© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Goldene Tage des Belcanto
Oper: Rückblick auf das Rossini-Festival in Bad Wildbad
Julia Poser

Vor 145 Jahren suchte der 64jährige Rossini in den heilenden Quellen von Bad Wildbad im Schwarzwald Linderung seiner Gebrechen. Eine Bronzefigur des beliebten Komponisten stifteten die Ärzte des auch heute viel besuchten Kurorts im letzten Jahr. Ein besonders erfreulicher Anblick ist die lebensgroße Statue nicht. Ein von gutem Essen korpulent gewordener alter Mann, notdürftig in ein Badetuch gewickelt, ist im Begriff, ins Bad zu steigen. Wirklich geglückt ist dagegen der Kopf Rossinis, wie man ihn von zahlreichen Gemälden und Fotos kennt.

Auch beim diesjährigen Festival war manches geglückt, anderes weniger gut. Schon im Frühjahr wurde eine Sensation angekündigt: Eine bisher unentdeckte Kostbarkeit aus der Feder des deutschen Komponisten Johann Simon Mayr sollte zur Uraufführung gebracht werden. Mayr (1763-1845), ein Zeitgenosse Rossinis, stammte aus der Ingolstädter Gegend, lebte aber den größten Teil seines Lebens in Bergamo. Berühmt ist er als Lehrer und generöser Förderer Donizettis geworden, weniger durch seine eigenen etwa siebzig Opern, die er zwischen 1794 und 1824 komponiert hat. Nun fanden vor kurzem zwei italienische Musikologen in einem Archiv des Mailänder Konservatoriums die Handschrift einer Oper „Verter“ mit dem Vermerk „von Giovanni Simone Mayr“. Es handelt sich dabei zwar um die erste musikalische Umsetzung von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“, aber mit diesem „Werther“ hat die Oper nur bedingt zu tun. In dieser „Farsa“ (kurze komische Oper) gibt es keinen Selbstmord, sondern ein happy end. Charlotte, die bereits zwei Kinder hat, ist mit Albert, der viel auf Geschäftsreisen ist, verheiratet. In Charlotte ist nicht nur der junge Maler Verter, sondern auch der frömmlerisch verschlagene Hauslehrer Giorgio verliebt. Der zettelt gegen Verter eine Intrige an, wird nach Aufdeckung seiner verleumderischen Motive aus dem Haus gejagt, und zum Schluß singen alle ein Loblied auf Vertrauen, Liebe und Freundschaft.

Nach der Premiere war der Schock groß, als der italienische Musikwissenschaftler Fabbri den beiden Entdeckern in einer Gesprächsrunde bewies, daß sie mehrere Fakten nicht berücksichtigt hätten und „Verter“ nicht von Mayr, sondern von dem fast unbekannten Vinzenso Pucitta (auch Puccita) stammte. Aber ob nun Mayr oder Pucccita der Komponist war, ist eigentlich egal, weil die Musik dieses Werkchens so belanglos am Zuhörer abrieselt.

Deutschen Intendanten scheint bei Rossini meist nur „Der Barbier von Sevilla“ einzufallen. Es ist das große Verdienst von Festspielleiter Schönleber, Rossinis erstes großes Melodrama giocoso „La Pietra del Paragone“ (Der Prüfstein) nach Jahrzehnten ungekürzt und unverstümmelt vorzustellen. Die Uraufführung an der Mailänder Scala 1812 war der bisher größte Erfolg des Zwanzigjährigen. Außerdem wurde er deswegen auch vom Militärdienst und Rußlandfeldzug Napoleons befreit. Denn, sagte Eugène Beauharnais, der Gouverneur Mailands: „Wir verlieren vielleicht einen mittelmäßigen Soldaten, erhalten der Nation jedoch mit Gewißheit ein Genie.“

Die Wildbader Aufführung bewies, daß „La Pietra“ dem „Barbier“ durchaus ebenbürtig ist. In diesem „Prüfstein“ wird ein wahres Feuerwerk an witzigen, zarten oder sogar derb komischen Melodien entzündet. Es enthält übrigens die erste Gewittermusik, die der Komponist dann später immer wieder verwertete. Das Thema dieser heiteren Oper ähnelt Mozarts „Cosi fan tutte“. Der reiche Conte Asdrubale will die Beständigkeit und wahre Liebe dreier Frauen prüfen und gibt sich als plötzlich verarmt aus. Daraufhin springen zwei Bewerberinnen ab. Nur die Marchesa Clarice bietet ihm Herz, Hand und ihr Vermögen an. Da der Conte aber immer noch an ihrer Wahrhaftigkeit zweifelt, prüft nun die als ihr eigener Bruder verkleidete Clarice ihrerseits den Zögerlichen, bis der Conte schließlich seine Liebe gesteht und um ihre Hand bittet. Nicht einmal die armselige Regie, das einfallslose Bühnenbild, das fatal an Badekabinentüren erinnerte, noch die skurril modernen Kostüme konnten den Zauber dieser hinreißenden Buffa zerstören. Das lag am Dirigenten Alessandro de Marchi, der mit tänzerischem Elan die tschechischen Kammersolisten anfeuerte und Rossinis Partitur zum Leuchten brachte. Aber was wäre das ohne die im Belcanto geschulten Sänger! An ihrer Spitze begeisterte Agata Bienkowska in der Partie der Marchesa Clarice. Ihr dunkel getönter voller Mezzo ließ an golddurchwirkten Samt denken.

Der enthusiastische Beifall nach der konzertanten Aufführung von „Tancredi“ ließ das Wildbader Kurhaus in seinem Grundfesten erbeben. Eigentlich hätte der Altus Matthias Rexroth die Titelpartie übernehmen sollen, sagte aber krankheitshalber kurzfristig ab. Als Retterin und keinesfalls als Ersatz sprang mutig Agata Bienkowska ein, lernte die Partie in drei Tagen, kam, sang und siegte. Die strahlende Leuchtkraft ihres Koloraturmezzos, die Geschmeidigkeit der leicht ansprechenden Höhe und der volle Ton in den tieferen Lagen ließen die „goldenen Tage des Belcanto“ wiederaufleben. Akie Amou glänzte mit lyrischem Sopran und klaren Spitzentönen. Im Duett verbanden sich die beiden Frauenstimmen zu vollendeter Schönheit. Der Dirigent Brad Kohen ziselierte feinsinnig die reichen Valeurs der Partitur heraus und machte so „Trancredi“ zum Höhepunkt des Festivals.

Eine andere Uraufführung war die sogenannte Messa di Lugo. Der kindliche Rossini hatte zwischen 1802 bis 1808 fünfzehn Einzelteile an geistlicher Gebrauchsmusik für eine Kirche in Lugo, nahe Ravenna, komponiert. Sie zeigen bereits seine klare, brillante und lebensfrohe Kraft, die man sofort als von Rossini stammend erkennt, während Verdis frühe geistliche Kompositionen noch gar nicht nach Verdi klingen. Ein seltener Hochgenuß.

Der berühmte Rossini-Tenor und Gesangslehrer William Matteuzzi konnte im Abschlußkonzert seiner Meisterklasse mit seinen Schülern zufrieden sein: Zwei Erste und ein Förderpreis waren das Ergebnis von zwei Wochen harter Arbeit für die richtige Belcanto- Technik.

Und wer noch mehr über Rossini erfahren wollte, konnte ein Seminar des Rossini-Kenners Reto Müller über die Opernfinali besuchen und damit auch ein sehr lehrreiches Festival genießen.


 
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