© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001


Funkausstellung: Rundreise durch die teure Technik-Welt
Ein Rechner als treuer Gefährte
Erol Stern

Da war ich nun nach Jahren der Abstinenz wieder einmal auf der IFA. Natürlich erntete ich allgemeines Kopfschütteln, weil ich meinen Besuch auf einen Sonntag bei über 30 Grad gelegt hatte. Es begann alles ganz harmlos mit einem Anruf eines geschätzten Kollegen, der mir vorschlug, mal etwas Größeres zu schreiben. Bei der Parkplatzsuche bereute ich diesen Entschluß schon fast wieder, denn in diesem Punkt hat unser Messegelände alles andere als Weltstadtniveau, und der sogenannte Shuttle-Service dient auch eher als Alibi; Sympathiepunkte gab’s aber für die kostenlosen Velotaxis. Der Eintrittspreis von 25 Mark erschien mir wenig familienfreundlich, und so war die IFA zwar gut besucht, aber wenigstens nicht überlaufen. Dennoch habe ich meiner Freundin vorsorglich einen roten Luftballon an den Rucksack gebunden, das erleichterte das Wiederfinden ungemein! Die Temperaturen waren erträglich - entgegen meinen Erfahrungen wurde mal nicht geheizt, sondern klimatisiert. „Wir machen keine Gefangenen …“, posaunte ich, als wir die erste Halle enterten. Da gab es fulminante Handys (gähn) und eloquente Mobilfunkanbieter (schnarch). Weiter ging’s mit hochinteressanten Satellitenschüsseln, megamäßigen Internetprovidern und einschläfernden Tanzdarbietungen. Und Fernseher, soweit das Auge blickt.

Spätestens an dieser Stelle sollte ich mich dazu bekennen, daß dieser Bericht äußerst subjektiv ist. Ich halte den hohen Fernsehkonsum der meisten meiner Mitmenschen für intellektuellen Selbstmord auf Raten. Der Großteil der Wohnzimmer sind um den Fernseher herum gebaut, Bücher sucht man oft vergebens. „Wer nicht liest, ist schlimmer als jemand, der nicht lesen kann“; mahnt der Motivationstrainer Nicolaus B. Enkelmann. Und es stimmt, je ärmer (auch geistig) die Menschen sind, um so größer sind meist deren Fernseher, was nicht heißen soll, daß Fernsehen generell schlecht ist. Aber um wöchentlich „Akte X“, einige Reportagen oder ab und an einen guten Spielfilm (mitunter auch per Video) zu sehen, brauche ich kein Heimkino mit einem Meter Bildröhre und Dolby Surround. Ich attestiere dem Gros der Besitzer solcher Monster außerdem eine gewisse Profilierungsneurose. Die für den Kinosound erforderlichen Lautstärken dürften zudem in den meisten Mietshäusern für einen gewissen Menschenauflauf vor der Wohnungstür sorgen. Von daher ließen mich auch die immer preiswerter und größer werdenden Röhren-, Plasma- und LCD-Fernseher im mondänen 16:9-Format reichlich kalt, die sich ohnehin die wenigsten leisten können. Ein großer Trend ist die Implementierung von Netz- und E-Post-Funktionen in diese Geräte.

Edutainment - „Unterhaltung mit Lerneffekt“ - heißt das Zauberwort, mit dem die Anbieter der geplünderten Haushaltskasse den Ablaßbrief erteilen. Als ultimative Bildungsmaschine sehe ich den PC tatsächlich. Die Digitalisierung ist ohnehin das allgegenwärtige Credo der diesjährigen IFA. Wenn 2010 die analoge Fernsehübertragung den Bits und Bytes weichen muß, wird aller Wahrscheinlichkeit nach „MHP“ bei uns Einzug halten.

Die „Multimedia Home Platform“ ist ein offener, interaktiver Übertragungsstandard. Bereits heute wird die von der EU ratifizierte Norm von über 300 Fernsehsendern, Telekommunikationsunternehmen und Diensteanbietern unterstützt. Aufgrund der offenen Software-Architektur soll MHP dem Besitzer eines Digital-Fernsehers interaktive Leistungen bieten, unabhängig von einem bestimmten Anbieter oder Hersteller. Was genau das sein wird, will jedoch noch niemand konkret sagen. Wie in einer Internet-Kolumne schon einmal erörtert, erleichtert ein digitales Fernsehsignal die Verarbeitung durch den Computer, dessen Rolle im Haushalt sich noch weiter festigen wird.

