© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Auf der Kippe
Parteien: Nach der Bundestagsentscheidung für den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr rumort es in SPD und CDU
Paul Rosen

Gemessen an den fast 6.000 Soldaten der Bundeswehr, die im Kosovo stehen, ist der Einsatz zum Waffensammeln in Mazedonien mit 500 Mann ein kleines Ding. Dennoch zeichnet sich mit dem Bundestagsbeschluß vom Mittwoch voriger Woche eine innenpolitische Wende ab. Erstmals ist Kanzler Gerhard Schröder in die Situation geraten, ohne Mehrheit im Parlament zu sein. In der SPD-Fraktion gab es 19 Abweichler, bei den Grünen stimmten fünf Abgeordnete gegen den Auslandseinsatz. Die CDU/CSU hielt ihre ablehnende Haltung nicht durch und fiel quasi in letzter Minute um. 162 Unionsabgeordnete votierten für den Einsatz, 61 dagegen, 5 enthielten sich der Stimme.

Der nicht sicher im Sattel sitzende CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hatte noch einmal Glück gehabt. Ehe sich die Medien komplett auf den beinahe schiefgegangenen Richtungswechsel der Union vom Nein zum Ja zum Mazedonien-Einsatz stürzen und die Führungsfähigkeits-Debatte eröffnen konnten, stürzte Schröder ab. Angesichts des massiven Widerstandes in den eigenen Reihen und einer konstanten Zahl von Bundeswehr-Gegnern in Reihen der Grünen konnte Schröder nur mit Hilfe von Unions- und FDP-Abgeordneten die von ihm zuvor beschworene Bedeutung der deutschen Beteiligung am Einsatz der Nato in Mazedonien im Bundestag auch realisieren.

Der Verteidigungsminister wäre beinahe baden gegangen. Mit der Veröffentlichung der Bade-Fotos mit seiner Gräfin Renate Pilati demonstrierte Rudolf Scharping mangelndes Fingerspitzengefühl. Während der Minister planschte, können seine Soldaten auf dem Balkan jederzeit dem Tod ins Auge sehen. Scharping löste mit seinen Flügen von und nach Mallorca fast eine neue Flugaffäre aus. Dennoch warf Schröder seinen ehemaligen Rivalen nicht aus dem Kabinett. Bei Scharpings Posten stehen die Anwärter nicht gerade Schlange, und nur ein Jahr vor der Wahl kann ein neuer Minister nicht unbedingt neue Akzente setzen.

Schröder, der Schönwetterkanzler, ist ein Regierungschef ohne Mehrheit. Sein Vorgänger Helmut Kohl hatte die damaligen Koalitionsfraktionen besser im Griff. Was jetzt von linker Seite als Ausdruck der Gewissensfreiheit im rot-grünen Lager gelobt und mit dem Hinweis versehen wird, angesichts der Zustimmung aus dem bürgerlichen Lager komme es auf die eigene Mehrheit gar nicht an, gleicht dem Werfen von Nebelkerzen. In Wirklichkeit ist Schröder der Regierungsunfähigkeit ein Stück näher gekommen. Nach einem Sommer der „ruhigen Hand“ beginnt der Herbst für Schröder miserabel: Im Bundestag keine Mehrheit, die Wirtschaftsdaten gehen den Bach runter, und die Aussichten für die Landtagswahl in Hamburg am 23. September sind sehr bescheiden. So schnell geht das in der Politik: Nachdem der Niedersachse im Frühjahr fast unbesiegbar erschien, sieht es jetzt schon nach Kanzlerdämmerung aus. „Die können es nicht“, sagte der ehemalige CDU-Chef Wolfgang Schäuble nach einem Jahr Rot-Grün.

Eine Wiedergeburt des linken Flügels in der SPD sieht Merz. Noch ist unklar, ob Merz recht hat. Aber die Regierungsarbeit wird durch den Verlust der Mehrheit gelähmt. Und wie will Schröder politisch unbeschadet durch den Bundestag, wenn in knapp 30 Tagen eine neue Entscheidung über die Verlängerung des Mazedonien-Einsatzes anstehen sollte?

Auch Schröder hatte diesmal Glück. Es gab genug bürgerliche Steigbügelhalter von Union und FDP, die dem Kanzler zur notwendigen Stimmenzahl verhalfen. Guido Westerwelles FDP half Schröder nur zu gerne. Die Liberalen wollen 2002 wieder regieren, egal mit wem, aber am liebsten mit Schröder, der immer noch populärer ist als seine potentiellen Unions-Herausforderer. Ihrem alten Ruf als Umfaller-Partei ist die FDP in der Mazedonien-Frage treu geblieben: Erst ja, dann nein.

Schlimmer ist die Union dran. Sie hatte die Linie vorgegeben, daß an eine Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz in Mazedonien nicht zu denken sei. CDU und CSU hatten gute Argumente: Die Koalition hat der Bundeswehr in den letzten drei Jahren im Vergleich zur alten Finanzplanung rund 20 Milliarden Mark entzogen. Die Fahrzeuge sind oft älter als die Soldaten. Hinzu kam, daß das Nato-Mandat unpräzise formuliert war und die Lage in Mazedonien immer noch nicht den von der Nato selbst gestellten Bedingungen entspricht.

Doch den Druck der veröffentlichten Meinung hielt die Unionsspitze nicht aus. Zuerst kippte CDU-Chefin Angela Merkel mit ihrem Parteipräsidium um, dann kippten Merz und seine Fraktion. Die Abgeordneten wollten jedoch in der großen Mehrzahl nicht einsehen, warum die Bundeswehr-Finanzierung mit den von Schröder zugesagten zusätzlichen 28 Millionen Mark auf einmal so viel besser geworden sein sollte, daß sie zustimmen könnten.

Merz wäre um ein Haar gestürzt worden. Viele Abgeordneten stellten jedoch das Gemeinwohl der Fraktion hinter ihr Gewissen. Obwohl die Mehrheit gegen Merz war, ging die Abstimmung in der Fraktion im Verhältnis zwei zu eins für Mazedonien und damit im Sinne der Führung aus. Merz erinnert in vieler Hinsicht an Rainer Barzel: Der damalige CDU/CSU-Fraktionschef stürzte 1973, als er den Beitritt der westdeutschen Republik zur Uno wollte, die Fraktion ihm aber die Gefolgschaft verweigerte. Genauso hätte es Merz ergehen können.

Die Abgeordneten der CDU/CSU standen in Wirklichkeit vor der Alternative, für den Einsatz zu stimmen und damit Merz zu stützen oder gegen Mazedonien zu stimmen, Merz zu stürzen und sich die allerdings auch angeschlagene Frau Merkel als Fraktionschefin einzuhandeln. Denn eine Alternative zur CDU-Chefin wäre in der Fraktion nicht vorhanden gewesen.

Die Schwierigkeiten beim Kurswechsel der Union zeigen, wie bröckelig die Fundamente nach der Spendenaffäre geworden sind und auf welch dünnem Eis die Führung steht. Nur ein Gewinner ist zu sehen: Edmund Stoiber hatte während des ganzen Prozesses geschwiegen. Jetzt kann der Bayer als Phönix aus der Asche aufsteigen.


 
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