© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/01 17. August 2001

 
„Die Heuchler sind unter uns!“
Mauer-Gedenken: Opfer des SED-Regimes protestierten in Berlin gegen die Präsenz der PDS
Helena Schäfer

An der Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße spielte sich am Montagmorgen, kurz vor der Gedenkfeier anläßlich des 40. Jahrestags des Mauerbaus, eine ergreifende Szene ab: der von der PDS niedergelegte Kranz wurde von dem SED-Opfer Alexander Bauersfeld, dem die Verbitterung ins Gesicht geschrieben stand, entfernt. „Sie können mich ruhig festnehmen, weil ich den Kranz von Kommunisten wegnehme“, antwortete Bauersfeld den Polizisten, die seine Personalien aufnahmen. Es sei ihm zu DDR-Zeiten verboten worden, als Diplom-Ingenieur zu arbeiten, erzählte der 53jährige den Beamten. Bauersfeld, der wegen kirchlicher Aktivitäten 18 Monate in einer Sechs-Quadratmeter-Zelle in Cottbus verbrachte, ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger politischer DDR-Häftlinge „Kirche von unten“.

„Die Mörder legen für die Ermordeten einen Kranz nieder, das ist eine Schande“, kommentierte das Mauer-Opfer Willi Krebs (77), der die Szene beobachtete. Der erboste Bauersfeld wurde, nachdem er einem Platzverweis keine Folge leisten wollte, von der Polizei gewaltsam abtransportiert, an den Stadtrand gefahren und dort wieder freigelassen. In der Zwischenzeit nutzten einige Demonstranten die Gelegenheit, den blauen PDS-Kranz mit Füßen zu zertreten. Ein Beamter legte den zerfetzten Rosenkranz aber wieder zurück. Warum legt die PDS einen blau gefärbten Kranz nieder, wenn Rosen doch meistens rot sind? Es schien, als wollte sie eine Assoziation mit der blutigen SED-Diktatur um jeden Preis vermeiden.

Die Opfer des SED-Regimes, der Bund der Stalinistisch Verfolgten und andere Opferverbände, führten ihre Gedenkfeier schon eine Stunde vor der offiziellen Veranstaltung durch. Sie hatten sich geweigert, gemeinsam mit der SPD der Maueropfer zu gedenken, da diese eine Koalition mit der SED-Nachfolgepartei PDS nicht ausschließt.

Ehrhart Neubert, der stellvertretende Vorsitzende des Bürgerbüros zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur, hielt eine eindrucksvolle Rede, in der er betonte, daß die Mauer-Gedenkstätte nicht nur für die vergangene Geschichte stehe. Neben den physischen Schäden der langen Teilung, so Neubert, habe die Mauer in den Köpfen und Herzen ihre Spuren hinterlassen. Die Enge des Mauerstaates habe vielen Menschen den Blick versperrt. „Zu viele Menschen in Ost und West haben die Mauer wie eine unabänderliche Naturgewalt betrachtet. Zu viele Menschen meinten, daß das monströse Bauwerk doch einen Sinn haben müsse.“ Auch jetzt, zwölf Jahre später, seien die Rechte der vom Kommunismus Verfolgten noch nicht wiederhergestellt. „Wir erleben, wie die Partei, die einst die Mauer zu ihrem Machterhalt baute, jetzt wieder versucht, in dieser Stadt einen Zipfel der Macht zu ergreifen. Natürlich kann sich in jedem Menschen ein Wandel vollziehen. Aber die politische Wendung der SED zur PDS ist nur eine strategische und taktische Variante zur Erlangung von Positionen und Ressourcen. Es beruhigt uns nicht, wenn verbale Gewitter über die SED ergehen und gleichzeitig ihr letzter Vorsitzender, Gysi, mit Säuseln umworben wird.“ Weiter sagte Naubert, man verzichte auf die Mitgliedschaft in einer herbeigelogenen Volksgemeinschaft mit Erinnerungsschwund.

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Mit diesen Worten wurden Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit begrüßt, als sie eine Stunde später an der Gedenkstätte in der Bernauer Straße einen Kranz niederlegten. Der sonst so selbstgefällige Kanzler fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut und beeilte sich - ohne auch nur ein Wort zu sagen -, das Feld wieder zu räumen. Wowereit seinerseits fiel inmitten seiner Leibwächter kaum auf. Pfiffe und Buh-Rufe begleiteten die beiden SPD-Politiker.

Die Christdemokraten veranstalteten ihre Gedenkfeier zum 40. Jahrestag des Mauerbaus bereits am Sonntag am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie. Unter dem Motto „Erinnern heißt Freiheit verteidigen“ ging die Veranstaltung der Union reibungslos über die Bühne. Vielleicht lag das an den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen; jedenfalls blieben die Gegner der Union, die ebenfalls zahlreich erschienen waren, hinter einer Absperrung und störten nur unwesentlich.

Ein kurzer Filmbeitrag leitete die Kundgebung ein, zu der sowohl Parteichefin Angela Merkel und Bayerns Ministerspräsident Edmund Stoiber als auch Fraktionschef Friedrich Merz und Generalsekretär Lorenz Meyer sowie der geschaßte Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen erschienen waren. Die braungebrannte Bundesvorsitzende hielt eine Ansprache, in der sie viel über Freiheit und Individualität sprach. Gefolgt von Stoiber, dem es augenscheinlich eher um die Gelegenheit, sich Merkel gegenüber zu profilieren, als um die Maueropfer ging. Gute 40 Minuten hatte der Berliner CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel das Wort. Er strahlte wenig Charisma aus und seine Rede war eindeutig zu langatmig. Diepgen konnte in gewohnter Manier seine Zuhörerschaft begeistern und zu spontanem Beifall hinzureißen. Merz und Meyer schienen nur zur Dekoration da gewesen zu sein. Wahrscheinlich hätten sie sowieso nicht mehr viel beitragen können: das Wichtigste war gesagt und in naher Zukunft stehen ihre Positionen nicht zur Wahl.


 
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