© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Kulturkampf gegen Gott
Blasphemie greift den Konsens über grundlegende Werte unserer Gesellschaft an
Mathias von Gersdorff

Das umstrittene Theaterstück „Corpus Christi“ des amerikanischen Autors Terrence McNally soll erneut in Deutschland aufgeführt werden. Die Premiere im Theaterhaus Köln ist für den 2. Oktober geplant. In dem Stück des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers werden Jesus und seine Apostel unter anderem als trinkfreudige Homosexuelle und das Abendmahl als Sauf- und Freßorgie dargestellt (JF 34/01).

Im vergangenen Jahr löste das Theaterstück heftige Proteste zunächst in Heilbronn, wo es uraufgeführt wurde, und später auch in anderen Städten aus. In Kassel gelang es sogar, das Stück abzusetzen. Zeitungsüberschriften in der Stuttgarter Zeitung wie „Abgeordnete: Stopp für ’Corpus Christi‘“, „Fundamentalisten verunglimpfen Schwule“ oder „Ulmer Rat fürchtet Corpus Christi“ zeigen, wie die Demonstrationen die Gemüter bewegten.

„Corpus Christi“ und andere Fälle von Blasphemie sorgen in Deutschland immer wieder für eine starke Mobilisierung von Christen und polarisieren die öffentliche Meinung in zwei unversöhnliche Lager: Während für die Partei der Blasphemie-Verteidiger die Kunst- und Meinungsfreiheit uneingeschränkt gelten sollte, fühlen sich Christen aller Konfessionen in ihren religiösen Gefühlen verletzt und fordern eine Verschärfung des Paragraph 166 Strafgesetzbuch (StGB).

Dieser Paragraph verbietet Blasphemie, sofern sie den „inneren Frieden“ gefährdet. Bei Gerichtsverhandlungen wird eine „Güterabwägung“ vorgenommen, wobei das Argument der Kunst- und Meinungsfreiheit meistens siegt. Auch „Corpus Christi“ wurde nicht verboten. Der Tatbestand der „Störung des inneren Friedens“ ist derart schwammig, daß er so gut wie untauglich für gerichtliche Auseinandersetzungen ist. Somit bleibt den Christen nur das Demonstrationsrecht übrig, um ihren Willen durchzusetzen.

Daß Christen gegen Blasphemie revoltieren, ist verständlich, denn ihre tiefsten religiösen Überzeugungen werden verletzt. Der Protest gegen die Blasphemie ist ein Ausdruck von Frömmigkeit: Man geht an die Öffentlichkeit, um sich für Christus und das Christentum zu bekennen und den Gotteslästerern die Stirn zu bieten. Die Blasphemie wird durchaus als eine Art Kulturkampf empfunden, in dem die Reste des Christentums in Deutschland zerstört werden sollen. Die Blasphemie provoziert eine Reaktion, bei der es „um das Ganze“ geht, wo keine Toleranz und kein Zurückweichen erlaubt sind. Der Rheinische Merkur, wirklich kein fundamentalistisches Blatt, betitelte am 20. Juli 2001 einen Kommentar zur Blasphemie mit „Mißbrauchte Toleranz“.

Die Proteste gegen Blasphemie besitzen in Deutschland immer eine politische Note, die nicht selbstverständlich ist und selten in anderen Ländern vorhanden ist, wie beispielsweise den USA, wo die Demonstrationen gegen „Corpus Christi“ auch heftig waren, doch nicht zu politischen Forderungen führten. In der Protestgesinnung der deutschen Christen ist immer die Idee vorhanden, daß der Staat die Religion beschützen muß. In Deutschland wird Blasphemie als etwas empfunden, das nicht nur die Religion angreift, sondern auch zutiefst die gesellschaftliche Ordnung beeinträchtigen kann. Das tut die Blasphemie natürlich immer, sind die christlichen Prinzipien überall im Abendland Teil der gesellschaftlichen Fundamente. Doch in Deutschland werden die Gemüter vor allem dann in Wallung gebracht, wenn die Provokation die Schnittstelle zwischen weltlicher und geistlicher Ordnung tangiert. Zu Recht, denn die Blasphemie greift nicht nur die religiösen Überzeugungen an, sondern auch den Wertekonsens über die Grundrechte, der das gesellschaftliche Zusammenleben überhaupt möglich macht.

Damit die Grundrechte in der Gesellschaft anerkannt und respektiert werden, ist es nicht ausreichend, daß sie in der Verfassung verankert sind. Das Volk muß mit ihnen einverstanden sein und sie auch als Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben akzeptieren. Der beste Gesetzgeber ist machtlos, wenn seine Entscheidungen nicht von der Bevölkerung getragen werden. Dafür ist es nicht notwendig, daß alle Bürger einverstanden sein müssen. Doch es ist notwendig, daß zumindest sehr viele Mitglieder der Gesellschaft die Entscheidungen des Gesetzgebers akzeptieren und sich ihnen fügen.

Damit diese Verständigung existieren kann, muß es einen „Rahmen“, ein „System“ geben, über den nicht diskutiert wird. Die Mitglieder der Gesellschaft müssen sich allgemein einig sein, daß dieser „Rahmen“ oder dieses „System“ die Basis für den Dialog ist. Diesen „Rahmen“ liefert das Christentum.

Diejenigen, die Blasphemie mit der Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigen und meinen, daß sich der Staat hier nicht einmischen sollte, und sogar die komplette Streichung des Paragraph 166 StGB fordern, wollen nicht einsehen, daß der deutsche Staat zwar wertneutral ist, aber nicht wertfrei sein kann. Die Väter des Grundgesetzes rückten die Grundwerte des Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns und besannen sich deshalb auf das Christentum, weil das Christentum auf Werten basiert, die ewig sind.

Deshalb befinden sich die Werte des Christentums außerhalb des politischen Geschehens, welches von sich verändernden Machtverhältnissen und den zeitlichen Ereignissen bestimmt wird. In der Präambel des Grundgesetzes steht: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott ...“ Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß die vorgegebenen Werte im Grundgesetz nicht von den politischen Machtverhältnissen abhängen und nicht verändert werden dürfen.

Der Wertekonsens bildet die Grundlage des friedlichen Zusammenlebens der Menschen innerhalb einer Gesellschaft. Zerreißt dieser Konsens, spaltet sich die Gesellschaft entweder friedlich, durch die Bildung eines neuen Staates, oder gewaltsam durch eine Revolution. Dementsprechend muß der Wertekonsens wie ein Schatz behütet werden. Die Mitglieder der Gesellschaft müssen erzogen werden, die Grundwerte zu achten und zu respektieren.

Man mag nun einwenden, daß es in jeder Gesellschaft auch Atheisten gibt. Sie glauben nicht an Gott und üben auch keine Religion aus. Trotzdem sind die Atheisten in der Lage, die Prinzipien des Christentums für das gesellschaftliche Zusammenleben zu akzeptieren. Dafür müssen sie nämlich nicht an Gott glauben, sondern lediglich einsehen, daß erst die Beachtung der christlichen Prinzipien ein friedliches Zusammenleben zwischen den Menschen innerhalb der Gesellschaft ermöglicht.

 

Mathias von Gersdorff ist 2. Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) und Leiter der Aktion „Kinder in Gefahr“.


 
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