© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
„Versöhnung wächst aus Vertrauen“
Armenien I: Abt Paulus Kodjanian über die Zukunft seines Landes
Alexander Barti

Pater Paulus Kodjanian, Ihr Orden wurde durch die Wirren der Zeit nach Wien verschlagen.Wie eng sind die Verbindungen zum Mutterland Armenien?

Kodjanian: Mit dem Staat Armenien haben wir lange Zeit keine offiziellen Verbindungen gehabt. Während der siebzigjährigen Herrschaft des Kommunismus in Armenien gab es keine offiziellen Kontakte, aber da die Mechitaristische Kongregation viel für die armenische Kultur getan hat, wurden unserer Kontakte geduldet. Wir haben sehr gute Verbindungen mit den kulturellen Einrichtungen in Armenien gehabt.

Armenien ist von islamischen Staaten umgeben. Wie stark fühlt es sich von seinen Nachbarn bedroht?

Kodjanian: Lange Zeit ist Armenien von nichtchristlichen Ländern umgeben und beherrscht worden. Damals haben wir viel leiden müssen. Jetzt ist die Situation anders. Der Iran zum Beispiel ist zwar ein islamischer Staat, hat aber zu Armenien eine gute Beziehung. Ich würde sogar sagen, daß der Iran der einzige Nachbarstaat ist, der gute Beziehungen zu uns hat. Anders ist die Lage mit der Türkei und Aserbaidschan.

Wie ist das türkisch-armenische Verhältnis?

Kodjanian: Wenn man von Türken spricht, muß man unterscheiden, denn die Aserbaidschaner sind auch Türken. Die Auseinandersetzung mit Aserbaidschan um das autonome Gebiet Berg-Karabach ist aktuell, das Problem mit den Türken liegt vor allem in der Vergangenheit.

In der türkisch-armenischen Vergangenheit gibt es den dunklen Flecken des Genozids von 1915. Ist das inzwischen ein Thema in Armenien?

Kodjanian: Ja, natürlich, denn das war ein schreckliches Verbrechen gegen unsere Nation. Nicht nur ein Genozid im „gewöhnlichen Sinne“: wären wir ein Volk von dreißig oder vierzig Millionen, dann hätte man zwei Millionen Ermordete verkraften können. Die Armenier waren damals auf der ganzen Welt etwa drei Millionen, und über zwei Millionen waren im Osmanischen Reich, und von denen wurden 1,5 Millionen umgebracht. Der Rest wurde vertrieben. Es ging also um die Vernichtung einer ganzen Nation. Wäre das Genozid damals nicht geschehen, dann wären wir heute vielleicht über 20 Millionen. Offiziell gab es vor zehn Jahren in Armenien 3,7 Millionen Einwohner, aber seitdem sind schon eine Million ausgewandert. Vor dreißig Jahren gab es eine große armenische Kolonie im Libanon, aber mit dem Bürgerkrieg hat sich auch diese Gruppe zerstreut. Man spricht von „Versöhnung“ zwischen den Armeniern und der Türkei. Als Christen begrüßen wir das natürlich, aber Versöhnung ist eine Vertrauensfrage. Wenn ein so großes Verbrechen, das hundertprozentig historisch verbürgt ist, bis jetzt von der türkischen Regierung nicht anerkannt wird, sie sogar behaupten, die Armenier hätten die Türken ermordet, wie kann da Vertrauen entstehen? Man kann doch nur mit einem eine Freundschaft eingehen, der guten Willens ist. Das ist das Problem. Im übrigen gibt es eine türkisch-armenische Versöhnungskommission in Amerika, aber ich bin skeptisch, ob das Vertrauen so hergestellt werden kann.

Am 21. September feiert Armenien den 10. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Wie ist die Lage in Armenien? Gibt es einen wirtschaftlichen Aufschwung, oder kämpft das Land mit den gleichen Problemen wie etwa die Ukraine?

Kodjanian: Die Lage ist vielleicht noch schlechter als in der Ukraine. Armenien ist nicht nur ein armes Land, sondern wird auch noch von Westen (Türkei) und Osten (Aserbaidschan) blockiert. Im Norden ist Georgien, damit gibt es zwar keine großen Probleme, aber dort herrscht noch Anarchie, so daß die Wege unsicher sind. Einzig mit dem Iran gibt es gute wirtschaftliche Beziehungen. Das Volk hat keine Persepektive, es gibt keine Arbeit, der Monatslohn beträgt etwa fünfzehn bis zwanzig US-Dollar.

Armenien ist der älteste christliche Staat und feiert in diesem Jahr auch 1.700 Jahre Christentum. Kann das Volk aus dem Glauben Kraft schöpfen, oder herrscht eine ähnliche Glaubenskrise wie in der westlichen Welt?

Kodjanian: In den siebzig Jahren Kommunismus wurde die Religion schrecklich unterdrückt, vielleicht mehr als in anderen Saaten. Die Kirchen waren geschlossen oder zweckentfremdet. Es gab keine Priester. Erst im Zweiten Weltkrieg hat Stalin Priester zugelassen, um das Volk für sich zu gewinnen. Die armenisch-apostolische Kirche wurde damals als Nationalkirche anerkannt, aber nicht die armenisch-katholische Kirche.

Könnten Sie bitte kurz den Unterschied zwischen beiden Kirchen erläutern?

Kodjanian: In Glaubensfragen ist alles gleich, es gibt einen Unterschied im Ausdruck über die zwei Naturen Christi - daß er sowohl Mensch als auch Gott war, glauben beide Kirchen. Ein weiterer Unterschied ist, daß das Primat des Papstes von der armenisch-apostolischen Kirche nicht anerkannt wird. Das ist der wirklich entscheidende Unterschied.

In zwei Wochen, vom 25. bis 27. September, kommt auch Johannes Paul II. nach Armenien. Was erwarten Sie von diesem Besuch?

Kodjanian: Das ist eine Freude und Ehre für die ganze Nation. Aber leider ist der Papst schwer krank. Im Juli haben wir ihn besucht und gesehen, wie krank er ist. Man muß sehen, was er dort tun kann.

 

Vor 300 Jahren wurden die „armenischen Benediktiner“ gegründet. Benannt sind sie nach ihrem ersten Abt, Mechitar, der 1676 in Sebaste (heute Siwas in der Türkei) geboren wurde. Auf der Flucht vor den Türken landeten die Mönche schließlich auf der Insel San Lazzaro vor Venedig. Dort starb Mechitar im Jahre 1749. Jahre später, 1773, spaltete sich der Orden. Von Napoleon nachmals vertrieben, landeten die Mechitaren schließlich 1810 in Wien.

Paulus Kodjanian wurde 1938 in einem Dorf am Musa Dagh geboren. 1939 wurde er mit anderen Armeniern in den Libanon deportiert. Bereits 1950 trat er in das Wiener Mechitaristenkloster ein. 1992 wurde er als Nachfolger von Gregorius Manian zum Generalabt der Wiener Mechitaristen-Kongregation gewählt. Im Jahr 2000 wurde beschlossen, die seit 1773 bestehende Trennung des Ordens zu überwinden. Aus diesem Grund traten die Oberen von Wien und Venedig zurück. Neuer Generalabt des gesamten Ordens wurde Elia Kilaghbian. Er residiert in Venedig.

 

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