© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/01 07. September 2001

 
Lebenslänglich für die Opfer
Gewaltkriminalität: Vor zwei Jahren wurde ein junger Deutscher von Ausländern getötet / Angehörige hielten Mahnwache
Robert Fuhrmann

Kritischen Beobachtern der Medienberichterstattung erscheint es zuweilen, daß Gewalt ausschließlich als „rechte“ Gewalt existiert. Daß Gewalt aber auch von einer anderen Seite erfolgen kann, zeigt das Gedenken an den Mord an einem jungen Deutschen auf. Vor zwei Jahren wurde auf einem Volksfest in Lohfelden bei Kassel der 20jährige Auszubildende Thorsten Tragelehn in einer Massenschlägerei „geradezu hingerichtet“. In einem „regelrechten Gemetzel“ wurde er infolge von Stock- und Messerhieben zu Tode gebracht (JF 38/00).

Vier junge Ausländer, die für die Tatausführung hauptverantwortlich waren, wurden ein Jahr später unter anderem wegen Totschlags zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt; ein junger Deutscher, der die Waffen in seinem Wagen transportierte, kam wegen Beihilfe mit einer Bewährungsstrafe davon. Der Haupttäter, ein 16jähriger Türke, dem die Messerstiche zugeschrieben werden, erhielt eine Jugendstrafe von sieben Jahren. Das Gericht wies die Behauptung der Angeklagten zurück, man habe sich vor einer „rechten Bedrohung“ auf dem Festplatz schützen wollen, da von Beginn an die Angeklagten auf dem Fest Gewaltbereitschaft gezeigt hätten. Über die nordhessische Region hinaus, wo es aus der Bevölkerung heraus vielfach schockierte Reaktionen und eine große Anteilnahme gab, fand die Bluttat kaum Beachtung in den bundesdeutschen Medien.

Seit dieser Bluttat wird regelmäßig am Jahrestag des Ereignisses, dem 3. September, eine Gedenkveranstaltung am Tatort durchgeführt, der durch ein Gedenkstätte gekennzeichnet ist. Auch in diesem Jahr trafen sich am vergangenen Montagabend die Eltern und Angehörigen des Opfers zu einer Mahnwache. Trotz strömenden Regens fanden sich über hundert weitere Besucher zu der rund einstündigen Veranstaltung ein, bei der die Lieblingsmusik von Thorsten gespielt wurde und die Pfarrerin des Ortes, Frau Rohrmann-Brand, eine Ansprache hielt, in der sie erklärte, daß angesichts zunehmender Gewalt diese Tat niemals vergessen werden dürfe und nie vergessen werden werde. Wie auch im vergangenen Jahr kamen, bis auf Lohfeldens Bürgermeister Blank, auch diesmal keine offiziellen Vertreter aus der regionalen Politik und Gesellschaft zu der Veranstaltung. Im vergangenen Jahr wurden auch Bundeskanzler Schröder und der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) eingeladen, die jedoch wegen „Terminschwierigkeiten“ die Einladung nicht annehmen konnten. Bis heute kam es zu keinem direkten Kontakt zwischen dem Kanzler und der Familie Tragelehn. Jedoch kamen die Eltern von Timo Hinrichs, der im Mai 1999 im Landkreis Offenbach von zwei Albanern hinterrücks erstochen worden ist.

Da die zu Haftstrafen verurteilten Täter Revision eingelegt hatten, sind die gegen sie ergangenen Urteile bis heute noch nicht rechtskräftig. Somit befinden sich lediglich der Haupttäter in Haft sowie ein weiterer Täter, bei dem Fluchtgefahr besteht. Ein ebenfalls zu einer Haftstrafe verurteilter Jugendlicher iranischer Herkunft befindet sich in Freiheit, während die zu Bewährungsstrafen verurteilten Täter ihre Urteile angenommen hatten. Auch ein Jahr nach der Urteilsverkündung ist nicht abzusehen, wann die Revisionsverhandlung eröffnet wird. In der Zwischenzeit sind sogar weitere Täter ermittelt worden, die sich an der Massenschlägerei beteiligt hatten, aber auch hier wird bis zu einer Anklageerhebung erst die Revision abgewartet.

Dieser juristische Mißstand zeigt eine eklatante Schwachstelle unseres Justizsystems auf, welches den Tätern einen weitgehenden Spielraum zubilligt und sich bei der Aufarbeitung von Gewalttaten viel Zeit läßt und in der Strafzumessung oftmals recht milde zeigt, während die Opfer und ihre Angehörigen in ihrem Leid „lebenslänglich“ im wahrsten Sinn des Wortes erhalten. Um hier entgegenzuwirken, startete die Familie Tragelehn die Initiative „Gegen Gewalt“, die ungefähr 13.000 Unterschriften sammelte und an verantwortliche Politiker weitergab, um eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage zu erwirken.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen