© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Preußische Intoleranz
Ulrich Motte

Urteile über die Vergangenheit werfen Angehörigen früherer Generationen oft Unrecht vor, obwohl deren Handeln dem damaligen Rechtsbewußtsein entsprach. Man sollte allenfalls dann von einem moralischen Zurückbleiben gegenüber anderen sprechen, wenn wenigstens einige Staaten oder sonstige Institutionen heute gültige Maßstäbe schon damals vertraten. Viel leichter dagegen ist die Beurteilung nach den Maßstäben, die sich Menschen und Staaten selbst gaben.

Preußen sei tolerant gewesen, "jeder solle nach seiner Fasson selig werden", sein Motto gewesen, geben noch heute Preußenfans zum besten. Tatsächlich blieb Preußen in seiner ganzen Geschichte weit weniger tolerant als etwa Rhode Island, heute USA, wo Baptisten schon 1638/39 die Religionsfreiheit uneingeschränkt einführten. In den gesamten USA galt sie spätestens seit 1830, was Menschenrechtsverletzungen in den USA auf anderen Gebieten natürlich nicht verdeckt. Um 1830 unterdrückte Preußen mit Waffengewalt die eher konservativen Altlutheraner der heutigen Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), die sich gegen die vom preußischen König erzwungene Union von Lutheranern und Reformierten wandten. Viele Altlutheraner flohen deshalb nach Australien und in die USA. Der Altreformierten Kirche, die sich gegen eine rationalistisch verflachende Theologie wandte, verweigerte die preußische Monarchie die den Altlutheranern 1845 doch gewährten Körperschaftsrechte bis 1918.

Im "Kulturkampf" nach 1870 wurde die Freiheit selbst der beiden staatlich bevorrechtigten Großkirchen massiv eingeschränkt, was insbesondere für Katholiken, ihre Pfarrer und Bischöfe zu Diskrimnierung und Verfolgung bis zum Gefängnisaufenthalt führte. Allerdings ist zuzugeben, daß trotz gegenteiliger Aussagen etwa des Zentrumsführers Ludwig Windhorst sowohl die katholische wie auch lutherische Staatskirchen im Gegensatz etwa zu den Freien Baptisten und der Evangelisch-Lutherischen Freikirche (ELFK), beide besonders konservativ, bis etwa 1965 das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ablehnten. Freikirchler bekamen während der Monarchie Schwierigkeiten, wenn sie etwa bei der Staatsbahn beschäftigt waren. Selbst adlige Offiziere mußten noch nach 1900 den Dienst quittieren, wenn sie Freikirchler wurden. Juden wurden im Frieden fast nie Offizier. Lehrer wurden entlassen, wenn sie sich für die konservativen Ev.-Luth. Gebetsvereine innerhalb der Landeskirche einsetzten, deren Veranstaltungen oftmals einfach verboten wurden. Einige andere deutsche Staaten waren damals übrigens noch intoleranter.


 
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