© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Der Tod, die Freiheit und die Fräuleins
Tony Vaccaro zeigt seine Kriegsfotos im Dresdner Hygienemuseum
Ellen Kositza

Vor einem ausglühenden Panzer liegt der brennende Fahrer. Der amerikanische Kriegsfotograf Tony Vaccaro, mit Blick aufs „Gott mit uns“-Koppelschloß, hat sein Sterben abgelichtet. Kahlgeschmort (Vaccaro: „Er stank nach verbranntem Fleisch“) bäumt sich der Soldat ins Hohlkreuz, eine Hand sucht den Kopf, zwei angekohlte Stelzen, deren Haut längst mit den Resten einer Hose verschmolzen ist, stecken in Stiefeln, die über die Erde vor dem Panzer um Hilfe gescharrt haben. Vergeblich und auch zu Unrecht, wie die Bildunterschrift suggeriert: „Ein brennender Nazi“, so einer brennt verdient und mit seinem Kruppstahlkörper sicher unter geringeren Schmerzen.

Das Bild ist in die Rubrik „Liberation“ (Befreiung) eingereiht und neben ein paar Dutzend anderen derzeit im Dresdner Hygienemuseum ausgestellt: Tony Vaccaros Fotoschau „Entering Germany 1944-1949“, die zuvor bereits im April im Willy-Brandt-Haus in Berlin gastierte.

Vaccaro, geboren 1922 in Pennsylvania, hat seine Jugend in Italien verbracht, ab 1943 dann im Dienst der US-Army, Infanterist, eigentlich jedoch: der „Soldat mit der Kamera“, der Leben, Sterben und Weiterleben in Krieg und Nachkrieg abbildet. Reflexionsfrei weist er auf die „deutliche Affinität zwischen Deutschen und Amerikanern“ hin - wo mit Pepsi, Kaugummi und Tanzvergnügen auch die „Freiheit“ Allgemeingut im ruinierten Land der Besiegten zu werden begann, ergab sich wie von selbst, daß „unsere Jungs viele Fräuleins nach Hause nahmen“, der Feind als Freund und Sexualpartner.

Die Bildunterschriften: „G.I. mit Fräulein“ oder „Liebe in Deutschland 1947“ (Fräulein mit G.I.). Das „Fräulein“, immer in Anführungszeichen, ist der große Euphemismus für die deutsche Hunger-Nutte der Nachkriegsjahre. „Liebe in Deutschland 1947“ ist vor allem ein Reihum-Blowjob für eine Schachtel Zigaretten, eine Dose Corned Beef und das Gefühl, bei den Siegern dabeizusein. Vaccaro hat also ausgenutzte Machtunterwerfung fotografiert, freilich von ihm selbst falsch verstanden und rührend naiv betitelt.

Abgeschwächt: Mädchen in Schulbänken, die meisten melden sich gerade mit der richtigen (oder falschen) Antwort. Im Hintergrund an der Wand hängt ein großes Plakat mit einem Pin-Up-Girl, einer Barbie-Fresse. Die Bildunterschrift lautet diesmal: „Die neue Erziehung“, und wenn’s nicht ironisch gemeint ist, dann müßte man prüfen, ob sich die Mädchen vor 1945 mit einem Schuß in die Decke und nicht per Handzeichen im Unterricht gemeldet haben. Vielleicht ist das Bild auch entstanden als Blick in den Klassenraum von der Tafel weg, die ein paar Bilder weiter zu sehen ist: Zwei Mädchen stehen neben der Lehrerin und haben an die Tafel die Frage geschrieben: „What is a G.I.?“ - die neue Erziehung zum „Fräulein“.

Eine abgemilderte Form der neuen Erziehung steht als Kiosk in einem bayerischen Kaff: der Pepsi-Stand, funktional der Dorfbrunnen minus Atmosphäre. Kulturimperialisten bei der Arbeit. Ähnliches war 1997 in Bosnien zu beobachten: An die Kinder und Jugendlichen einer Kleinstadt bei Mostar wird ein Comic-Heft verteilt. Darin Werbung für Cola, Hollywood, Phil Collins und das große Los eines zweiwöchigen Aufenthalts in Manhatten.

Schließlich: ein zerstörter Straßenzug in Berlin (oder in Pforzheim, Hamburg, Halberstadt, Hannover?), und ein Besucher notiert ins Gästebuch: „Wo sind die Bilder aus Dresden?“ Hier lautet der Text: „Hier zog die Menschheit vorbei.“ Nein, nein: Hier flogen die Amis vorbei und die Tommies, und die Amis kippten ihre Ladung über den Wohngebieten unter Vermeidung unnötiger Kollateralschäden an Rüstungsbetrieben ab mit der Erfahrung einer Nation, die selbst noch nie, bis heute nicht, eine einzige Bombe aufs Dach bekommen hat. Weswegen ein weiterer Besucher notiert: „Dann Vietnam, dann Serbien, und immer für die gerechte Sache.“

Vaccaro, nach dem Krieg hochdotierter Fotograf für amerikanische Lifestyle-Magazine wie Flair, Life und Look, erlebte das Kriegsende im anhaltinischen Zerbst, wo er den letzten Kampf gegen den deutschen Feind beschreibt: „Wir zerbombten und zerschossen so ziemlich die ganze Stadt, wobei über 600 Leute starben. Aber jetzt war es wirklich zu Ende. Jeder freute sich, daß er es geschafft hatte. Nachdem ich zwei Filme verknipst hatte, ging ich in unsere Unterkunft zurück.“

Dann schildert Vaccaro, wie er bei einem Spaziergang die grauenhafte Entdeckung einer toten Frau macht, deren Rock hochgezogen war und in deren Vagina ein Messer steckte. „Zunächst war ich wie erstarrt. Dann zog ich das Messer aus ihrem Körper und bedeckte sie mit einer Decke.“ Ein plötzlich auftauchender amerikanischer Soldat erzählte Vaccaro, daß die bei einem Gefecht verletzte und bereits im Sterben liegende Frau von drei G.I.s vergewaltigt worden war.

Vaccaro erinnert sich an seinen selbstgewählten Auftrag, „alles zu dokumentieren, was mir an Schrecklichem im Krieg begegnen würde. Und dies war so ziemlich der schlimmste Anblick seit unserer Landung in der Normandie im Juni.“ Er nahm die Decke von der Frau wieder weg und machte je eine Farb- und eine Schwarzweiß-Aufnahme von der Toten, bevor er sie wieder zudeckte. Das denkwürdige Bild findet sich im Ausstellungskatalog wieder.

Abends die Feier der Sieger: „Wir tranken bis tief in die Nacht, ein paar bis in den nächsten Morgen. In Frankreich hatten wir gelernt, daß es fantastisch ist, bei aufgehender Sonne einen ordentlichen Schluck zu nehmen.“

Der Psychoanalytiker Falk Berger erkennt in Vaccaros Darstellungen freudianisch den Profitgewinn des Siegers an der „Unterwerfungslust“ der Besiegten. Siegerpose und Häme bleiben in dieser Auswahl der 10.000 Kriegs-„Schnappschüsse“ (so titelte eine Fernsehsendung zum Thema) unbewußt, meist jedenfalls: das Bild eines Zirkuswagens, nach Kriegsende aufgenommen, betitelte Vaccaro „Deutschlands beste Zugpferde“.

 

Entering Germany, Fotografie 1944-1949, ist bis zum 16. September im Deutschen Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, zu sehen. Der Katalog kostet 39,95 Mark.


 
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