© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/01 24. August 2001


Bundeswehr
Ungnade geht vor Unehre
Dieter Stein

Der aktuelle „Fall Kubitschek“ (siehe auch Seite 5) wirft ein Schlaglicht auf eine durch ständigen Sparzwang, Parteibuchwirtschaft und jahrelanger Verhöhnung des Soldatischen paralysierte Armee. Aus der illusionistischen Formel des „Staatsbürgers in Uniform“ wurde die Realität einer technologisch weitgehend modernen, aber grundsätzlich psychologisch völlig demoralisierten Truppe.

Ich erinnere mich noch an meine Abiturfeier. In meinem Jahrgang wollte natürlich die Mehrheit den Wehrdienst verweigern oder auf andere Weise sich feige um den Militärdienst drücken. Man redete offen darüber. „Dienen? Iwo, bin ich bescheuert?“ Ich empfand es als empörend, daß die Verweigerung in der erdrückenden Zahl der Fälle nicht aus ernsthaften politischen Gründen erfolgte, sondern aus einer von Eltern und Schule anerzogenen dekadenten Verweigerung gegenüber Pflicht und Gemeinschaft. Ich bat meinen damals schon kranken Vater, der Berufssoldat war, in Uniform zur Abiturfeier zu kommen. Er erfüllte mir diesen Wunsch. Ich genoß stolz das pikierte Naserümpfen der bürgerlichen Weichlinge, denen Uniformen und Militär ein Greuel war.

Daß auch eine Demokratie nicht ohne Dienst, Einordnung, Opfer auskommt, wird in Deutschland - ein Sonderweg! - von der politischen Klasse nicht erkannt. Konsequenterweise wird aus der Bundeswehr ein Dienstleistungsunternehmen wie ein Pizzaservice. Das Eiserne Kreuz als Hoheitszeichen erscheint als beschämender Anachronismus. Angehörige des Instandsetzungsbataillons 410 in Potsdam polieren auf Kosten des Verteidigungsministeriums am Brandenburger Tor die T34-Panzer der Roten Armee wieder auf, die das dortige Siegesdenkmal zieren - und sind stolz darauf! Ein Unteroffizier tönte in einer Fernsehsendung dieser Tage fröhlich in die Kamera, schließlich habe die Rote Armee „uns“ ja vom Faschismus befreit und es sei doch eine „Ehrenpflicht“, sich auf diese Weise für die „Befreiung“ zu bedanken. Wie verrottet ist das Geschichtsbewußtsein in diesem Lande?

Die politische Führung erdrosselt den Tatendrang idealistischer Köpfe, wie sie auch unter jungen Soldaten zu finden sind, die bereit sind, sich nicht für eine Bürokratie, sondern für Deutschland in den Dienst zu stellen. Hier wird Opportunismus und Stromlinienförmigkeit belohnt, Charakterfestigkeit bestraft.

Schämen sollten sich die Offiziere der Bundeswehr, die nicht bereit sind, an ihrer Position Rückgrat zu zeigen gegen die politische und moralische Korrumpierung der Armee und die ihren Beruf entehren. Es gibt ein Leben jenseits der Kaserne. Sie sollten sich das Vermächtnis des preußischen Offiziers Adolf von der Marwitz zu Herzen nehmen: „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.“ Er hatte sich geweigert, den unmoralischen Befehl zur Plünderung eines sächsischen Schlosses zu befolgen. General von Scottis Schreiben an Götz Kubitschek, ihn wegen seiner Mitarbeit bei der JF von Wehrübungen auszuschließen, ist eine Schande für diese Armee.


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