© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Dem Altkanzler widersprochen
Carl Gustaf Ströhm

Das „Europäische Forum“ im Tiroler Gebirgsort Alpbach war einst - als dort noch die austroliberalen Gründerväter Fritz und Otto Molden residierten - bekannt als sommerlicher Schauplatz kontroverser Diskussionen. Inzwischen ist es zu einer Tribüne der Selbstbeweihräucherung arrivierter Euro-Prominenz mutiert. Doch dieses Jahr blitzte noch einmal, wenn auch nur für kurze Augenblicke, die alte Spontaneität wieder auf.

Angefangen hatte es freilich mit Helmut Kohl. Der Altkanzler gab vor der versammelten Austro-Prominenz (die ihn deswegen artig bejubelte) in satter Selbstzufriedenheit seine Europa-Visionen zum besten. Kohl plädierte für eine sofortige EU-Erweiterung - ohne Wenn und Aber. Er wetterte gegen die „Euro-Pessimisten“ und prophezeite, die Euro-Währung werde ein großer Erfolg. In zehn Jahren, so der von keinerlei Selbstzweifel geplagte einstige CDU-Chef, würden auch die Schweizer mit Euro-Banknoten bezahlen - „nach drei Volksabstimmungen“. Kohl meint also, man müsse die renitenten Schweizer so lange abstimmen lassen, bis das „gewünschte“ Ergebnis herauskomme.

Nur wenige Stunden später stand ein Politiker am Alpbacher Rednerpult, der die Dinge ganz anders betrachtet: Der tschechische Parlamentspräsident Václav Klaus teilte den Optimismus des „Euro-Kanzlers“ nicht. Es gäbe viele Gründe, um mit dem Zustand und den Perspektiven der europäischen Wirtschaft gar nicht zufrieden zu sein, meinte der rechtsliberale Thatcher-Freund. Klaus sagte: „Der Euro ist schwach, weil Europa schwach ist“. Europas globale Position werde nicht stärker, sondern schwächer. Bei „immer längeren Urlauben am Mittelmeer, immer kürzeren Arbeitszeiten und einem zunehmend hedonistischen Lebensstil“ der Westeuropäer sei dies alles kein Wunder. Die von Kohl gefeierte EU-Erweiterung werde, so Klaus, für die EU-Altmitglieder ebenso teuer wie für die Beitrittskandidaten. Pessimistisch meinte Klaus, die EU werde die Chance, um strukturellen und institutionellen Ballast abzuwerfen, nicht nutzen. Fazit des tschechischen Gastes: „Ich fürchte, die EU wird (nach einer Osterweiterung) noch bürokratischer, noch regulierungswütiger und noch teurer werden. Sie wird sich noch weiter von ihren Bürgern entfernen und entfremden.“

In eine ähnliche „politisch unkorrekte“ Kerbe schlug der deutsche Professor Helmut Wagner. Er warnte, die geplante Osterweiterung sei mit großen Risiken verbunden und könne zu einem - wie er es formulierte - „großen Knall“ führen, der ganz Europa in eine Rezession reiße. Die östlichen Aufnahmekandidaten müßten einesteils eine „rigide Fiskalpolitik“ betreiben (Erfüllung der Maastricht-Kriterien), andererseits aber den Aufholprozeß gegenüber Westeuropa vorantreiben. Das sei ein fast unlösbarer Widerspruch. Die Altmitglieder müßten den „Neuen“ durch umfangreiche Transferzahlungen und durch die Duldung höherer Inflationsraten und Haushaltsdefizite Hilfestellung leisten. Der Volkswirt von der Uni Hagen nannte einen drastischen Vergleich: „Das ist, als heirate ein schräger Vogel in die Familie ein. Um die Existenz der Tochter nicht zu gefährden, wird dem Schwiegersohn immer wieder aus der Patsche geholfen.“

Daß der deutsche Professor und der tschechische Ex-Premier leider recht haben könnten, zeigt sich am Beispiel des EU-Kandidaten Polen, wo die Staatsfinanzen sich - laut (Noch-)Regierungschef Jerzy Buzek - in einem „dramatischen Zustand“ befinden und das Haushaltsdefizit im Jahre 2001 auf elf Prozent anwachsen könnte.


 
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