© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Widerstand gegen Fristenlösung
Schweiz: Lebensschützer und Christdemokraten erwirken Referendum über neues Abtreibungsgesetz
Johanna Christina Grund

Gegen die zur Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte in Lugano mehrheitlich beschlossene und am 23. März rechtswirksam gewordene Änderung der Artikel 118-121 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Schwangerschaftsabbruch) laufen die Christliche Volkspartei (CVP) und zwei Lebensschutzvereine, die "Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind" sowie die "Gesellschaft für den Schutz des ungeborenen Lebens" Sturm. Auch einzelne Politiker der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP, traditionell evangelisch) sind gegen das neue Gesetz, das aber mit SVP-Stimmen beschlossen wurde.

Die linkskatholische CVP hat vom Verfassungsrecht des fakultativen Referendums (Art. 141 Grundgesetz) Gebrauch gemacht und will das Volk abstimmen lassen. Am 3. April wurde das Referendum ergriffen. Bis zum 12. Juli mußten 50.000 beglaubigte Unterschriften bei der Bundesverwaltung vorliegen – das Quorum wurde schon im Juni erreicht. Damit ist das Begehren erfolgreich, und der novellierte Gesetzestext gilt nicht. Die auf Antrag der sozialdemokratischen Zürcher Nationalrätin Barbara Haering am 29. April 1993 im Parlament eingereichte und seitdem acht Jahre debattierte Änderung des seit 50 Jahren gültigen, recht strengen Abtreibungsrechtes läuft auf eine uneingeschränkte Fristenlösung hinaus: Innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode kann auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau wegen einer Notlage (soziale Indikation), nachdem der behandelnde Arzt mit der Frau ein persönliches Gespräch geführt hat, eine Abtreibung erfolgen.

Die bisher schon zugestandene medizinische Indikation (Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung der Frau oder eine erhebliche seelische Notlage) wird in die neue Regelung übernommen, aber erleichtert. Ansonsten bleibt jede Abtreibung auch nach der Gesetzesrevision strafbar. Das Bestreben, den Volksbestand durch eigene Nachkommenschaft zu erhalten und eine Umwandlung der viernationalen Eidgenossenschaft in ein multinationales Staatswesen zu verhindern, ist deutlich erkennbar.

Die Gegner der Fristenlösung, die von den Räten mehrheitlich als Angleichung von Gesetz und ohnehin halblegal ausgeübter Praxis angesehen wird, berufen sich sowohl auf ethische Werte (das Gebot "Du sollst nicht töten"), als auch auf den Erhalt einer den Arbeitskräftebedarf der hochindustrialisierten Schweiz deckenden und die Rentenansprüche erfüllenden Alterspyramide, ohne von Zuwanderung abhängig zu werden. Die CVP stützt sich dabei auf eine allerdings von National- und Ständerat verworfene Initiative, die das Recht der Frau und die Schutzpflicht des Staates für alles Leben, auch menschliches Leben vor der Geburt, gegeneinander nach Meinung der CVP besser abwägt.

Die CVP begründete ihre Initiative so: "Für die CVP ist das menschliche Leben das höchste Rechtsgut. Es ist Basis der Menschenwürde und Voraussetzung aller weiteren Grundrechte. Es besteht deshalb eine Pflicht des Einzelnen, der Gesellschaft und besonders des Staates, menschliches Leben zu schützen, auch menschliches Leben vor der Geburt. Die CVP fordert daher einen möglichst umfassenden Schutz des Lebens durch den Staat mit realitätsbezogenen, wirkungsvollen, rechtlichen und sozialen Mitteln." Die CVP will, "daß Frauen eine ungewollte Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen straffrei abbrechen dürfen, wenn sie vorher in einer staatlich anerkannten Stelle ein Beratungsgespräch geführt haben. Der letzte Entscheid über einen Abbruch und die Verantwortung dafür liegt bei der Frau. Angesichts der Notlage, in der sich eine ungewollt schwanger gewordene Frau oft befindet, will die CVP, daß die betroffene Schwangere nicht persönlich kriminalisiert wird. Durch die obligatorische Beratung wird eine sorgfältige Güterabwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Lebensrecht des Ungeborenen ermöglicht." Ungewollt Schwangere werden "in ihrer Konfliktlage nicht einfach allein gelassen, sondern sie werden durch Rat und praktische Hilfe in ihrer Entscheidfindung unterstützt". Dieser Vorschlag kommt bundesdeutschen Lösungen nahe. Dafür aber wird die CVP von den Vertretern der nun beschlossenen reinen Fristenlösung als auch von den Gegnern jeglichen Schwangerschaftsabbruches (außer Art. 120 StGB, Ziffer 1 der alten Fassung) bekämpft.

Das Referendum ist zwar erfolgreich zustande gekommen, aber nicht durch Signaturen für die gemäßigt argumentierende CVP. Sie läuft nun in das Debakel hinein, als "nicht referendumsfähig" angesehen zu werden. Ihre Zwickmühle kündigt sich schon jetzt deutlich an. Ihr Beratungsmodell wird nicht Gegenstand des Referendums. Die kommende Abstimmung durch den Souverän kann bei "Ja"/"Nein"-Entscheidung nur das strenge Gesetz aus den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts oder die neue reine Fristenlösung herbeiführen. Die CVP zielt aber eigentlich auf eine Rückverweisung der Causa an die Eidgenössischen Räte ab mit neuer Beratungschance für die CVP-Initiative. Die Abtreibung innerhalb von zwölf Wochen nur nach Arztgespräch wäre dann abgelehnt und nicht mehr verhandelbar.

Aber bis dahin steht noch ein weiter Marsch bevor. Die alte und die neue Fassung der Artikel 118-121 StGB lassen zwei Indikationen völlig unbenannt, die "eugenische Indikation", also die durch medizinische Untersuchungen im Zustand der Schwangerschaft schon erkennbare schwere körperliche Mißbildung des Embryos, aber auch die "kriminologische Indikation", also eine durch Vergewaltigung hervorgerufene Schwangerschaft. Dann soll abgetrieben werden dürfen oder dem Opfer der Straftat "Kindesweglegung" erlaubt sein.

Die CVP kämpft auch eigenen Widerständen: Die CVP-Frauen, die Junge CVP und der Verein "Pro Famila" verweigerten sich dem Referendum, das die Delegierten beschlossen. Die 4.000 Helfer aber, die die strikten Abtreibungsgegner mobilisieren konnten, haben locker an die 100.000 Signaturen geschafft. Die "Fundamentalisten" also, die eine viel strengere Regelung durchsetzen wollen und das CVP-Schutzmodell verschmähen, werden, ohne daß ihre Unterzeichner gemerkt haben, nicht das Referendum der CVP, sondern jenes eines ethisch und religiös inspirierten Komitees unterstützt zu haben.


 
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