© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001

 
UMWELT
Dekadente Katzen
Volker Kempf

Die Natur ist grausam, lautet eine Binsenweisheit. Krokodile fressen Tiere, die am Wasser etwas trinken wollen. Adler fressen Mäuse, die über ein Feld huschen. Katzen wiederum fressen Vögel, wenn sie einen im Gestrüpp erwischen. So grausam das erscheinen mag, das Ende eines erbeuteten Tieres wird meist kurz und schmerzlos herbeigeführt, manchmal auch in einem zähen Todeskampf. Wie auch immer: Das ökologische Gleichgewicht bleibt stabil. Fressen und gefressen werden hat in der feien Natur also seinen Sinn, und der Instinkt zum Töten damit auch. Doch Katzen leben heute nicht unbedingt in freier Natur, sondern überwiegend in Haushalten mit Katzenklo. Kastriert sind die Tiere auch noch und damit auf unsere Lebenswelt im wahrsten Sinne des Wortes wie zugeschnitten. Unter Menschen werden Katzen sogar gut gefüttert. Jagen zu gehen ist für das Haustier keine existenziell wichtige Aufgabe mehr.

Um so dekadenter ist es, wenn eine mit Dosenfleisch gefütterte Hauskatze einen erbeuteten Vogel stolz nach Hause schleppt, dann aber nur anknabbert. Manches Haustier spielt mit einer Eidechse, reißt ihr die Schenkel auf oder gleich ein Bein ab, und das war es. Das in menschlicher Gesellschaft aufgewachsene Tier ist ein degeneriertes Tier, wie es der Mensch auch ist. Auch er befriedigt seinen Jagdtrieb nur noch zum Spaß. Wenn es harmlos zugeht, ersetzt der Sportpokal die Trophäe. Andere schwingen den Angelhaken, mit dem man jagen kann, ohne sich dabei anstrengen zu müssen. Wieder andere haben nichts besseres zu tun, als nach Afrika zu reisen, um einer Hauskatze gleich Beute zu machen, ohne sie aber essen zu wollen - einfach nur so zum Spaß. Die Spaßgesellschaft ist eben dekadent.


 
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