© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Der Philosoph des Heiligen
Eine Aufsatzsammlung des rumänischen Religionswissenschaftlers Mircea Eliade
Karlheinz Weißmann

Als Mircea Eliade 1986 starb, überschrieb Le Monde den Nachruf mit: "Der Philosoph des Heiligen". Das "Heilige", das "Ganz Andere", war für Eliade entscheidender Bezugspunkt seines Denkens. Er betrachtete das Heilige als ontologische Größe, nicht als etwas, das irgendwann oder irgendwie "überwunden" werden kann, das früheren, noch nicht aufgeklärten Zeiten angehört. Für ihn war das Heilige ein Ausdruck der menschlichen "Bewußtseinsstruktur", nicht Produkt der "Bewußtseinsgeschichte".

Jeder Erfahrung des Heiligen kam aus Eliades Sicht eine eigene Würde zu. Die Manifestationen des Heiligen, die "Hierophanien", betrachtete er nur als Entfaltungen einer Grundform des menschlichen Erlebens. Die Götter Griechenlands oder der Schamanismus in Sibirien, die Meditation des Yoga oder die Theologie des Aquinaten, die Eucharistie oder die kultische Wiederholung des Mythos stehen in gewisser Weise gleichberechtigt nebeneinander. Vor allem aus dieser Einsicht heraus entwickelte Eliade eine Methode, die er als "Morphologie der religiösen Phänomene" bezeichnete, als eine spezifische, der "vorreflexiven Sprache" des Religiösen angemessene "Hermeneutik".

In dem vorliegenden Band sind eine ganze Reihe von älteren Aufsätzen Eliades wieder zugänglich gemacht, die Beiträge zu dieser "Morphologie" leisten. Darunter finden sich Abhandlungen über religiöse Vorstellungen von fundamentaler Bedeutung – im Hinblick auf die Schöpfung, den Tod und das Symbol –, aber auch Untersuchungen zu Themen wie dem "magischen Flug", die eher am Rande zu liegen scheinen.

Den eigentlichen Schwerpunkt des Buches bildet allerdings die Behandlung von Themen der religiösen Zeitgeschichte. Angesichts der Bedeutung der Religion für das Mensch-Sein sah Eliade in der Säkularisierung eine außerordentliche Gefährdung. Das Vordringen des Profanen in der Moderne ist etwas anderes als eine jener religiösen Krisen, die in der Vergangenheit aufgetreten sind, wenn es zur Ablösung einer Religion durch eine andere kam. Die Säkularisierung vollzog einen fundamentalen Bruch, der das Heilige in seiner Substanz traf. Zwar führt dieser Prozeß, folgt man Eliade, nicht zum Verschwinden der Religion, die allerdings gezwungen wird, im Verborgenen weiterzuleben, in geschwächten oder degenerierten Formen: Säkularisierung bedeutet die "Verschleierung des Heiligen".

Mehrere Aufsätze Eliades in dem angezeigten Band befassen sich mit dieser "Verschleierung". Ein großer Essay behandelt die Genese des Okkultismus, dessen Bedeutung für die europäische Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts häufig unterschätzt wird, in einem zweiten Beitrag geht Eliade den religiösen Motiven in scheinbar weit auseinanderliegenden Weltanschauungen der Nachkriegszeit – etwa dem Ufo-Glauben oder der Kosmologie Teilhard de Chardins – nach. Auch ein Aufsatz über die Geschichte und Gegenwart des europäischen Hexenwesens gehört in diesen Kontext, denn Eliade sah in der jugendlichen Subkultur der sechziger und siebziger Jahre, die sich auch der Hexerei (oder dem, was man dafür hielt) zuwandte, ein "grundsätzliches Verlangen" wirksam, das die Veräußerlichung der (christlichen) Religion einerseits und den wachsenden Materialismus der europäischen Welt andererseits zu Recht in Frage stellte.

Das "grundsätzliche Verlangen" lag Eliade selbst sehr nahe. Er hat sich niemals nur als Wissenschaftler betrachtet, sondern immer auch als homo religiosus. In dem hier abschließend gedruckten Text über die Funktion der Religionsgeschichte wandte er sich nicht nur gegen das übertriebene Spezialistentum in seiner eigenen Disziplin, sondern auch gegen die Versuche der "Reduktionsideologien" wie Psychologie oder Soziologie, mit ihren unsachgemäßen Methoden das Heilige zu erfassen. Selbstverständlich behaupten auch die Vertreter dieser Richtungen, die Menschheit als Ganzes zu nehmen, aber allein die Religionswissenschaft "hat den Vorzug, dieser Einheit auf ihrer höchsten – oder tiefsten – Stufe zu begegnen". Karlheinz Weißmann

Mircea Eliade: Das Okkulte und die moderne Welt. Zeitströmungen in der Sicht der Religionsgeschichte. Der Magische Flug. Aufsatzsammlung. Vorwort von Richard Reschika, 224 S., geb., 78 Mark (Der Band ist nur direkt zu beziehen über AAGW – Archiv für Altes Gedankengut und Wissen, Lothar von Kübelstraße 1, 76547Sinzheim)

 

Mircea Eliade: Säkularisierung als Gefährdung religiöser Bedürfnisse


 
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