© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/01 31. August 2001

 
Die lästigen Grundrechte
Städtetag: Die Versammlungsfreiheit soll durch Bannmeilen und Sondergesetze eingeschränkt werden
Klaus Kunze

Das Versammlungsrecht ist unantastbar - darüber sind Demokraten einig. Es kann keine Volksherrschaft geben, deren Volk sich noch nicht einmal friedlich versammeln darf. Solange der Kern dieses Rechts gewahrt bleibt, dürfen einfache Gesetze das Kleingedruckte regeln, wie Versammlungsverbote oder Uniformverbote.

Weder der Fackelzug der SA durchs Brandenburger Tor 1933 noch die 1. Mai-Aufmärsche der SED noch Regierungsdemonstrationen „gegen Rechts“ im Lustgarten zeugen von Versammlungsfreiheit, sondern allenfalls von hemmungsloser Selbstdarstellung herrschender Mächte. Das Maß an Freiheit in einem Lande könnte man danach bestimmen, ob Staatsdemos oder Kundgebungen Oppositioneller den Ton angeben. Wer herrscht, empfindet das Versammlungsrecht als Stachel im Fleische. So wechselten auch eingefleischte 68er nach ihrer Machtergreifung die Seiten der Barrikade und wurden den Repressiven immer ähnlicher, die sie früher bekämpft hatten. Das Bundesinnenministerium gab ein Rechtsgutachten in Auftrag, in dem untersucht werden soll, ob das Versammlungsrecht verfassungsrechtlich eingeschränkt werden kann.

Mit von der Partie ist die sächsische CDU, deren Landtagsfraktion sich in einem Antrag an die Staatsregierung für eine Einschränkung des Versammlungsrechts aussprach. Behörden sollen künftig Demonstrationen verbieten dürfen, „die Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlichen oder verharmlosen“. Fraglos sind damit nicht PDS-Demonstrationen gemeint, nach denen in der DDR nicht alles schlecht gewesen sei, sondern eher NPD-Demonstrationen, nach denen womöglich im Dritten Reich nicht alles schlecht gewesen sei.

Für diese Vermutung spricht die Forderung des neu gewählten Dresdner Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg (FDP), „künftig rechtsextremistische Demonstrationen zu verhindern“. An den Deutschen Städte- und Gemeindetag möchte er herantreten, um die Voraussetzungen für Bannmeilen zu schaffen. Gerade „ostdeutsche“ Städte erlitten durch „derartige Aufmärsche“ einen „schweren Imageschaden“. Der Liberale möchte in innerstädtischen Verbotszonen keine NPD-Fahnen mehr dulden, sondern lieber selbst, „gegen jegliche Form rechtsextremistischer Tendenz Flagge zeigen“.

Daß in Großstädten noch immer nicht nur Regierungsparteien wie die FDP die Flagge hochhalten dürfen, wurmt auch die Stadt Leipzig. Ihr Bürgermeister Tschense „ärgert sich schon sehr“, wenn Richter Verbotsverfügungen aufheben, wo seine Verwaltung „viel Arbeit und Schweiß zum Schutze der Bevölkerung der Stadt“ investiert hatte. Richter haben nämlich die Gewohnheit, das geltende Gesetz anzuwenden. Dessen Regelungen sind frustrierend für unsere staatlichen Wächter darüber, wer wann wo und wogegen demonstrieren darf.

Gerichtliche Entscheidungen bieten ein kurzweiliges Pandämonium des Erfindungsreichtums unserer Behörden beim Verbieten von Kundgebungen. Schon Nero kam auf die glänzende Idee, Christen Prozessionen zu gestatten; in der Arena bei den Löwen. Mitteldeutsche Kommunen lösen ihre Probleme mit Demonstrationen ebenso elegant und unserer Epoche konform: Sie möchten ihre Demonstranten auf dem platten Land bei den Schweinen demonstrieren lassen. Für leider rechtswidrig befand das Oberverwaltungsgericht (OVG) Weimar am 13. März 1998 „die Verlegung einer Demonstration in unbewohnte Stadtteile, zum Beispiel Industriegebiete oder landwirtschaftlich genutzte Gebiete“.

Der Wesensunterschied zwischen Schwarz und Blau-Gelb zeigt sich in der Anwendung des Strafrechts. Wer in einer Versammlung Zeichen setzt, darf dies nicht durch gleichartige Kleidung tun, sonst macht er sich strafbar. Das Landgericht Münster verurteilte am 14. Juli 1986 einen vorwiegend schwarz Gekleideten, der auf dem Weg zu einer FAP-Versammlung war.

Das öffentliche Tragen blau-gelb gefärbter Anoraks durch Abgeordnete der FDP verstößt hingegen nicht gegen das Uniformverbot des Versammlungsgesetzes, entschied die Staatsanwaltschaft Konstanz am 23. Februar 1984 und stellte ein Strafverfahren ein.

Ein hervorragendes Steuerungsinstrument gegen unerwünschte Versammlungen besteht darin, zu erklären, daß sie gar keine sind. Ein Kameradschaftsabend, entschied am 29. August 1997 das OVG Weimar, ist keine und steht darum nicht unter dem Schutz dieses Grundrechts. Das am Düsseldorfer Rheinufer in unmittelbarer Nähe des Landtags und der Regierungsgebäude errichtete Zeltlager von Roma gegen ihre Abschiebung fällt hingegen unter den Versammlungsbegriff, urteilte am 23. September 1991 der 5. Senat des OVG Münster. Derselbe Senat hat in diesem Jahr durch seinen Präsidenten Bertrams die Klagen der JUNGEN FREIHEIT und der Republikaner gegen ihre nachrichtendienstliche Beobachtung zurückgewiesen. Am 24. März 2001 erinnerte das Bundesverfassungsgericht den Senat an die Bedeutung des Versammlungsgrundrechtes und hob eine fehlerhafte Entscheidung auf:

Behörden am Niederrhein hatten eine geplante Kundgebung „Gegen die Kriminalisierung nationaler Deutscher und Niederländer“ verboten, weil sie die öffentliche Ordnung gefährde und den Nationalsozialismus verherrlichen wolle. Das OVG Münster fand dies rechtens: Die Ideologie der Demonstranten baue auf Rassismus auf, Kollektivismus und dem Prinzip von Führung und unbedingtem Gehorsam. Das lasse sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht legitimieren. Die Karlsruher Hüter der Verfassung sehen das anders: Alle Bürger sind frei, auch grundlegende Werte der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch nicht Rechtsgüter anderer gefährden. Die Kundgebung wurde erlaubt. Erst wo durch eine Kundgebung nationalsozialistischer Provenienz konkrete Strafvorschriften verletzt werden, kann dies verboten werden; ansonsten dürfen auch Staatsfeinde demonstrieren. Eben das - so hieß es immer - sei ja gerade der Unterschied zwischen Totalitarismus und Demokratie.

Daß Versammlungsfreiheit keine Freiheit ist, wenn sie für grundsätzlich Andersdenkende nicht gilt, muß sie nicht nur dem OVG Münster eigens ins Stammbuch geschrieben werden. Rechtsstaatliche Reife eines Politikers oder Richters zeigt sich, wo er das Recht für alle schützt und nicht nur für seine Gesinnungsfreunde. So manchem linken Regierenden schlägt das Herz für Demonstranten erst, wenn gewalttätige Autonome im Ausland im Gefängnis einer nicht linken Regierung sitzen. Bezüglich Italiens ist das linke Weltbild noch intakt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen