© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
"Schweigend in den Tod"
Major a.D. Carl Szokoll, Mitverschwörer gegen Adolf Hitler, über Graf Stauffenberg und den 20. Juli 1944 in Österreich
Moritz Schwarz

Herr Szokoll, Sie sind als Offizier der deutschen Wehrmacht bei der Vorbereitung und Durchführung des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 Oberst Graf Stauffenbergs "Mann in Wien" gewesen. Welche Rolle haben Sie damals gespielt?

Szokoll: Ich war 1944 im stellvertretenden Generalkommando des XVII. AK stellvertretender Leiter der Abteilung 1B Org. im Wehrkreis Wien – das Ersatzheer war damals in 20 Wehrkreise aufgeteilt –, und ich war damit einer der Geheimnisträger für Vorbereitung und Durchführung der Operation "Walküre", die Stauffenberg so geschickt zur Tarnung seiner Vorbereitungen seines Staatsstreiches gegen Hitler benutzte.

Wie stießen Sie zum Kreis um Stauffenberg?

Szokoll: Ich wurde im Dezember 1943 vom Oberstleutnant Bernardis, dem1b des Allgemeinen Heeresamtes (AHA) in Berlin, also der Dienststelle, an die Stauffenberg nach seiner schweren Kriegsverletzung im Afrikafeldzug versetzt worden war, besucht und in die Putsch-Pläne eingeweiht. Wir hatten zuvor schon miteinander vertrauliche Gespräche geführt. Daraufhin ließ mich Stauffenberg im Februar 1944 nach Berlin kommen, als "unser Mann in Wien". Ich habe es als Glück meines Lebens empfunden, daß die einzige Macht, die Adolf Hitler noch hätte stürzen können, nämlich die deutsche Wehrmacht, nun die Initiative ergriff.

Welchen Eindruck hatten Sie vom Grafen Stauffenberg?

Szokoll: Als ich ihm zum ersten Mal gegenüberstand, dachte ich mir: So müssen sie ausgesehen haben, die Schill’schen Offiziere, die Preußens Ehre gegen Napoleon retten wollten. Zwar war sein linkes Auge, das er in Afrika verloren hatte, von einer schwarzen Binde verdeckt, aber das rechte, über das hin und wieder die dichten schwarzen Locken fielen, blickte dafür um so zuversichtlicher, strahlend, lachend, mit einer inneren Gelöstheit, wie sie nur Soldaten haben.

Wien war neben Paris der einzige Wehrkreis, in dem die Operation "Walküre", also der Putsch des 20. Juli tatsächlich gelang.

Szokoll: Ja, nur in Paris, Wien und zum Teil in Berlin gelang es der Wehrmacht, die ausführende Macht an sich zu reißen und die Spitzen der Partei zu verhaften, wenn auch leider nur für vier Stunden.

Warum sind Sie Gegner Hitlers geworden?

Szokoll: Ich bin in der Theresianischen Militärakademie in der Tradition des tausendjährigen Österreichs zum Soldaten ausgebildet worden und nach1938 in die neue deutsche Wehrmacht übernommen worden. Es hat mich zutiefst erschüttert, wie nach der Machtübernahme Hitlers auch in Österreich Menschen, die dem Nationalsozialismus nicht paßten, sogar alte Männer mit weißen Bärten und schwangere Frauen, mit Zahnbürsten unter dem Gejohle der Menge das Straßenpflaster putzen mußten. Wissen Sie, ich bin Soldat geworden, weil ich glaubte, es sei die Aufgabe des Soldaten, Männer, Frauen und das Land zu beschützen. Leider hat der damalige Bundeskanzler Österreichs den Schutz unseres Landes nur dem lieben Gott überlassen.

Aber zentrale Motivation der Männer des 20. Juli, besonders Graf Stauffenbergs war es, das Reich – in seiner Einheit, zu der aber auch Österreich gehörte – zu retten.

Szokoll: Ich war als Offizier in der österreichischen Tradition 1938 natürlich gegen den Anschluß, aber meine Beurteilung des "Walküre"-Vorhabens war 1944 keine politische, sondern eine rein militärische, nämlich: der Sturz des Nationalsozialismus. Unser Ziel war es, einen ehrenhaften Frieden für Deutschland zu erreichen. Aber zur Leitlinie wurde schließlich das berühmt gewordene Diktum des Oberst von Tresckow: Das Attentat müsse gelingen – sollte es aber nicht gelingen, so müsse trotzdem gehandelt werden.

Wie konnten Sie, angesichts Ihrer bedeutenden Stellung für den 20. Juli, der Rache Hitlers entkommen?

Szokoll: Ich hatte das riesengroße Glück, von niemandem verraten worden zu sein. Unsere Vorsichtsmaßnahmen bei der Konspiration waren so gut, daß keine Spur zu mir führte, und meine Kameraden sind schweigend in den Tod gegangen. Sonst wäre auch mein Leben verwirkt gewesen. Ich war damals Hauptmann und bin dann nach dem Attentat sogar zum Major befördert worden, während man die anderen gehängt hatte. Aber ein Wort von ihnen, und auch mein Leben wäre verwirkt gewesen.

Wie wurde der 20. Juli in der Republik Österreich, also nach 1945, wahrgenommen?

Szokoll: Der 20. Juli hat in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg keine Reaktion hervorgerufen. Ein amerikanischer Professor hat dazu einmal gesagt, man habe in Österreich eine Erleichterung darüber empfunden, daß es nicht geglückt ist.

