© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
UMWELT
Konstanzer Bläßhühner
Volker Kempf

Bläßhühner schwimmen im Bo densee bei Konstanz viele herum. Eines hat jedoch einen Angelhaken am Bein. Die Angelschnur hat das Bein verknotet. Das rief bereits den örtlichen Tierschutzverein auf den Plan. Doch der vermochte das Tier mit einem Netz ebenso wenig zu fangen, wie acht herbeigerufene Feuerwehrleute mit dem Boot. Das Tier ist auffallend menschenscheu – hat schlechte Erfahrungen gemacht. Es ließ sich also nicht fangen.

Das besagte Bläßhuhn hat auch einen netten Lebensbegleiter. Einträchtig schwimmen die beiden Tiere, wenn man sie in Ruhe läßt, auf dem Bodensee herum. Passanten zeigten bei den Fangversuchen unterdessen große Anteilnahme. Da soll jemand behaupten, Menschen seien böswillig gegenüber schwächeren Kreaturen. Wo Menschen und Tiere sich Auge in Auge begegnen, haben Menschen also durchaus ein großes Herz für Tiere – außer wenn es gefährlich ist wie ein Krokodil, dann greift der Beschützerinstinkt nicht mehr. Aber es bleibt dabei: Menschen lieben Tiere; nur die, die sie nicht sehen, die haben nichts davon, sondern fristen in der Ernährungsmaschinerie ihr Dasein, wie einst Juden in Konzentrationslagern – "Hühner-KZ" heißt das dann, verallgemeinernd auch "Maschinisierung des Todes". Ist der Vergleich unzulässig? Ignatz Bubis meinte "Ja". Dies sei eine Verharmlosung des Völkermordes. Der jüdische Denker Günther Anders sieht das anders und fragt, ob sich die Menschen denn für die auserwählte Rasse unter den Tieren halten, daß sie mit diesen nicht besser umgehen, wie einstmals die Antisemiten mit Juden. Möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

P. S.: Wenn sie nicht gestorben sind, schwimmen die beiden Bläßhühner noch heute einträchtig auf dem Bodensee umher.
 
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