© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Die Industrie braucht neue Trends
Internationale Funkaustellung: „New Economy“ stagniert / Ernüchterung bei Telefonanbietern / Endlich Gewinne erwirtschaften
Ronald Gläser

Hoffentlich hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder unrecht, als er die Internationale Funkausstellung mit der Bemerkung eröffnete, sie könne „ein Signal“ sein. Die Messe verzeichnete nach Jahren des Zuwachses am ersten Tag einen überdeutlichen Rückgang der Besucherzahlen. Annähernd 1.000 Aussteller aus der Unterhaltungsindustrie, der Kommunikations- und Informations-Elektronik präsentieren sich alle zwei Jahre in Berlin.

Natürlich liefert die Ausstellung beeindruckende Ein- und Ausblicke in die einzelnen Branchen. Die vorgestellten Neuheiten zeugen von der Innovationskraft der anbietenden Unternehmen. So wird die 1997 auf der IFA in den Markt eingeführte DVD schon bald auch individuell bespielbar sein. Die im Vergleich zur CD aufnahmefähigere Plastikscheibe ließ sich bislang nur abspielen. Unter dem Weihnachtsbaum sollen bereits die ersten DVD-Rekorder von Firmen wie Pioneer oder Panasonic liegen.

Ein allgemeiner Trend, der nicht zu stoppen ist, ist die Konvergenz unterschiedlichster Produkte aus den einzelnen Sparten. Die Vernetzung von Computer, Telefon, Fernseher oder auch Spielkonsolen nimmt immer weiter zu. Manche Synthese von bislang inkompatiblen Produkten ist praktisch. Andere Verknüpfungen lassen die Frage nach dem Nutzen unbeantwortet: Wer benötigt ein Mobiltelefon mit einem integrierten Microsoft-Betriebssystem? Wer braucht einen digitalen Audio-Empfänger, mit dem Internet-Radiosender abgehört werden können?

Der um zwanzig Prozent verringerte Besucheransturm des ersten Tages ließe sich auf das ungewöhnlich heiße Wetter Ende August zurückführen. Aber das Abebben des öffentlichen Interesses an der Leitmesse ist symptomatisch für die gesamte New Economy. Mit dem rasanten Wachstum des Hochtechnologiesektors ist es seit Monaten vorbei. Viele Unternehmen, vom Elektronikkonzern bis zur neugegründeten Internetfirma, sind zu Entlassungen gezwungen. Neuer-Markt-Börsenbriefe werden eingestellt. Aktienkurse sinken stetig.

Insgesamt erhofft sich die Branche neue Impulse. Niemand bezweifelt die langfristigen Wachstumschancen, die sich aus den Synergieeffekten und Produktivitätszuwächsen ergeben, die die Produkte der Informationsgesellschaft ermöglichen. Aber zunächst ist die Realität in einen Wirtschaftszweig zurückgekehrt. Die kaufmännische Vernunft hat die Oberhand über die euphorischen Prognosen gewonnen, die vor zwei Jahren von niemandem ernsthaft angezweifelt wurden.

Die Ernüchterung zeigt sich besonders deutlich im Telekommunikationssektor. Selbst der Chef des qualitativen und quantitativen Weltmarktführers Nokia sieht das so. Er hat die Parole „Durchhalten ist alles“ ausgegeben. Seine Konkurrenten von Ericsson und Motorola wissen, wovon er spricht - ganz zu schweigen von neuen Handyanbietern. Für sie wird der Markt immer schwerer zugänglich.

Die Zeit der übersubventionierten Endgeräte für Neukunden ist vorbei. Die Nachfrage korrespondiert mit dem Angebot. Zusätzlich sinken durch den Niedergang des Euro die Margen im Geschäft mit den oftmals in Asien hergestellten Produkten. Und die Mobilfunknetzbetreiber drehen derzeit jeden Pfennig zweimal um.

Riesensummen müssen für die UMTS-Lizenzen aufgebracht werden. Sonera hat gerade die Lizenz für Norwegen zurückgegeben. Das finnische Unternehmen ist durch das G3-Konsortium auch an einer der deutschen UMTS-Lizenzen beteiligt. Doch für den Start der neuen Mobilfunktechnologie hat keiner der sechs Anbieter auch nur einen verläßlichen Zeitplan.

So resümierte das neue für den Vertrieb verantwortliche Vorstandsmitglied von Viag Interkom kürzlich seine Aufgabe mit der Aussage, es müßten endlich Gewinne erwirtschaftet werden. Von den vier deutschen Anbietern ist Interkom nach vier Jahren immer noch das Schlußlicht. Eine Messepräsenz des Unternehmens sucht man auf der IFA vergeblich. Dabei war die Tochterfirma der britischen BT noch auf der letzten Cebit pompös vertreten. Interkom setzt jetzt lieber auf effiziente Fernsehwerbung als auf Ausstellungen, die Millionen und Abermillionen verschlingen.

Selbst das ebenfalls in britischen Besitz gewechselte Mobilfunknetz D2 spart sich diesmal den Stand auf der IFA. Dabei handelt es sich bei der ehemaligen Mannesmann-Tochter um den schärfsten Konkurrenten des Marktführers T-D1.

Wenigstens deren halbstaatlicher Mutterkonzern, die Deutsche Telekom, hat eine ganze Halle beschlagnahmt. Der Andrang hält sich trotz der Vielfalt der Produktpalette in Grenzen. Die Telekom hat ihre selbstverschuldeten Krisen überwunden.

Beeindruckende Erfolgsmeldungen kann aber höchstens die Internettochter T-Online vermelden. Mehr als eine Millionen Kunden nutzen DSL-Zugänge mit Hochgeschwindigkeit. Hier wird das Wachstumspotential bis zum Jahresende mit 100 Prozent angegeben. Andererseits mehren sich die Gerüchte über die Abschaffung des verhältnismäßig günstigen Pauschaltarifs für TDSL. Produktinnovationen des rosa Riesen beschränken sich auf produktbegleitende Dienstleistungen: So können sich T-D1-Kundinnen jetzt per SMS Schönheitstips senden lassen.

Das Bonner Unternehmen hat seine marktbeherrschende Stellung dank der wohlgesonnenen Regulierungsbehörde ausgezeichnet verteidigt. Bei der IFA vor vier Jahren stand ein entscheidender Liberalisierungsschritt im Telekomsektor unmittelbar bevor. Vor zwei Jahren drängten die ersten Betreiber privater Ortsnetze auf den Telefonmarkt.

Von der anfänglichen Euphorie der DTAG-Herausforderer ist wenig geblieben. Inzwischen profitieren 7,5 Millionen Telekom-Kunden mit AktivPlus von günstigeren Ferngesprächen. Zahlreiche Call-by-Call-Anbieter und Internetprovider durften dagegen den Gang zum Konkursrichter antreten.

Städtische Telefongesellschaften wie die Berliner BerliKomm haben ihre Wachstumsprognosen revidieren müssen. Selbst konkurrenzlose Angebote wie kostenlose Ortsgespräche oder minimale Internetzugangsgebühren setzten sich erst langsam durch. Die staatliche Liberalisierung war eine notwendige Voraussetzung für den Siegeszug der Informationsgesellschaft. Eine latente Wechselbereitschaft der Kunden muß aber noch hinzukommen. Wenn sich diese an den Besucherzahlen der IFA messen ließe, dann war die diesjährige IFA kein gutes Signal für die Branche.


 
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