten und Politiker, die über die Terrorakte in New York und Washington zu berichten haben, Sorgen bereiten sollte.

Für die Rückgewinnung der Sehschärfe läuft „Apocalypse Now Redux“ da zum richtigen Zeitpunkt in den Kinos an. „Apocalypse Now“ ist ein Film über eine vielschichtige Reise ins „Herz der Finsternis“. Nach dieser Erzählung Joseph Conrads hat der Regisseur Francis Ford Coppola sein Drehbuch verfaßt. Die Handlung ist vom Kongo nach Vietnam verlagert, die zentrale Gestalt Kurtz ist nicht mehr Leiter einer Handelsniederlassung, sondern amerikanischer Oberst. Captain Willard (US-Army, Green Berets) erhält während des Vietnamkrieges den Auftrag, den vermeintlich übergeschnappten Colonel Kurtz aufzuspüren und zu töten.

Die bunt zusammengewürfelte Besatzung eines Patrouillenbootes bringt Willard weiter und immer weiter flußaufwärts, über die Grenze Vietnams nach Kambodscha hinein. Die Begegnungen mit den Stützpunkten der Amerikaner entlang des Flusses werden immer grotesker, unwirklicher, auch unzweckmäßiger in einem Land, das fremder und fremder neben dem Patrouillenboot abfließt. Auch innerlich reist Captain Willard ins „Herz der Finsternis“. Er versucht, Kurtz zu verstehen, der - so entnimmt er seinen Unterlagen - mittels eines grausamen Regimes seine Region kontrolliert und sich dabei längst von der Armee abgekoppelt hat.

Francis Ford Coppola hat 22 Jahre nach der Premiere eine überarbeitete und deutlich verlängerte Version seines Meisterwerkes vorgelegt. „Redux“ meint: zurück zu den Anfängen. Coppola hatte 1979 Zugeständnisse an den Geschmack des Massenpublikums gemacht, zumal schwierige Dreharbeiten und eine chaotische Planung „Apocalypse Now“ zu einem nicht mehr kalkulierbaren finanziellen Risiko gemacht hatten. Der Film wurde in der zurechtgeschnittenen Version ein grandioser Erfolg. Die ursprünglich geplante Fassung, die nun vorliegt, übertrifft die Erstversion nochmals, weil sie künstlerisch schlüssiger ist. Einige Episoden sind ausgebaut, das macht die Entwicklung Willards und die seiner inneren und äußeren Fahrt immer besser nachvollziehbar. Neu ist unmittelbar vor der Ankunft bei Kurtz eine Ruheschleife auf dem Kolonialsitz einer französischen Familie, die ihren antiquierten Lebensstil gegen den Einbruch der Materialschlacht verteidigt - die Groteske vor dem Eintritt in das Grauen. Was findet Willard? Einen Colonel Kurtz, der sich dazu zwingt, das Grauen des Krieges auszuhalten: der Tod wird nicht mehr von hoch oben mittels Bomben anonymen Feinden gespendet, sondern über die Machete direkt in den Nacken des Opfers. Leichenteile, Köpfe auf Stangen, gefolterte Körper umgeben den buddhistischen Tempel, in dem Kurtz haust. Hier hat kein Napalm die Stufen saubergebrannt.

Die Quintessenz aus solchen Bildern und Folgerungen ist auch ein Redux, ein Zurück zum Ausgangspunkt: Wenn demnächst der Arm eines Afghanen vom Rumpf gerissen und durch die Luft geschleudert wird, ist das nicht weniger schmerzhaft und endgültig als der Arm, der einem New Yorker Polizisten am 11. September auf die Motorhaube fiel. Die Supermacht USA beansprucht eben für sich das alleinige Recht, darüber zu entscheiden, wessen Arme fliegen. Und die Propaganda wird es vom Gemüt der offenen Gesellschaft ein wenig fortrücken. Kurtz ist nicht häufig.


 
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