© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/01 21. September 2001

 
Kolumne
Uneingeschränkt
Heinrich Lummer

Kein Zweifel: Der 11. September hat die Welt verändert. Noch sind die Folgen nur teilweise sichtbar. Amerika ist im Kern getroffen. Die ganze Sorge um ein Anti-Raketen-Projekt galt der Unverwundbarkeit des Landes. Nie hat es einen von außen herangetragenen Krieg in Amerika gegeben. Und nun die Verwundung an den empfindlichsten Stellen: den Symbolen des Welthandels und der Selbstverteidigung. Das schmerzt und fordert Vergeltung.

Man mag es Krieg nennen. Aber es ist ein Krieg, den wir nicht kannten. Niemand kann dem Feind ins Auge sehen. Darum ist das Strafen so schwer. Ob es ganz sicher bin Laden war, ist schon zweitrangig. Er hat so viel auf dem Gewissen, daß fast alle froh wären, wenn man ihn treffen könnte. Und wenn es nach einer gezielten Aktion die Taliban-Führung nicht mehr gäbe, würde sich gewiß auch die Mehrheit der Muslime in der Welt dankbar zeigen. Dennoch: So gewiß nicht alle Menschen Terroristen sind, sind doch fast alle Selbstmord-Terroristen Muslime. Wenn es nicht ein Krieg der Kulturen ist, so verlaufen doch die Konfliktlinien entlang der kulturellen Grenzen.

Damit werden nicht zuletzt die Grenzen der Globalisierung aufgezeigt. Globalisierung kann es wirklich global nur geben, wenn es ein gemeinsames Weltethos gibt. Aber das Verständnis der Menschenrechte ist unterschiedlich in den verschiedenen Kulturen. Darum geht es nicht nur um einen Waffengang, der uns bevorsteht, sondern auch um einen geistigen Kampf, den man annehmen muß.

„Uneingeschränkte“ Solidarität, wie der Bundeskanzler versprach, wird nicht nur ein Wort bleiben. Es kann schmerzliche Folgen haben, zu denen wir stehen müssen, weil wir alle betroffen sind, obwohl nur Amerika ins Herz getroffen wurde. Aber die Medaille hat noch eine andere Seite: Warum ist die USA als Weltmacht Nummer eins zum verhaßten Ziel höllischer Gewalt geworden? Wer in der Welt ordnungsstiftend wirkt, kann sich nicht nur Freunde schaffen. Aber er muß um Gerechtigkeit bemüht sein. Er darf nicht von Demokratie reden, wenn er Öl meint. Er darf nicht ständig sein Veto nutzen, um das Völkerrecht verletzende Israel bei der UN vor negativen Resolutionen zu bewahren. Und er darf nicht dauernd das korrupte und undemokratische Saudi-Arabien schonen, während Syrien und Iran zu Schurken erklärt werden. Auch diese Seite der Medaille gibt es. Nur wenn sie beachtet wird, kann der Terrorismus politisch isoliert werden. Aber auch diese Erkenntnis darf uns nicht davon abhalten, „uneingeschränkt“ solidarisch mit den Vereinigten Staaten zu sein.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a.D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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