© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Neubewertung der Vergangenheit
Anti-Rassismus-Konferenz: Konkrete Ergebnisse sind in Durban nicht zu erwarten / Israelische und US-Delegation reisten ab
Michael Wiesberg

Die abgelaufende Rassismus-Konferenz im südafrikanischen Durban zeigte vor allem eines: die rührigen Protagonisten der „Holocaust-Industrie“ (Finkelstein) haben inzwischen weltweit eifrige Nachahmer gefunden. Jetzt sind es vor allem verschiedene afrikanische Staaten, die die Vorteilhaftigkeit einer „kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit“ entdeckt haben und die ehemaligen Kolonialstaaten, und sei es „nur“ in Form eines umfassenden Schuldenerlasses, zur Kasse bitten wollen. Deutsche Politiker, in Fragen der Geschichtsbewältigung weltweit führend, wissen, was in einer derartigen Situation angezeigt ist. Bundesaußenminister Joseph Fischer hat sich auf der Anti-Rassismus-Konferenz in Durban für Sklaverei und Kolonialschuld vorsorglich schon einmal im deutschen Namen entschuldigt. „Vergangenes Unrecht läßt sich nicht ungeschehen machen“, sagte Fischer. Aber Schuld anzuerkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich ihrer historischen Verpflichtung zu stellen, könne den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben.

Andere Staaten, wie zum Beispiel die USA und Israel, zeigten sich im Hinblick auf die Schuld- und Sühnerhetorik, die auf dieser Konferenz zu hören war, weniger devot. Tausende von Moslems hatten bereits im Vorfeld versucht, die Konferenz zu einem Tribunal gegen Israel umzuwandeln. Sie forderten die Auslieferung des israelischen Premiers Ariel Scharon an ein Kriegsverbrecher-Tribunal, riefen „Zionismus gleich Rassismus“ und beklagten den „Holocaust“, den die Palästinenser durch die Israelis ihrer Meinung nach erlitten. Eine Zeitlang drohte die Konferenz deshalb bereits im Vorfeld zu scheitern. Insbesondere die USA waren weder gewillt, eine einseitige Verurteilung Israels hinzunehmen, noch bereit, sich für Sklaverei und Kolonialismus zu entschuldigen. So schickten die USA ebenso wie Israel nur eine kleine Delegation ohne hochrangige Mitglieder nach Durban - und reisten vorzeitig ab.

Beschlossen wurde die Großkonferenz von Durban im übrigen 1997 von der UN-Vollversammlung. Anlässe für das Projekt waren insbesondere die „ethnischen Säuberungen“ auf dem Balkan sowie das Morden in Ruanda und Burundi. Daneben sollen auch die „rassistischen“ und „xenophoben“ Vorfälle in westlichen Industriestaaten, wo den Migrantenströmen angeblich nicht mehr nur mit zunehmender Diskriminierung, sondern auch mit physischer Gewalt begegnet werde, eine Rolle gespielt haben.

Daß Südafrika als Austragungsort der Konferenz ausgewählt wurde, überrascht nicht, hat doch dieser Staat die rassistischen Greuel der Apartsheitsära gerade erst hinter sich gelassen. „Das Grauen des Rassismus, von der Sklaverei über den Holocaust bis hin zu Apartheid und ethnischem Völkermord, hat die Opfer tief verletzt und die Täter entwürdigt“, schrieben UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson und Nelson Mandela in einer Erklärung zur Konferenz. „Dieses Grauen ist in verschiedenen Formen immer noch unter uns. Es ist nun an der Zeit, es mit umfassenden Maßnahmen zu bekämpfen.“

Die Teilnehmer der Konferenz wollten aber nicht darüber diskutieren, wie in Zukunft der „Rassismus“ effektiver bekämpft werden kann, sondern über eine Neubewertung der Vergangenheit, über historische Schuld und vor allem über Reparationsleistungen. Als Raster zur Verständigung über die Vergangenheit bietet sich hier vor allem der Holocaust an.

Die Frage, ob es in der Menschheitsgeschichte nur einen, nämlich den Holocaust gab oder mehrere, erhitzte die Gemüter bereits bei der Konferenzvorbereitung. Ob dieser Vergleich legitim ist oder nicht, interessiert zum Mißfallen der Vertreter der Einzigartigkeitsthese kaum jemand. In gewisser Weise übernähmen die Schwarzen, so zum Beispiel der deutsch-israelische Historiker Dan Diner, um zu ihrem Recht zu kommen, „das Narrativ der Juden für ihre eigene Geschichte“. Und die FAZ läßt keinen Zweifel daran, daß der historische Forderungskatalog, den die verschiedenen Völker, Minderheiten und Regionen in den Vorbereitungstreffen für Durban aufstellten, von den deutschen und österreichischen Entschädigungen für NS-Zwangsarbeiter sowie den Milliardenvergleichen zwischen jüdischen Organisationen und Schweizer und deutschen Banken inspiriert sei. Die FAZ kommt deshalb zu dem Schluß, daß die „öffentlich inszenierte Geschichtspolitik, die bisher stets nur einzelne Nationen betraf und wegen der historischen Beispiellosigkeit des Holocaust vor allem bei den Deutschen anzutreffen war, nun auch eine internationale Dimension erreicht“ habe.

Die ehemaligen Kolonialstaaten haben sich in der Frage nach Entschädigungen allerdings so unnachgiebig gezeigt, daß die Forderung nach Restitutionen inzwischen vom Tisch ist. Doch zumindest eine Entschuldigung wollten die afrikanischen Staaten auf der Konferenz hören, begleitet von einem Versprechen einer deutlichen Aufbesserung der Entwicklungshilfe.

Auch in dieser Frage dürfte es wohl kaum zu einer Einigung kommen. Die ehemaligen Kolonialstaaten gestehen lediglich zu, daß „einige Aspekte“ des Kolonialismus Leid hervorgerufen hätten. An dem endgültigen Abschlußdokument wurde in Durban deshalb noch in langen Nachtstunden gefeilt.


 
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