© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
Gesichtsverluste
Kino: „Get Carter - Die Wahrheit tut weh“ von Stephen Kay
Ellen Kositza

Wenn, sagen wir, Brigitte Mira in einem neuen Film als leibhaftige Verführung auftreten würde, wäre das komisch. Jenny Elvers in der Rolle einer holden Maid wäre in 25 Jahren zwar mehrfach geliftet, nichtsdestotrotz komisch. Genauso komisch ist Sylvester Stallone, wenn er 25 Jahre nach seinem Durchbruch als Rambo unverändert den tollkühnen Haudegen gibt.

Als Komödie präsentiert sich Stallones neuester Streifen nach vierjähriger Spielfilmpause dennoch nicht, natürlich geht es statt dessen einmal mehr hart auf hart, und Rambo-Rocky, längst unübertroffener Herr der Augenringe, schlägt unbarmherzig zu. Er ist Jack Carter, der Mann fürs Grobe in Diensten eines Unterweltimperiums in Las Vegas. Mit Schlägen treibt Carter Schulden ein, ein unsentimaler Job für einen unerbittlichen Brutalo. Dann stirbt in Seattle sein bürgerlicher Bruder Ritchie, ein Autounfall unter Alkoholeinfluß, wie es heißt. Carter, bindungsloser Einzelgänger, läßt Auftrag Auftrag sein und fährt gen Norden. Es folgt die altbewährte Friedhofsszene mit Trauernden unter dunklen Regenschirmen, der Himmel weint, ringsum flattern einzelne Krähen, der ungeladene Trauergast steht entfernt und sonnenbebrillt hinter einem Grabmal, man bemerkt ihn schließlich: „Was zum Teufel willst du hier?“- hat sich Carter doch jahrelang nicht am Familienleben beteiligt. Sein Trost ist nicht willkommen. Doch der verlorene Sohn ist hellhörig geworden, durch einige Äußerungen seiner jungen Nichte Doreen (Rachel Leigh Cook) glaubt er nicht an einen Unfalltod. Er forscht nach im privaten und beruflichen Umfeld seines Bruders und fischt dabei ganz schnell im Trüben, gerät ins Milieu der Schläger und Schlampen, wo einen Fäuste weiter bringen als Fragen. Ritchie wurde umgebracht, ist sich Carter, die klotzige Lichtgestalt, bald sicher - und kennt fortan nur eines: Vergeltung …

Die Originalversion „Get Carter“ („Jack rechnet ab“) mit Michael Caine in der Hauptrolle des so ruppigen wie smarten, nämlich undurchschaubaren Carter war in den frühen Siebzigern, schön britisch, ein Gangster-Kultfilm gewesen. Die Neuauflage dreißig Jahre später, verlegt nach Übersee - Michael Caine spielt hier einen in Ritchies Tod verstrickten Nachtclubbesitzer - ist nun weder smart noch kultig, es ist ein mittelmäßiger Actionstreifen mit den bewährten Ingredienzien solcher Filme made in USA, einer wunderschönen Frau (Rhona Mitra), blutigen Hau-drauf-Szenen, halsbrecherischen Verfolgungsjagden, den Bösen und den Guten, professionell gefilmt und überraschungsfrei von Anfang bis Ende. Keine Szene, kein Gedanke, durch den er sich hervorheben würde aus dem hochkarätig gehandelten filmischen Einerlei. Dabei hat Mitspieler Alan Cumming (im übrigen herausragend in seiner Rolle als undurchsichtiger junger Multimillionär) auf großartige künstlerische Parallelen verwiesen, erinnere „Get Carter“ doch „ein wenig an Shakespeare“ - klar, Familienehre, Tod und Vergeltung hier wie dort.

Was für den „reifen“ Stallone gilt, dem das Spielen hier „auch emotional wirklich großen Spaß“ machte, gilt übrigens für Nebendarsteller Mickey Rourke nicht minder. Wer ihn wie die Rezensentin zuletzt vor Jahrhunderten in „Wilde Orchidee“ gesehen hat, wird schier von Mitleid ergriffen. Das einstige Mannsbild Rourke ist nicht nur unschön gealtert, seine Schönheitsoperation ist scheinbar mit einem regelrechten Gesichtsverlust einhergegangen. Für den zwielichtigen Bordellbesitzer, den er hier verkörpert, langt’s allemal.


 
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