Auch die IFA-Aussteller propagieren das Verschmelzen der Medien TV, Video, Internet, E-Post, Musik, Radio und Computer, vollziehen dieses jedoch meist nur unvollständig. Vermutlich liegt das daran, daß man jemandem, der zum Beispiel einen neuen Fernseher sucht, etwas vor den Kopf stoßen würde, wenn er sich noch einen neuen PC nebst Peripherie dazukaufen müßte. Zudem bieten die wenigsten Firmen auch die gesamte Palette an - zumindest die Deutschen. Mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet ließe sich beispielsweise bei Sony fast die gesamte nötige Geräteausstattung erwerben. So halte ich einen LCD-Projektor - mit knapp 5.000 noch im bezahlbaren Bereich - für eine praktische Investition, da man einen riesigen PC-Monitor auf der weißen Wand bekommt, der auch Urlaubsfotos und (ich geb’s ja zu) Heimkino bietet. Dazu noch TV- und Radio-Karte und Verstärker mit Boxen, und man spart sich Videorekorder und Stereoanlage, zumal ein DVD-Laufwerk im PC mittlerweile Standard ist. Diese Konfiguration dürfte zumindest zukunftssicherer und vielseitiger sein, als ein High-End-Fernseher (und preiswerter).

Rasante Sprünge verzeichnen auch die Anbieter von digitalen Foto- und Videokameras. Bei sinkenden Preisen und steigender Qualität wird auch die Anbindung an den PC immer leichter. So können Fotos und Filme leichter und verlustfrei geschnitten, kopiert, archiviert oder an Freunde weitergegeben werden. Auf einen CD-Rohling paßt einiges an Filmmaterial und Urlaubsbildern, und sie kostet mit etwa einer Mark wesentlich weniger als eine Videokassette oder Abzüge bzw. Dias. Mit digitalen Videokameras läßt es sich auch immer besser fotografieren. DVD-Rekorder dagegen finde ich hauptsächlich zur Datensicherung sinnvoll, diese rein für Audio- und Videoaufnahmen zu verwenden, ist Geldverschwendung.

Video on Demand (Video auf Abruf) in Verbindung mit Pay per View (nur zahlen, was man sich auch anschaut) wird auch kommen, jedoch fehlt es noch an der Verbreitung der entsprechenden Breitband-Datennetze. Das wird dann aber eine Alternative zum Gang (im Regen) zur Videothek werden. Und zu Pay-TV à la Premiere. Auch sündhaft teure HiFi-Anlagen wurden ausgestellt. Jedoch frage ich mich, ob diejenigen, die sich so etwas leisten können, auch die Zeit haben, es überhaupt zu nutzen!

An jeder Ecke stieß ich auf kleine portable MP3-Spieler, die den guten alten Walkman ersetzen sollen. Als portabler CD-Player mag sich diese Errungenschaft lohnen, wer jedoch ein Gerät auf Basis von Speicherbausteinen favorisiert, sollte mit der Anschaffung doch lieber warten. Hier ist der Preisverfall bei Speicherbausteinen Garant für ein schlechtes Geschäft.

Fazit: Kleines wird kleiner, großes größer. Über viele Neuigkeiten und deren Nutzen oder Sinn ließe sich vortrefflich streiten und nächtelang philosophieren. In jedem Falle sollte man beim Kauf des nächsten Heimelektronikproduktes sorgsam abwägen, ob man das nicht preiswerter und wesentlich vielseitiger über den Computer erreichen kann. Der läßt sich durch neue Betriebssysteme und Ausbau oder Nachrüstung konsequenter an den Fortschritt anpassen. Und früher oder später, schon im Hinblick auf die Steuerung der restlichen Hausgeräte sowie Licht und Heizung, kommt man sowieso kaum um ihn herum. Vermutlich wird es auch nicht mehr lange dauern, und die Internationale Funkausstellung wird sich nach einem neuen Namen umschauen müssen. Wie wäre es mit IFA als InFotainment Ausstellung?

Bis dahin könnte man ja - ganz auf die altmodische Art - ab und an zu einem guten Buch greifen, meinetwegen auch ein E-Buch.


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