© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Internet: Knappe Niederlage des konservativen Kanzlerkandidaten bei Dol2day
Schattenboxen mit harten Bandagen
Gero Brandes

Die Internet-Politik-Simulation Dol2day, bei der inzwischen fast 20.000 Netzbenutzer eingetragen sind, hat einen neuen Kanzler: Es ist der alte. Die Wahlbeteiligung lag zwar nur unter 20 Prozent, das Ergebnis ist jedoch interessant.

Während im "wirklichen Leben" die Freidemokraten sich für zehn Prozent abstrampeln müssen, wird in Kürze ein liberaler Kanzler bereits seine zweite Amtsperiode antreten können. ElVosso, im "RL" (dol2day-typische Abkürzung für das "Richtige Leben") FDP-Mitglied, hat sich bei den Kanzlerwahlen der Politik-Community Dol2day äußerst knapp gegen seinen konservativen Gegenspieler Caligula durchgesetzt. Gestützt von einem sich "Allianz" nennenden Wahlbündnis bestehend aus der FDP-nahen Internetpartei IDL (Internet den Liberalen), der sozialliberalen Fortschrittlichen Plattform im Internet (FPI) der gemäßigt sozialdemokratischen SDO und der linksliberal-christdemokratischen Union erreichte der Amtsinhaber in der Stichwahl 57,23 Prozent und konnte seinen konservativen Mitbewerber mit Mühe stoppen (42,77 Prozent). Dieser war mit einer Koalition aus der christdemokratisch-konservativen CIP, der monarchistischen Progressiv-konservativen Partei (PKP) und der konservativen KDP angetreten mit dem Ziel, das gesamte – bei Dol2day gespaltene – Mitte-Rechts-Spektrum zu sammeln und zum langersehnten Wahlerfolg zu führen. Diese Rechnung schien zunächst auch aufzugehen. Mit einem Wahlergebnis von immerhin 36,72 Prozent erzielte Caligula im ersten Wahlgang das beste Ergebnis und verwies die anderen Kandidaten auf die hinteren Plätze. Dieses Resultat war auch deshalb überraschend, da das Mitte-Rechts-Bündnis im Wahlkampf für viele Linke und Linksliberale eine Zielscheibe darstellte und sie sich vieler mit der Faschismuskeule geführter Angriffe erwehren mußte. Mit Caligula hatten die Konservativen jemanden zum Kandidaten erkoren, der bei Dol2day bislang alles andere als eine bekannte Größe gewesen ist.

In Anspielung an die Kandidatur Caligulas versuchte die "Allianz" mit Wahlsprüchen wie "Keine Springerstiefel ins Kanzleramt" ihre eigene Wählerschaft gegen die konservative Koalition zu mobilisieren und empfahl ihren Wählern "ElVosso wählen, damit rechte Parolen nicht hoffähig werden". Die Tatsache, daß die mitgliederstarke FUN (Freiheitlich-Unabhängig-National), welche sich als Forum aller Nationalen versteht und auch DVU- und NPD-Sympathisanten offensteht, sich dazu entschloß, auf einen eigenen Kanzlerkandidaten zu verzichten und Caligula zu unterstützen, ließ nicht nur viele Linke aufhorchen, sondern verschreckte auch so manchen Bürgerlichen. So verkündete SherlockH, Parteivorsitzender der Nationalliberalen Internet Partei (NIP), daß es für ihn völlig unmöglich sei, eine solche Konstellation zu wählen. Wahl und Wahlkampf spaltete vor allem noch stärker das christdemokratische Lager bei Dol2day. Mit Werbebannern wie "Wer heute die Demokratie links liegenläßt, tritt morgen in die rechte Scheiße" verunglimpfte die Union, die sich als einzig wahre christdemokratische Kraft bei Dol2day sieht, auch die CIP, der sie Verrat an den christdemokratischen Werten vorwirft, da Caligula für sie das kleinere Übel darstellte. Allzu traurig über diesen Ausgang wird wohl im Lager der Konservativen kaum einer sein, vor allem nicht in der CIP. Schließlich ist es das beste Ergebnis seit langem, das ein von der CIP gestützter Kanzlerkandidat einfahren konnte. Noch vor einigen Wochen sah es so aus, als ob die CIP sich von der Abspaltung der Union nicht erholen könnte. Sie verlor mehr und mehr aktive Mitglieder und fiel fast ins Bodenlose. Grund dafür war die Entscheidung der Partei, Bündnisse mit der FUN nicht von vornherein abzulehnen, woraufhin die Union gegründet wurde und viele Parteilinke das Handtuch warfen. Doch mittlerweile hat sich die Situation der CIP stabilisiert; sie kann wieder politisch mitmischen.

Ernüchternd dagegen fiel die Wahl aus Sicht der Linken aus. Das Linksbündnis aus Sozialdemokraten (SIP), Grünen (GII) und PDSlern (SII), welches schon so alt wie Dol2day selber ist und noch vor einem halben Jahr mit einem grünen Internetkanzler Boubacar auftrumpfen konnte, mußte sich jetzt unter der Führung ihres Kanzlerkandidaten Certo (GII) mit einem Wahlergebnis von 24,87 Prozent zufriedengeben und im zweiten Wahlgang das Kampffeld anderen überlassen. Die Zukunft dieses Bündnisses scheint angesichts dieser herben Wahlniederlage ungewiß.


 
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