© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Eine verrottete Gesellschaft
Berlin: Antifa-Gruppen demonstrierten gegen das Bundeswehrgelöbnis
Alexander Barti

Unter dem Motto "Kein Frieden mit der Neuen Mitte – Deutschland halts Maul!" und "Staatsantifaschismus ist Totalitarismus der Mitte" rüsteten sich linke Gruppen am vergangenen Freitag, um das öffentliche Bundeswehrgelöbnis im Bendlerblock zu stören. Die Vorbereitungen waren nicht so einfach, denn der antimilitaristische Haussegen hing schief: Wie konnte man mit der kriegstreibenden SPD-Jugendorganisation Juso gemeinsam marschieren? Oder mit den ebenso "kriegsverbrecherischen" Grünen? Das ging nicht, und so marschierte man getrennt oder gar nicht.

Einen ersten Erfolg konnten die Veranstalter trotzdem für sich verbuchen, noch dazu bevor sie überhaupt den ersten Stein geworfen hatten, denn die "öffentliche" Feier fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Der Staat ging in die Defensive.

Auf einem neu gestalteten Paradeplatz auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums sollte die Zeremonie ihren Lauf nehmen. Nicht nur die Gäste wurden handverlesen, auch Pressevertreter mußten sich Tage vorher mit Personal- und Presseausweis akkreditieren. Offenbar saß die Blamage der letzten Jahre tief, weil es bei den damaligen Gelöbnissen immer wieder zu peinlichen Störaktionen militanter Antimilitaristen gekommen war. Wie sich im nachhinein herausstellte, gab es auch diesmal eine – allerdings kreative – Störaktion: Zwei junge Frauen der vom Verfassungschutz als linksextremistisch eingestuften "JungdemokratInnen" mieteten sich einen schwarzen Daimler mit Fahrer, und gelangten unbehelligt als "Scharpings Töchter" in den hermetisch abgesicherten VIP Bereich. Dort ketteten sie sich an ein Geländer fest und riefen "Bundeswehr abschaffen".

Die weniger Kreativen sammelten sich um 15.30 Uhr auf dem Breitscheidplatz an der Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche. Inmitten der schon angereisten Love Paradierten, Obdachlosen und Touristen fielen die roten Fahnen praktisch kaum auf. Einzig die massive Präsenz der Polizei war beeindruckend. Angeführt von einem kleinen Kern "Berufsantifaschisten" und einem Lastwagen, formierte sich der Zug und brach auf in Richtung Reichpietschufer.

Alle Beteiligten hatten mit mehr Demonstranten gerechnet. Die Veranstalter sprachen von 600 Teilnehmern, was mächtig übertrieben war. Daß die Polizei vor allem auch einen Getränkemarkt schützte, versinnbildlicht den politischen Willen der Aktivisten aufs trefflichste. Ansprachen, darunter auch die der Laura von Wimmersperg (Friedenskoordination Berlin), wechselten ab mit aggressiver Punk-Musik; man bemühte sich um eine gute Kampfmoral. Am Reichpietschufer war man am Ende der Reise angekommen. Links der Landwehrkanal, rechts ein hohes Gebäude und vor einem die Hessische Bereitschaftspolizei mit einer Armada von Großgeräten. Strategisch klug hatte man die Demonstranten in eine schmale Sackgasse gelockt. An ein Weiterkommen war nicht zu denken, und so ließ man sich auf dem Asphalt nieder, öffnete zischend die Bierdosen und wartete geduldig auf den nächsten Programmpunkt. Der Moderator kündigte einen Redner an: Jutta Ditfurth (Ökologische Linke). Etwas schwerfällig bestieg die einstige Furie der Ökobewegung die Ladefläche des Lastwagens; mit ihren dunklen Röhrenjeans, schwarzem Pulli und aufgedunsenem Gesicht wirkte sie ziemlich angeschlagen. Ihre Rede, die sie monoton ablas, war eine "antifaschistische" Geschichtsstunde über die "Reformnazis", die an den "Verbrechen" der "verbrecherischen" Wehrmacht beteiligt gewesen waren und nur ihre "adelige Haut" retten wollten, als sie sahen, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Am Ende ihrer Tirade äußerte Ditfurth absolutes Unverständnis ("wie verrottet muß eine Gesellschaft sein!") für die Beteiligung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, an den Feierlichkeiten.

Ein anderer Redner war Peter Gringold (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes), der zunächst klarstellte, daß er die Männer des 20. Juli anders beurteile als Jutta Ditfurth. Einen gewissen Respekt wolle er ihnen nicht absprechen. Was dann kam, war die übliche Antifa-Rede, die durch die keifende Tonlage des Greises geradezu grotesk wirkte. Die Zuhörerschaft war auch diesmal ziemlich desinteressiert; man plauderte miteinander oder erholte sich im Schatten der Uferbepflanzung. Wenn Gringold zu seinem "nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder etc." anhob, gab es hier und da Gejohle und ein bißchen Applaus. Der revolutionäre Funke wollte noch immer nicht so richtig überspringen.

Endlich, um 18 Uhr entschloß man sich zu einem ohrenbetäubenden und minutenlangen Radau. Mit Rufen, Trillerpfeifen und Hupen versuchte man sich auf dem Paradeplatz bemerkbar zu machen. Daß man damit Erfolg hatte, ist unwahrscheinlich, denn der Räumungsbefehl der Staatsmacht blieb aus. Aber dann ergab sich noch unverhofft eine Chance: mit der per Lautsprecher durchgesagten Nachricht, in Genua sei "einer von uns" erschossen worden, hoffte man – vergeblich – auf die Initialzündung zur großen Randale. Man wollte zur Italienischen Botschaft marschieren. Aber nachdem man die neue Demonstration nicht mehr anmelden konnte – von spontanem Ungehorsam keine Spur – begann man die Boxen abzubauen. Das Fußvolk trottete derweil langsam nach Hause. Vor dem Polizeikordon zelebrierten noch einige halbwüchsige "Antifaschisten" politisch unkorrekte Männlichkeitsrituale, indem sie den gelangweilten Ordnungshütern den gestreckten Mittelfinger zeigten, sich gegenseitig mit Bier übergossen und eine jugendliche "Genossin" begrabschten. "So etwas sieht man in jeder Studentenverbindung", resumierte sichtlich frustriert ein graumelierter Aktivist und verließ hängenden Kopfes den Ort.

Als auch die letzten gegangen waren, konnte man den Beweis für die Ökologie der Ditfurthschen Öko-Linken auf der Straße und in den Büschen betrachten: Leere Bierdosen, Flaschen, Glasscherben, Papierfetzen und Plastiktüten.

Wenn die Veranstalter ehrlich sind, wird "Gelöbnix5" als ein grandioses Eigentor in die Antifa-Annalen eingehen.
 
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