Nach dem Krieg war der 20. Juli 1944 zunächst vor allem dem Vorwurf ausgesetzt, Deutschland verraten zu haben, der Front in den Rücken gefallen zu sein. Heute dagegen wird den Männern um Graf Stauffenberg, vor allem aus dem linken und linksliberalen Milieu, ihre zumeist konservative, mindestens aber patriotische, oft großdeutsche Motivation vorgeworfen.

Szokoll: Nicht nur in Berlin, auch in Wien wurde der 20. Juli stark angefeindet, ich selbst wurde verschiedentlich als Verräter beschimpft, auch, weil ich schließlich noch zur Befreiung Wiens die Operation "Radetzky" durchgeführthabe. Wenn heute dem 20. Juli der konservative, nationale und patriotische Beweggrund vorgeworfen wird, so halte ich das für ein politisches Schlagwort, das nichts mit dem 20. Juli zu tun hat, sondern lediglich Ausdruck der politischen Gesinnung solcher Leute ist. Wenn etwa von jungen Menschen solche Vorwürfe gemacht werden, dann ist das eher Folge gewisser linker Gesinnung und des mangelnden Wissens darum, wie es damals tatsächlich war.

Bedauern Sie, daß so wenige Deutsche heute wirklich bewußt patriotisch stolz auf das sind, was Männer wie Graf Stauffenberg und Sie gewagt und geleistet haben?

Szokoll: Da bin ich nicht Ihrer Meinung. In der Bundesrepublik Deutschland hat es immerhin von Anfang an – denken Sie an Theodor Heuß – ein klares Bekenntnis zum 20. Juli gegeben.

Natürlich ist die offizielle Ehrung des Widerstandes in der Bundesrepublik schon ein Erfolg, aber die jungen Menschen haben meist kein Interesse, geschweige denn Verständnis, für diese Menschen, die alles riskierten, um ihr Vaterland und dessen Freiheit und Ehre zu retten.

Szokoll: Sicher, aber das muß man hinnehmen. Das ist wohl die allgemeinen Hinwendung der Menschen zum Lebensgenuß. Doch ich möchte Ricarda Huch zitieren, denn das, was die große deutsche Dichterin über die Männer des 20. Juli schrieb, hat dagegen Ewigkeitswert: "Wie wir der Luft bedürfen, um zu atmen, des Lichts, um zu sehen, so bedürfen wir edler Menschen, um zu leben. Sie sind das Element, in dem der Geist wächst, das Herz rein wird. Sie reißen uns aus dem Sumpf des Alltags. Sie entzünden uns zum Kampf gegen das Schlechte. Sie nähren in uns den Glauben an das Göttliche im
Menschen."

 

Carl Szokoll als Oberleutnant der deutschen Wehrmacht: 1915 in Wien geboren, will er zunächst einen künstlerischen Beruf ergreifen, entschließt sich aber auf Wunsch des Vaters, eines im Ersten Weltkrieg hochdekorierten k.u.k.-Unteroffiziers, Soldat zu werden. 1935 dient er zunächst als Einjährig-Freiwilliger beim Wiener Infanterieregiment Hoch- und Deutschmeister. Danach besuchte er die traditionsreiche Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Nach dem Anschluß Österreichs wurde er 1938 in die deutsche Wehrmacht übernommen. Er nahm am Polen- und am Frankreichfeldzug teil. Eine schwere Erkrankung infolge eines Résistance-Hinterhaltes erspart ihm die Ostfront. 1944 kommt er in Kontakt mit den Verschwörern um den Grafen Stauffenberg und wird dessen "Mann in Wien". Szokoll trifft Stauffenberg persönlich in Berlin. Erfolgreich organisiert er in Wien die Operation "Walküre", Stauffenbergs Plan zum Staatsstreich gegen Hitler, und bleibt dennoch nach dem Zusammenbruch des Coups in Berlin unentdeckt, da "meine Kameraden schweigend in den Tod gegangen sind. Ein Wort von ihnen, und mein Leben wäre verwirkt gewesen." Mit der Operation "Radetzky" verhinderten er und seine Mitstreiter im April 1945 trotz Verrats die von Hitler persönlich angeordnete Zerstörung der österreichischen Hauptstadt. Von der SS zum Tode verurteilt und von der Roten Armee verhaftet, entkommt er nur knapp der Deportation. Die Amerikaner verdächtigten ihn der Kollaboration mit der Sowjetunion. Nach dem Krieg arbeitete Szokoll als Filmproduzent von Wochenschauen, Dokumentarfilmen und Anti-Kriegsfilmen, so zum Beispiel "Die Brücke" oder "Der letzte Akt". Carl Szokoll lebt heute in Wien.

Carl Szokoll heute: "Wenn heute dem 20. Juli der konservative, nationale und patriotische Beweggrund vorgeworfen wird, so halte ich das für ein politsches Schlagwort, das nichts mit dem 20. Juli zu tun hat, sondern lediglich Ausdruck der politischen Gesinnung gewisser Leute ist."

"Die Rettung Wiens 1945 – Mein Leben, mein Anteil an der Verschwörung gegen Hitler und der Befreiung Österreichs": Die Autobiographie Carl Szokolls erscheint im September 2001 bei Amalthea/ Molden, 440 Seiten, voraussichtlich 55 Mark bzw. 398 Schilling.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen