© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Weltliche Bildungslücken
Carl Gustaf Ströhm

In der Welt am Sonntag, die ab sofort nicht mehr in Hamburg, sondern in Berlin erscheint, wurde den Lesern letzten Sonntag im Reiseteil eine mit Berlin verbundene europäische Hauptstadt vorgestellt: Bratislava. Über fast eine Seite befaßte sich die WamS mit der Hauptstadt der Slowakei – aber leider nur oberflächlich und an vielen Stellen irreführend. So werden in einer Bildunterschrift typische Gründerzeit-Fassaden fälschlicherweise als "Jugendstil" bezeichnet. Dann wird der Martinsdom – die Kathedrale der Stadt – als "Krönungsdom der österreichisch-ungarischen Herrscher" bezeichnet. Auch das stimmt nur zum Teil: Der Martinsdom war die Krönungskirche der ungarischen Könige zu der Zeit, als dies die Hauptstadt Ungarns war – weil sich das heutige Budapest (damals: Ofen) in türkischer Hand befand. Wer genau hinschaut, wird an der Kirchturmspitze eine Nachbildung der ungarischen Stephanskrone erkennen.

Nur einmal wird ganz nebenbei erwähnt, daß das heutige Bratislava früher "Preßburg" hieß (nicht erwähnt wird der ungarische Name Pozsony). Der Leser erfährt auch nicht, daß "Bratislava" eine künstliche Wortschöpfung ist: "Brat" heißt in den slawischen Sprachen "Bruder", und "slava" bedeutet Ruhm oder auch das Slawentum. Es sollte damit im vergangenen Jahrhundert der Anspruch der Slowaken auf das ursprünglich von Deutschen, Ungarn und Juden besiedelte Preßburg unterstrichen werden. Nichts ist auch über Kaiserin Maria Theresia zu lesen, die in Preßburg zur Königin von Ungarn gekrönt wurde; die große Monarchin kommt nur als Namenspatronin eines, wie es heißt, "schrägen" Lokals vor. Manche Behauptung wirkt einigermaßen grotesk: Etwa, wenn es heißt, "manchmal" könne man von der Burg aus den Gebirgszug der kleinen Karpaten sehen. Nun, Bratislava-Preßburg liegt am Fuß der kleinen Karpaten. Nur bei totalem black out wären diese nicht sichtbar. Auch eine Bemerkung über das leider nicht mehr existierende jüdische Viertel ist nur halbwahr: Die Nationalsozialisten, welche die Juden deportierten, haben die Architektur des historischen Judenviertels nicht zerstört, sondern die Kommunisten, und zwar erst in den sechziger Jahren.

Nun könnte man über manches hinwegsehen und den guten Willen für die Tat nehmen. Was hier aber einigermaßen erschüttert, ist das Fehlen elementarer Geschichtskenntnis und die offenkundige Unfähigkeit, das Gesehene in einen Zusammenhang zu stellen. Zum Schluß: Wieso sich der in Prag beheimatete "Golem" nach Bratislava-Preßburg verirrt hat, zumindest in der WamS, bleibt ein weiteres ungelöstes Rätsel.


 
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