© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Eine Provinzaffäre in der kleinen DDR
Brandenburg: Seit einem Bericht über Stasi-Seilschaften in Cottbus wird eine Reporterin der „Lausitzer Rundschau“ bedroht
Jörg Fischer

Bislang war Cottbus in der brandenburgischen Niederlausitz allein durch seinen Erstliga-Fußballverein Energie bundesweit bekannt. Das ist spätestens seit letzter Woche anders: Ob Ulrich Wickerts ARD-Tagesthemen, Kölner Deutschlandfunk, Wiener Standard oder Süddeutsche Zeitung - alle Medien berichteten, daß „alte Stasi-Seilschaften“ die „Chefreporterin“ der Lausitzer Rundschau (LR), Simone Wendler, „massiv bedrohen“ würden. LR-Chefredakteur Peter Stefan Herbst - ein Mittdreißiger und journalistischer „Jobhopper“ - erzählte besorgt, die wackere Journalistin hätte sogar telefonische Morddrohungen (die Liedzeile „Dich schlagen wir tot“) erhalten. Ihr Privatleben werde bespitzelt. Es werde - vor allem vom konkurrierenden Anzeigenblatt Märkischer Bote und dem Lokalsender Lausitz TV - versucht, ihre Arbeitsweise zu diskreditieren. Dies diene „dem Ziel, eine weitere Berichterstattung zu diesem Thema zu verhindern“, warnte Herbst.

Die 46jährige ehemalige Chemikerin hatte - schon letztes Jahr - über dubiose Geschäftspraktiken bei der Kommunalen Gebäudewirtschaft (GWC) recherchiert und berichtet. Bei der Vergabepolitik der Stadt seien alte Stasi-Seilschaften bevorzugt worden, und man habe es ihnen so ermöglicht, Millionen zu erwirtschaften, inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Als „graue Eminenz“ der GWC-Affäre wurde Helmut Rauer, ehemals Stasi-Hauptmann und heute Kunstmäzen und Energie-Cottbus-Sponsor, ausgemacht. Der vom Stasi-Agenten zum Multi-Geschäftsmann Gewendete gründete am 12. August sogar den Verein „Pro Cottbus, pro Lausitz“ - dem auch politische Ambitionen nachgesagt werden.

Die politische Würze bekam die Affäre aber erst dadurch, daß Klaus Szigat, Bürochef des Cottbusser OB und der Sprecher der Stadtverwaltung, Peter Lewandrowski, die Recherche-Methoden der früheren Tagesspiegel-Journalistin öffentlich kritisiert hatten. Der Berliner Tagesspiegel - wie die LR zum Holtzbrinck Verlag gehörig - berichte fast täglich ausführlich über die Provinz-Affäre. Das Blatt schrieb genüßlich: „Das Büro von Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt (CDU) beteiligt sich inzwischen an der Kampagne gegen Wendler.“ Im gleichen Artikel wurde hingegen der Brandenburger PDS-Fraktionschef Lothar Bisky reichlich zitiert: Er sei empört über „die Cottbusser Mafia, die eine Journalistin mundtot machen“ wolle. „Ich würde mich sofort in einer Gruppe für Pressefreiheit und pro Wendler engagieren.“ Doch Kleinschmidt, seit Wochenbeginn aus dem Urlaub zurück, distanzierte sich umgehend von der Journalistenschelte - und drohte seinen Mitarbeitern Konsequenzen an. Im Februar 2002 sind OB-Wahlen, und die Lausitzer Rundschau ist das einzige Lokalblatt der Region.

Früher Stasi-Offizier - heute Energie-Cottbus-Sponsor

Daß Ex-MfS-Hauptmann Rauer schon vor der Währungsunion im Juli 1990 insgesamt 125.000 Mark in die Gründung dreier Firmen investierte und heute - teilweise in leitender Position - an etwa einem Dutzend Unternehmen beteiligt ist, läßt Raum für viele Spekulationen. Daß Lothar Hilke - einst Vizechef der Stasi-Kreisdienststelle Cottbus - inzwischen Manager und der Bauunternehmer Gerhard Schnapke - vor 1989 Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter „IM Emil“ - von Aufträgen der GWC profitierte, hat aufhorchen lassen. Doch auch Wendlers Ex-Gatte Klaus war Stasi-IM und bis zu seiner kürzlichen Enttarnung LR-Redakteur. Der Märkische Bote setzte sogar Simone Wendler mittels eines einstigen Arbeitskollegen aus dem Fleischkombinat unter IM-Verdacht. Und die ehemalige FDJ-Zeitung Junge Welt verhöhnte Wendler gar als „Verfolgte Unschuld“, die eine „durch nichts bewiesene Schauergeschichte“ verbreiten würde.

Die Sächsische Zeitung berichtete letzte Woche, schon seit Anfang der neunziger Jahre sei der Cottbusser Stasi-Filz bekannt gewesen, doch der recherchierende Journalist wurde damals entlassen. Und im November 2000 berichtete Gauckbehörden-Chefin Marianne Birthler, daß der Bezirk Cottbus die IM-Hochburg der DDR war: 1986 kamen auf einen IM statistisch 119 Einwohner, mehr als doppelt so viele IMs wie in den Bezirken Halle (240) und Leipzig (234) - in der LR stand davon nichts. 1989 arbeiteten rund 1.500 hauptamtliche Stasi-Leute in der Bezirkszentrale Cottbus und 680 in weiteren Dienststellen. Die Gesamtzahl der hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter lag bei etwa 10.000. Die 108.000-Einwohner-Stadt hat eine Arbeitslosenquote von etwa 16 Prozent, viele sind in ABM oder Wochenendpendler - Rauter & Co. sind heute potentielle Arbeitgeber. Der Fußballverein Energie - er trägt den Namen aus DDR-Zeiten - sind neben Technischer Universität und Fachhochschule die einzigen „Errungenschaften“. Dies erklärt, warum Ministerpräsident Stolpe sein Brandenburg einmal als „kleine DDR“ bezeichnet hat - ohne großen Wiederspruch.

Egal, wie die Affäre letztlich endet: Zwei Sieger stehen schon heute fest - LR-Chef Peter Stefan Herbst, der durch die breite Medienpräsenz seinen Marktwert in der bundesdeutschen Journalisten-Zunft enorm gesteigert hat, und Simone Wendler - denn bald steht „Chefreporterin“ wohl auch im Impressum der Lausitzer Rundschau.


 
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