© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Straftaten werden schöngerechnet
Kriminalität: Bundesregierung legt ersten Sicherheitsbericht vor und stellt sich ein gutes Zeugnis aus / Polizei widerspricht den Statistiken
Ronald Gläser

Die Bundesregierung hat einen "Sicherheitsbericht" vorgelegt, der von nun an in regelmäßigen Abständen ausgearbeitet werden soll. Auf 641 Seiten hat ein Expertengremium aus Soziologen, Kriminalisten und Psychologen die Sicherheitslage in Deutschland analysiert. So etwas ist in Deutschland bislang einmalig. Der Umfang des Berichts, der auch richtungsweisend für die Arbeit der beiden herausgebenden Ministerien (Inneres und Justiz) sein soll, bestätigt dies.

Der Bericht kommt – wie das bei Regierungsberichten zumeist der Fall ist – zu einem hinsichtlich der eigenen Arbeit positiven Ergebnis. Die Kriminalität stagniere, sei sogar in einigen Bereichen rückläufig. Zahlenspiele, die wie Taschenspielertricks wirken, sollen beweisen, daß die rotgrüne Innen- und Rechtspolitik auf dem richtigen Weg sei. Allerdings räumen die Autoren hinsichtlich des Empfindens der Bürger ein, daß ein ausgeprägtes Unbehagen existiere.

Das Mammutwerk ist eine Mischung aus angewandter Sozialwissenschaft und umfangreichem Datenmaterial. Die beiden Bundesminister weisen in ihrem Vorwort explizit darauf hin, daß erst die Synthese von Polizeilicher Kriminalstatistik und Strafrechtspflegestatistiken einen zutreffenden Eindruck von der Lage verschaffen kann. Die unterschiedlichen Formen von Kriminalität wie Sexueller Mißbrauch oder Korruption werden einzeln analysiert. Anschließend findet eine umfangreiche Kommentierung der strafrechtlichen Sanktionen statt. Die hohe Diskrepanz zwischen unbekannter Dunkelziffer und sogenanntem Hellfeld soll durch den Bericht verringert werden. Das ganze liest sich ausgesprochen langatmig und dürfte kaum eine Verbreitung über einen kleinen Expertenkreis hinaus finden.

So wird das Thema Drogenkriminalität mit einer Bewertung von Rauschmitteln seit Anbeginn der Menschheit eingeleitet. Nikotin und Alkohol werden LSD und Heroin verharmlosend gegenübergestellt. Als erster Punkt wird nicht die illegale Einfuhr oder der Handel mit Opiaten sondern die Trunkenheitsfahrt beleuchtet, als handele es sich hierbei um den verwerflichsten Aspekt im Zusammenhang mit Rauschgiften. Für Kokain wird eine wesentlich höhere Dunkelziffer prognostiziert als für andere Drogen. Am Ende wird die Richtigkeit der "fortschrittlichen Drogenpolitik" der Bundesregierung betont, während nicht der geringste Vorschlag zur Bekämpfung des Imports von Rauschmitteln Erwähnung findet.

Typische rot-grüne Thesen werden auch zur Ausländerkriminalität verkündet. Zunächst werden Zuwanderer in zwei Klassen eingeteilt: solche mit und solche ohne deutschen Paß. Unter Zuwanderern mit deutschem Paß verstehen die Autoren Spätaussiedler, die für sie, von ihrem rechtlichen Status abgesehen, mit Libanesen oder Marokkanern gleichzusetzen sind. Die offenkundig ausufernde Ausländerkriminalität versuchen sie mit hinlänglich bekannten, aber wenig überzeugenden Argumenten zu verschleiern. Der ganze Komplex wird in Windeseile abgehandelt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß das neue Staatsbürgerschaftsrecht die Lage verbessern würde. In einer Hinsicht haben sie damit natürlich recht: Ein eingebürgerter Ausländer tritt in der Statistik nicht mehr als solcher in Erscheinung.

In Hinblick auf politisch motivierte Straftaten offenbaren Däubler-Gmelin und Schily dann endgültig ihren politisch korrekten Realitätsverlust. Linke Gewalt wird als zu vernachlässigendes Thema dargestellt. Statt dessen wird, eingebettet in den bekannten antifaschistischen Grundtenor, die "rechte Gefahr" auf dreißig Seiten hochstilisiert. Die Gründe für Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ausländern werden fast ausschließlich den Deutschen angelastet. Einzig die massive Zuwanderung seit Ende der achtziger Jahre und eine angebliche Xenophobie werden als Erklärungsansatz für diese "politisch motivierte" Form der Kriminalität angeführt. Wenigstens widersetzen sich die Autoren auch linken Rechtfertigungsversuchen für kommunistische Verbrechen.

Das Erbe des Honecker-Regimes wird vollständig ignoriert. Dabei sind es doch gerade die geistige Verarmung und die gesellschaftliche Entwurzelung von christlichen und anderen Grundwerten, die solche schwerpunktmäßig in Mitteldeutschland auftretenden Delikte begünstigen. Definiert werden als politisch motivierte Straftaten auch jene Delikte, die nicht ausschließlich aufgrund einer menschenverachtenden Einstellung begangen werden. Eine willkürliche Kategorisierung von Straftatbeständen aufgrund einer vermeintlich mitverantwortlichen Weltanschauung des Täters zeichnet sich hier ab. Natürlich sollen dieselben Taten härter bestraft werden, wenn ihnen purer Haß zugrunde liegt.

Das aufbereitete Zahlenmaterial soll die Zunahme "weltanschaulicher" Straftaten belegen, wobei der Verweis auf eine noch höhere Dunkelziffer die enorme Bedeutung verstärken soll. Zieht man Tatbestände wie Propagandadelikte (85 Prozent aller rechtsextremen Delikte) oder Volksverhetzung davon ab, so verbleiben im Kern gerade noch rund 700 Straftaten wie Sachbeschädigung oder Körperverletzung.

Ganz anders wird die linksautonome Szene eingeschätzt, die Jahr für Jahr Straßenschlachten in Berlin-Kreuzberg und anderen Brennpunkten initiiert. Ihr wird auf mageren sechs Seiten ein sogenannter Gewaltdiskurs zugute gehalten. Die Gewalt dieser Szene richte sich zumeist nur "gegen Sachen". Immerhin wird auch die politisch motivierte Gewalt ausländischer Gruppen als rasant steigend klassifiziert.

Kritik an dem Bericht machte sich angesichts der scheinbar zufriedenstellenden Ergebnisse vor allem unter Polizisten breit, die schließlich zuallererst mit der Kriminalität konfrontiert werden. Angehörige der Kriminalpolizei verwiesen in einer Erklärung auf die steigende Dunkelziffer und die voranschreitende Organisierte Kriminalität. Sparzwänge und halbherzige Umsetzungen erschwerten die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Schließlich ließe sich ein Ansteigen der Drogenkriminalität angesichts der zunehmenden Zahl von Toten und der verfehlten "Liberalisierung des Betäubungsmittelstrafrechts" nicht leugnen, so der Bund Deutscher Kriminalbeamter.


 
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