© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/01 14. September 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Ein Kandidat vor dem Abstieg
Carl Gustaf Ströhm

Auf einer Botschaftskonferenz konnten deutsche Diploma-ten eine ungewöhnliche Verbrüderungsszene erleben: Polens eloquenter und perfekt Deutsch sprechender Außenminister Wladislaw Bartoszewski und sein Amtskollege Joseph Fischer lagen einander - zumindest bildlich - in den Armen. Der konservative, antikommunistische und katholische Pole versuchte gar, eine biographische Gemeinsamkeit mit dem früheren Frankfurter Revoluzzer zu konstruieren, der jetzt zum Nachfolger Bismarcks mutierte: Sie hätten beide eine rebellische Vergangenheit.

Natürlich ist der 79jährige Pole klug genug, um diese Pseudogemeinsamkeit als Windei zu durchschauen. Aber die Polen müssen mit dem deutschen Partner zurechtkommen. Ist es vom Warschauer Standpunkt nicht günstiger, einen linken deutschen Außenminister zu haben, der außenpolitisches Handeln (etwa bei der Anti-Rassismus-Konferenz in Durban) als permanente Bußübung versteht?

Obwohl Bartoszewski in seinem Vortrag ein optimistisches Bild von Polen als künftigem EU-Mitglied malte, pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß sich der bisherige „Musterknabe“ von der Weichsel in ein Sorgenkind Europas verwandelt hat. Zwei Wochen vor den Wahlen befindet sich das Land in einer schweren Finanzkrise. Die konservative Regierung von Premier Jerzy Buzek - die den Wahltag nicht überleben dürfte - verlor inzwischen ihren Finanzminister Jaroslaw Bauc, weil er für 2002 ein Haushaltsdefizit von 50 Milliarden Mark ankündigte. Buzek sprach von einer dramatischen Situation der öffentlichen Finanzen. Westliche Finanzexperten sehen bereits voraus, daß Polen es womöglich nicht schaffen werde, sein Etatdefizit und seine Leistungsbilanz gemäß EU-Erfordernissen in den Griff zu bekommen. Die Londoner Economist Intelligence Unit stufte Polen neuerdings negativer ein als die krisengeschüttelte Türkei oder das darbende Argentinien.

Aus Brüssel hört man, Polen sei in den EU-Beitrittsverhandlungen weit zurückgefallen. Zwar macht EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen (SPD) noch immer in offizieller Schönfärberei. Aber schon wird in den Brüsseler Kulissen die Frage laut, ob Polen in der ersten Gruppe der EU-Kandidaten bleiben könne. Polen könnte sogar den Beitritt der anderen, besser plazierten Kandidaten - wie etwa Ungarn, Estland und Slowenien - verzögern und damit eine Kettenreaktion auslösen.

Die gegenwärtige polnische Regierung hat sich nicht getraut, ein Sanierungsprogramm durchzuziehen, welches als Voraussetzung für den EU-Beitritt gilt. Niemand weiß, was mit den polnischen Kleinbauern geschehen soll, die in der EU vom Markt gefegt würden. Praktisch müßte Polen eine ökonomische Roßkur durchlaufen. Diese wiederum müßte jeder Regierung, die das anordnet, auf den Kopf fallen. Die EU hält für die kommende Warschauer Regierung ein „bewährtes“ Hausmittel parat: Man werde, so heißt es, einfach „Druck“ auf die dann voraussichtlich linksgerichtete Warschauer Regierung erhöhen, frei nach dem Motto: „Friß, Vogel, oder stirb“. Wenn Polen dann nicht nachgebe, werde es aus der ersten Kategorie der Kandidaten gestrichen und auf die Wartebank strafversetzt. Das aber könnte die gesamte Osterweiterung ins Stocken bringen.

Der Fall Polen zeigt, auf welchem unsicheren Gelände sich die EU nach der Osterweiterung bewegen wird. Ob es klug ist, politische und ökonomische Ziele durch Druck und Drohungen zu erreichen, ist zumindest fraglich. Am Ende werden womöglich die Deutschen zur Kasse gebeten. Aber daran haben letztere sich ja gewöhnt.


 
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