© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Satanismus: Die Wurzeln einer Jugend- und Musikszene
Lichtbilder und Dunkelmänner
Baal Müller

Schwarzgekleidete Jugendliche trinken nachts Faber rosé auf einem dörflichen Friedhof und opfern dabei Luzifer eine weiße Maus: meist sind es solche harmlosen „satanistischen“ Rituale, die für kindliche Gemüter den Charakter von Mutproben haben. Um sie „dämonisch“ zu finden und den gruseligen Kitzel zu genießen, um dessentwillen sie veranstaltet werden, muß man freilich eine sehr fromme und biedere Erziehung genossen haben. Die breite Öffentlichkeit interessiert sich für den sogenannten Satanismus dann, wenn fehlgeleitete Psychopathen, so wie jüngst ein Ehepaar aus der Nähe von Dortmund, einen Mord begehen, der sich als Ritualmord deuten läßt, oder wenn wieder einmal Gerüchte von einer Zusammenarbeit zwischen Satanisten und Neonazis auftauchen. Vieles davon wird natürlich um des billigen Schockeffektes willen aufgebauscht, und der allergrößte Teil des modernen Satanskultes ist populäre Esoterik; dennoch ist die Faszination, die auch heute noch oder wieder von dezidiert antichristlichen Ritualen und Traditionen ausgeht, insofern merkwürdig, als der Reiz des Satanismus früher mit einer Machtposition des Christentums zusammenhing, von der heute bekanntlich keine Rede mehr sein kann.

Das Verbotene lockt schließlich umso stärker, je mehr es tabuisiert wird, und die großen Zeiten des Satanismus waren solche, in denen das Christentum zwar einflußreich genug war, um das Denken der Menschen durchgehend zu prägen, aber doch nicht einflußreich genug, um mit seinem Sinnangebot alle konkurrierenden Positionen auszuschalten. Möglicherweise konnte ihm dies schon deshalb nicht gelingen, da es aufgrund der ihm immanenten Heterogenität, seiner Aufnahme der verschiedensten spätantiken, jüdischen, gnostischen, heidnischen Traditionen, die es teils integrierte, teils verketzerte und wieder ausschied - wie die Bewegungen der Katharer und Templer -, stets den Keim zu allen möglichen Häresien in sich trug, deren Bekämpfung ihm wieder neue Machtmittel verschaffte.

Diese seit der Patristik gepflegte Dialektik funktioniert seit der Neuzeit immer weniger, da die konkurrierenden weltanschaulichen Modelle immer mehr aus außerchristlichen Traditionen, etwa der mit humanistischen Augen gesehenen Antike, bezogen werden. Die satanischen Feindbilder und Widerwelten des Christentums werden dabei zunehmend umgewertet. In einem Gemälde von Lorenzo Lotto von 1555 mit dem Titel „Der heilige Michael verjagt den Luzifer“ erscheint dieser nicht mehr als satanischer Widersacher, sondern als Bruder des Prometheus, in dessen Gestalt sich eine vom mittelalterlichen Weltbild gelöste Kultur zu erkennen glaubte. Luzifer als Lichtbringer durchzieht die Dichtungen von Calderon und Milton und beherrscht viele Werke der „Schwarzen Romantik“ und des Ästhetizismus. Auf Lord Byrons Mysteriendrama „Kain“ (1821) wird von dem britischen Schriftsteller Robert Southey erstmals der Begriff des „Satanismus“ gemünzt: er fungiert nun, zusammen mit vielerlei esoterischen und neuheidnischen Tendenzen, als Alternativmodell zur seelenlosen materialistischen Industrialisierung einerseits sowie zu einem als reaktionär, dogmatisch und scheinheilig empfundenen offiziellen Christentum andererseits. Der Satanismus befriedigte somit religiöse Bedürfnisse, ohne daß sich das aufgeklärte moderne Individuum in die Arme der Kirche zurückflüchten mußte. Man konnte modern sein, ohne materialistisch zu sein, religiös, ohne christlich zu sein. Dabei wußte man sich auf eine vage Weise mit den neuen esoterisch-vitalistischen Strömungen in der Philosophie verbunden, die ebenfalls das noch immer herrschende Weltbild der klassischen Physik attackierten. Nach 1900 kam es unter dem Einfluß der von Helena Blavatsky begründeten Theosophie, der Anthroposophie Rudolf Steiners, der zeitweise eine Zeitschrift namens „Luzifer-Gnosis“ herausgab, zu einem weiteren Anwachsen satanistischer und luziferischer Logen und Zirkel.

Daß sich auch der Nationalsozialismus zumindest zum Teil aus solchen Wurzeln speiste, ist oft betont worden. Einige der esoterischen Autoren aus dessen Umfeld, wie Otto Rahn, der mit „Luzifers Hofgesind“ eine Bekenntnisschrift in Gestalt eines stark fiktionalisierten Tagebuchs vorlegte, werden in der heutigen „Schwarzen Szene“ als Geheimtip gehandelt. Besonderen Einfluß erlangte der als Vater des modernen Satanismus geltende Brite Aleister Crowley (1875-1947). 1922 übernahm er die Führung des „Ordo Templi Orientis“ (O.T.O), der auch den legendären Thule-Orden beeinflussen sollte; außerdem leitete er bis zu Mussolinis Machtübernahme 1923 eine „Thelema“ genannte Abtei im sizilianischen Cefalù.

Auf fruchtbaren Boden fielen Crowleys Schriften in der kalifornischen Subkultur der sechziger Jahre; unter seinem Einfluß gründeten der ehemalige Tierbändiger Anton LaVey und der Regisseur Kenneth Anger die „Church of Satan“, der mehrere prominente Hollywoodschauspieler beitraten. Im selben Jahr drehte Anger, der zuvor durch seinen Bestseller „Hollywood Babylon“ bekannt geworden war, seinen berühmten Kultfilm „Lucifer Rising“, für dessen verschiedene Fassungen Mick Jagger und Led Zeppelin die Musik komponierten. Ebenfalls auf Crowley berief sich die „Final Church“ von Charles Manson, der mit seinen Anhängern 1969 neun Menschen ermordete. Damit versetzte er einerseits der Hippie-Bewegung, die bislang in der Öffentlichkeit für eher harmlos gehalten wurde, den Todesstoß; andererseits begann der Satanismus gleichwohl in die populäre Jugendkultur vorzudringen, indem er von Musikern wie David Bowie, Nick Cave und Marylin Manson, der sich nach Charles Manson und Marylin Monroe benannt hat, sowie von Bands wie The Velvet Underground, Christian Death, The Cure und zahlreichen anderen aufgegriffen wurde. Aus der Gothic-Rock-Szene der achtziger Jahre entwickelte sich nach 1990 der „Dark Wave“, der seitdem eine Fülle von Stilrichtungen hervorbrachte, immer stärker kommerzialisiert wurde und breitere Moden und Hörgewohnheiten prägte.

Vor allem in Deutschland stellt die Dark-Wave-Szene - jenseits vom Satanismus weniger Irregeleiteter - für viele Jugendliche eine Alternative zum Mainstream-Techno und amerikanischen Musikstilen wie House und Hip Hop dar. Zahlreiche Musiker dieser Stilrichtung waren in den letzten Jahren um eine Wiederentdeckung verschütteten Liedgutes bemüht, Texte von Romantikern, von Nietzsche oder Rilke zu vertonen und sie dadurch jungen Leuten eher zu vermitteln, als dies der Schule je gelingen könnte.


 
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