© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001


Gesellschaft: Fremdgehen wird zum Freizeitsport
Ein paar Klicks bis zum Ehebruch
Martin Lohmann

In den vergangenen Monaten ist viel über die ökonomischen Belastungen gesprochen worden, denen die neuzeitlichen Familien ausgesetzt sind. Wohl kaum eine Institution, die ja den eigentlichen Kern der bürgerlichen Gesellschaft bildet, ist hier vergleichsweise derart gestraft.

Das Herz der Familie, die Ehe zwischen Mann und Frau, kann nur in einer vertrauensvollen Atmosphäre der gegenseitigen Treue gedeihen. Denn nichts ruiniert eine Ehe gründlicher als ein Ehebruch. Und genau hier greift der „Geist der Modernität“ an. Nie wurde den Ehepartnern der Ehebruch so leicht gemacht wie heute. Seitensprungagenturen bieten ihre zweifelhaften Liebesdienste offen im Annoncenteil seriöser Zeitungen an, und wer sich der Anonymität besonders sicher sein will, greift auf das Internet zurück. Allein im Such-index von Yahoo.de finden sich in einer eigens eingerichteten Kategorie 15 Anbieter dieses zweifelhaften Dienstes. Mit Phrasen wie „Wir müssen nicht eine Moral aufrechterhalten, die es nicht mehr gibt“ soll verborgen werden, daß es weniger um das Glück des Nächsten geht, der sich offenbar über alles liebt, sondern um Gelderwerb durch Entwürdigung. Das Erklärungsmuster der Kunden für die Inanspruchnahme dieser Dienste ist oft das gleiche: einfach mal „ausbrechen“ aus dem Alltag, Lust auf was neues und als Gipfel die Suche nach Anregungen für die eigentliche Beziehung. Hier greift auch die babylonische Sprachverwirrung ein: es wird nicht mehr von Ehebruch gesprochen, sondern in euphemistischer Weise vom „Eingehen eines Verhältnisses“. Einer Erhebung des Kondomherstellers Durex zufolge betrügen 36 Prozent aller Deutschen ihren Partner. In der Weltrangliste der Untreue liegen die als „Latin Lover“ verschrienen Italiener und Spanier weiter unten.

Die Wissenschaft steht da natürlich nicht abseits und liefert argumentative Unterstützung. Die Biologen sind die Vorreiter der These, daß die eheliche Untreue in unseren „egoistischen Genen“ verankert sei und häufig erst durch einen ausbleibenden Reproduktionserfolg ausgelöst wird. Eine sehr laue Erklärung angesichts des weitverbreiteten freiwilligen Verzichtes auf Kinder. Und man stelle sich den Schaden vor, den eine solche Einstellung anrichten kann. Sie ist die perfekte Entschuldigung für alle, die in ihrer offenkundigen Unreife nicht die Verantwortung für ihren promiskuitiven Lebensstil übernehmen wollen, und enthebt sie gleichzeitig der Notwendigkeit, sich mit den selbstsüchtigen Motiven ihres Handelns auseinanderzusetzen. Die Prominenz lebt es munter vor: Boris Becker, Franz Beckenbauer und Bill Clinton sind die Protagonisten dieses auf Selbstbefriedung ausgerichteten Lebensstils, für den sie von niemandem mehr verurteilt werden. Boris Becker, der „wie ein Schnellzug“ sein öffentlich bekanntgewordenes Abenteuer vollzogen hat, sieht in seinem Fehlverhalten gar den Ausdruck seines „komplexen“ Charakters. Wer will da nicht mithalten?

Jedoch hat alles im Leben seinen Preis. Das anfängliche „Knistern und Kribbeln“ weicht sehr rasch dem strapaziösen Druck, gegenüber dem Partner die Lüge aufrechtzuerhalten. Wenn dann durch irgendwelche Unwägbarkeiten möglicherweise die Fassade einreißt, wird deutlich, daß der Preis nicht nur aus einer Honorarsumme an die Agentur besteht, sondern vor allem aus dem Vertrauensverlust des Partners mit all seinen zwischenmenschlichen Folgen.

Parallel zum Aufkommen der Seitensprungagenturen wächst auch die Scheidungsrate. Sicherlich ist Fremdgehen nicht die alleine Ursache für eine Scheidung, aber der direkte Zusammenhang wird nicht zu leugnen sein. Gemäß den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes liegt für 1999 die Scheidungsrate in den alten Bundesländer bei 37,9 Prozent und 29,4 Prozent in den neuen Bundesländern. Für 2000 wird eine deutliche Steigerung erwartet. 


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