© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
Die neue Heuer-und-Feuer-Mentalität
Wirtschaftspolitik: Rot-Grün im Zwielicht – Inflation und "Wachstumsdelle" – Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt
Ronald Gläser

Die Deutsche Post AG gehört zu den Initiatoren der Aktion "Start Social", die sich die Förderung privaten sozialen Engagements zum Ziel gesetzt hat. Wenn es jedoch um die Rentabilität und Gewinnsituation geht, verabschiedet sich der gelbe Konzern gerne von solch demonstrativen Selbstdarstellungen. Die Deutsche Post Wert Logistik GmbH wurde zum Monatsbeginn an Securicor verkauft.

Die Post Wert Logistik ist im Bereich der Wert-, Geld- und Expreßdienste tätig. Securicor dagegen ist ein renommiertes Unternehmen der Sicherheitsbranche, das sich nicht zuletzt durch umfangreiche Akquisitionen ansehnliche Marktanteile erobern konnte. Eigentlich paßt die Post-Tochter gut zu dem viertgrößten Anbieter von Sicherheits- und Wachdienstleistungen. Was die Deutsche Post AG und Securicor aber unterscheidet, werden die Beschäftigten bald zu spüren bekommen. Private Wachfirmen zahlen deutlich geringere Gehälter als der Staatsbetrieb. Außerdem herrscht in der Branche eine ausgeprägte "Heuer-und-Feuer-Mentalität". Betroffen sind immerhin 5.500 Mitarbeiter in insgesamt 55 Niederlassungen.

Andere Pläne bei der Post betreffen sämtliche Lkw-Fahrer, deren Aufgaben künftig von Fremdfirmen übernommen werden sollen. Auch hier drohen unter Umgehung der deutschen Sozialgesetzgebung deutliche Abstriche für die Beschäftigten. Aus unternehmerischer Sicht droht der Post ferner die Abhängigkeit von privaten Spediteuren. Die Arbeitnehmervertreter lehnen diese Maßnahmen ab und haben Vermittlungsangebote bislang ausgeschlagen. Die Christliche Gewerkschaft beispielsweise hält die Pläne für unzumutbar und fordert einen Sozialplan für die "freizusetzenden" Mitarbeiter. Doch darauf kann der Staat als Haupteigentümer der Post keine Rücksicht nehmen. In der Regierung geht die Angst um, weil die Lage am Arbeitsmarkt einfach nicht besser werden will. Bundeskanzler Schröder hat sich längst von seinem Ziel verabschiedet, die Arbeitslosenrate zu halbieren. Inzwischen hat er die Marke von 3,5 Millionen zum Etappenziel erklärt. Aber auch davon ist die rot-grüne Wirtschaftspolitik trotz solider konjunktureller Entwicklung weit entfernt. Letzte Woche erklärte Schröder in einem Zeitungsinterview, daß man "sich fragen muß, woran es gelegen hat." Er gab auch gleich die Antwort auf seine rhetorisch gestellte Frage: Die Wirtschaft kommt ihren Verpflichtungen nicht nach, obwohl ihr die Politik soweit entgegengekommen sei. Damit spielte er auf die Steuer- und Rentenreform an. Daß die Rentenreform noch gar nicht wirksam und letztlich auch nur ein Nullsummenspiel ist, unterschlug er ebenso wie die negativen Auswirkungen der sogenannten Ökosteuer und die Verpflichtung zur Einzahlung in den Zwangsarbeiterfonds.

Die horrenden Benzinpreiserhöhungen haben auch nicht unerheblich zur deutlich steigenden Inflation beigetragen. Trotzdem behauptete Finanzminister Eichel am vergangenen Wochenende, der Gipfel sei "bereits überschritten". Wenn im Januar die nächste Stufe der Ökosteuer in Kraft tritt und gleichzeitig der Euro zur allgegenwärtigen Realität für die Konsumenten wird, wird man den Finanzminister an dieser optimistischen Einschätzung messen müssen. Der Wirtschaftsweise Jürgen Kromphardt erklärte vor dem Hintergrund von entsprechenden DGB-Forderungen, daß eine Lohnsteigerung von drei bis vier Prozent akzeptabel sei.

Die Inflationsspirale beginnt sich zu drehen. Die Auswirkungen von drei Jahren rot-grüner Wirtschaftspolitik auf den Arbeitsmarkt werden durch die Förderung der Einwanderung noch verschärft. Vertreter von Wirtschaftsverbänden üben neuen Druck zugunsten von massenhafter Einwanderung aus. Und die Regierung gibt dem gemeinsam mit Teilen CDU und FDP nur zu gerne nach. Der Industrie-Präsident Rogowski warnte davor, das "Reformvorhaben auf dem Altar des kommenden Wahlkampfes" zu opfern. Auch die Industrie- und Handelskammern kritisieren "wahltaktische" Überlegungen hinsichtlich der Neuregelung der Zuwanderung. Die Lobbyvertreter großer Konzerne machen aus ihrem Wunsch nach einer noch angespannteren Lage auf dem Arbeitsmarkt keinen Hehl.

Dabei geht es auch anders, wie mehrere Beispiele aus dem Bereich der Industrie verdeutlichen: Opel will trotz eines Rekordverlustes im vergangenen Jahr ohne Entlassungen auskommen. Auch der zweitstärkste deutsche Stahlkonzern, die Salzgitter AG, wird trotz der schwacher Prognosen keine Kurzarbeit einführen.

Vielversprechend ist auch die neue Personalpolitik bei Volkswagen. Hier ist man bemüht, den Produktionsstandort Deutschland zu verteidigen. Noch vor wenigen Monaten hatte es Streiks wegen der drohenden Entlassung von Mitarbeitern mit zeitlich befristeten Verträgen gegeben. VW besitzt zu diesem Zweck eine eigene Beschäftigungsgesellschaft, die Personal-Service-Agentur. Jetzt hat die Konzernspitze mit der IG Metall ein beschäftigungswirksames Konzept ausgearbeitet: 5000x5000 soll 5.000 neuen Arbeitnehmern, vorrangig Erwerbslosen, eine neue Chance und ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 5.000 Mark sichern. Die Arbeitsplätze entstehen nicht in China oder Mexiko, sondern in Wolfsburg und Hannover. Ein neuer Kleinbus und ein Kleinstfahrzeug – etwa wie der Smart – sollen in Deutschland produziert werden. Die Qualifikation der Angestellten gehört auch in dieses Konzept.

Volkswagen kann es sich leisten, nachdem im Jahr 2000 ein Rekordergebnis erwirtschaftet worden ist. Die Marken Volkswagen, Audi, Seat, Skoda und Bentley/Rolls Royce machten einen Vorsteuergewinn von über 6,7 Milliarden Mark. Auch davon sollen die Mitarbeiter profitieren, die Prämien und Belegschaftsaktien erhalten werden.

Sowohl Volkswagen als auch die Deutsche Post gehören letztlich dem Staat. Aber VW steht im harten Wettbewerb, während sich die gelbe Post auf ihrem Briefmonopol dank der rot-grünen Wirtschaftspolitik noch bis 2007 ausruhen darf. Trotzdem überläßt sie über 5.000 Beschäftigte den Unwägbarkeiten der Sicherheitsbranche, während VW 5.000 gut bezahlte industrielle Arbeitsplätze schafft.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen