© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Gedenken an Diplomatie und Terror
Südtirol: Im Sommer 1961 erschütterten Terroranschläge von Unabhängigkeitsaktivisten die Region / Autonomie führte zur Befriedung
Beatrix Madl

Südtirol gedenkt in diesen Wochen der "Feuernacht" und ihrer unmittelbaren Folgen, weil sie sich nun zum 40. Mal jährt. In den Monaten Juni und Juli 1961 befand sich die erste Phase des Südtirol-Terrorismus auf dem Höhepunkt, die bereits 1956 mit einzelnen Attentaten auf Anlagen der italienischen Bahn begonnen hatte. In der Herz-Jesu-Nacht, die auf den 11. und 12. Juni fiel, sprengte der Befreiungsausschuß Südtirol (BAS) 37 Hochspannungs- und acht Eisenbahnmasten sowie zwei Hochdruckleitungen. Die Sprengladung an einem Baum bei der deutsch-italienischen Sprachgrenze in Salurn explodierte erst am nächsten Morgen und riß einen Straßenwärter in den Tod. So gab es unbeabsichtigt doch noch ein Opfer.

Die Freiheitskämpfer wollten in der Hauptsache die Stromversorgung in der Bozener Industriezone lahmlegen. Dieses technische Ziel verfehlten sie nur knapp, weil einige Zündmechanismen nicht richtig funktionierten. In den Nächten zum 11. und 13. Juli des Monats sprengte der BAS wieder in konzertierten Aktionen mehrere Leitungsmasten und Oberleitungen. Für die Sabotage der Stromleitungen der oberitalienischen Bahnlinien am 11. Juli zeichneten sich Nordtiroler, die Innsbrucker Gruppe des BAS, verantwortlich. Am selben Tag verhaftete die italienische Polizei erstmals Aktivisten, die in der Folge in den Carabinieristationen fürchterlich gefoltert wurden. Ein politisches Ziel konnte aber durch diese Anschlagserien und die folgenden Opfer erreicht werden: Die internationale Öffentlichkeit wurde erstmalig ernsthaft des Südtirolproblems gewahr. Am 1. September 1961 setzte die italienische Regierung schließlich die sogenannte Neunzehner-Kommission ein, die Vorschläge zur Verwirklichung des Pariser Abkommens erarbeiten sollte. Damit erkannte Rom erstmalig das Südtirolproblem als solches an.

Offensichtlich hatte erst die Gewalt eine neue Dynamik in die festgefahrene politische Situation Südtirols gebracht. In den fünfziger Jahren wurde die deutsche Bevölkerung in dem Land zwischen Brenner und Salurner Klause immer unzufriedener. Das Joch des italienischen Faschismus war zwar überwunden, aber die im Pariser Abkommen von 1946 versprochene Autonomie nicht verwirklicht worden. Italiener aus dem Süden wurden massenweise angesiedelt, angelockt durch die Bozener Industriezone und den sozialen Wohnungsbau, bei dem die Südtiroler benachteiligt wurden. Unter dem Eindruck bewaffneter Konflikte in anderen Krisengebieten sank auch unter der deutschsprachigen Bevölkerung südlich der Brennergrenze die Hemmschwelle, zu gewaltsamen Mitteln zu greifen. So hätte sich einer der führenden Köpfe des BAS, Georg Klotz, der Vater der heutigen Landtagsabgeordneten Eva Klotz (Union für Südtirol) durchaus einen Partisanenkampf vorstellen können. Ab Februar 1958 gab es denn erstmalig Gespräche zwischen Wien und Rom über das Pariser Abkommen. Im Januar und Mai 1961 waren drei bilaterale Treffen, das erste in Mailand, die beiden nächsten in Klagenfurt und Zürich, wieder ergebnislos beendet worden, obgleich die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 31. Oktober des Vorjahres bereits in einer Resolution beide Seiten zur Beilegung des Streits angehalten hatten. Am 1. Juni 1961 trafen sich dann Nordtiroler und Südtiroler BAS-Aktivisten zur konkreten Planung der "Feuernacht" im schweizerischen Zernez. Der BAS war sozial und politisch heterogen zusammengesetzt: Künstler, Intellektuelle, Bauern und Handwerker, Anti-NS-Widerstandskämpfer und "Nationale" fanden sich darin zusammen. Fand der Freiheitskampf noch so sehr moralische oder materielle Unterstützung durch breite Bevölkerungsteile, die Südtiroler Landespolitiker distanzierten sich vehement von den Bombenlegern. Silvius Magnago, während der Bombenjahre Landeshauptmann von Südtirol, soll sogar einmal gesagt haben: "Selbst meinen Bruder, wenn ich einen hätte, würde ich anzeigen, wenn ich wüßte, daß er mit den Attentaten etwas zu tun hätten." Die politische Führung des Landes befürchtete möglicherweise, daß ein anderes Verhalten von der italienischen Regierung als Kriegserklärung aufgenommen worden wäre.

Aus Anlaß dieses denkwürdigen Jahrestags kamen jetzt in der illustrierten Südtiroler Wochenzeitung FF beide Seiten zu Wort. In zwei Gastbeiträgen, die das Südtiroler Magazin veröffentlichte, schrieben der damalige Landeshauptmann und spätere Autonomievater Silvius Magnago sowie der ehemalige Aktivist des Befreiungsausschusses für Südtirol (BAS) Sepp Mitterhofer. Beide waren sich dabei aber in einem Punkt einig: Sie widersprachen der These, die Anschläge von 1961 hätten Südtirol geschadet. Der Innsbrucker Geschichtsprofessor Rolf Steininger hatte mit dieser Auffassung vor einigen Jahren einen regelrechten Südtirol-Historikerstreit ausgelöst. Er forschte umfassend zum Terrorismus in den sechziger Jahren und veröffentlichte dazu das mehrbändige Werk "Südtirol zwischen Diplomatie und Terror". In diesem Werk vertritt er die geschilderte Ansicht. Als ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer wehrte sich Mitterhofer bereits im vorigen Jahr gegen die Kriminalisierung durch Steininger in der Anthologie "...es blieb kein anderer Weg". Zeitzeugen berichten darin über Hintergründe und Folgen der Feuernacht vom 11. auf den 12. Juni 1961. Die Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung mag derselben Auffassung sein wie Magnago und Mitterhofer. Laut einer Umfrage die dieselbe Wochenzeitung online durchführte, stimmen 84 Prozent der antwortenden Internetleser den beiden Zeitzeugen zu. Sie sehen die "Bomben für das Erreichen der Autonomie" als "hilfreich" an. Nur 16 Prozent betrachten sie hingegen als "hinderlich".

Es ist möglich, daß die Gewalttaten, die nach der Einsetzung der Neunzehner-Kommission verübt wurden, tatsächlich ein gewisses Risiko für die Autonomieverhandlungen darstellte. Dafür spricht, daß auch autonomiefeindliche Kräfte ein Interesse daran hatten, die Spannung in dem Land aufrecht zu erhalten. Dies belegt die Verwicklung italienischer Geheimdienste in einige Attentate, die der damalige stellvertretende Kommandant der Carabinieri Giorgio Manes in seinen Tagebüchern schilderte. Vor allem darf nicht vergessen werden, daß die Südtiroler Freiheitskämpfer nicht nur eine Autonomie, sondern die territoriale Selbstbestimmung anstrebten. Aus diesem Grund sahen sie allein in der Einsetzung der Neunzehner-Kommission keinen Anlaß, ihren Kampf einzustellen.


 
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