© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Facetten einer Gewaltstrategie
Standardwerk zur Untersuchung des Terrorismus
Michael Wiesberg

Abhandlungen, die den weltweiten Terrorismus als Ganzes mit seinen verschiedenen Ausprägungen aufgreifen, sind in Deutschland, aber auch in Europa, sehr rar", bemerken Kai Hirschmann und Peter Gerhard im Vorwort der von ihnen herausgegebenen Aufsatzsammlung "Terrorismus als weltweites Phänomen". Die in diesem Band präsentierten Abhandlungen angelsächsischer und deutscher Autoren tragen eine Vielzahl von Aspekten zum Thema zusammen, die dem Leser einen differenzierten Einblick in die komplexe Materie des Terrorismus ermöglichen. Es ist wohl eben diese Komplexität, die bereits eine einheitliche Definition dessen, was Terrorismus eigentlich ist, bisher unmöglich gemacht hat. Diesem Faktum Rechnung tragend, sind verschiedene Autoren des Bandes wie der irische Psychologe Maxwell Taylor zunächst darum bemüht, eine Eingrenzung des Begriffs vorzunehmen. Unterschieden wird zwischen Staatsterrorismus und dem Terrorismus als "bevorzugter Gewaltstrategie relativ schwacher Gruppen" (Peter Waldmann) wie zum Beispiel der RAF in Deutschland in den siebziger Jahren. Deren Kriterium ist die Illegalität und die Operation im geheimen.

Der Staatsterrorismus kann in der Regel in drei Kategorien unterteilt werden: in Terrorherrschaft gegenüber der eigenen Bevölkerung, in staatlich geförderten Terrorismus und in staatlich geduldeten Terrorismus (Hans Joachim Gießmann).

Eine neue Qualität hat der weltweite Terrorismus durch das Ende des Kalten Krieges und die dadurch forcierte "Globalisierung der Märkte" erreicht. Der Münchner Politologe Klaus Lange weist in seiner Abhandlung auf die Kehrseite der Globalisierung in Gestalt von "Abkoppelungsprozessen" bestimmter Staaten hin, die mit der Funktionsweise "europäischer Modellstaaten" nicht mehr mithalten könnten. Die dadurch immer weiter auseinandergehende Entwicklungsschere führt zu "Prozessen von Entstaatlichung" bzw. zur "Implosion des staatlichen Ordnungsrahmens". In der Folge träten vorstaatliche Identifikationsrahmen in den Vordergrund: z.B. Familie, Clan, Stamm usw. Eine derartige Gemengelage hat der US-amerikanische Politologe Samuel Huntington bekanntlich als "Bruchlinienkonflikte" bezeichnet. Diese Konflikte haben deshalb eine besondere Affinität zum Terrorismus, weil laut Huntington "fundamentale Fragen der Identität auf dem Spiel stehen". Der Kampf verschiedener Stämme gegeneinander, so Lange, wird zum Beispiel im "höherem Maß terroristischen Charakter besitzen, wenn dieser Kampf nach der Implosion eines übergeordneten oder besser übergestülpten Legitimationsrahmens einsetzt". Daß es hierfür insbesondere in der postkolonialen Geschichte Afrikas eine Reihe von Beispielen gibt, zeigte jüngst wieder der blutige Konflikt zwischen Hutus und Tutsis.

Mit dem insbesondere aus europäischer und US-amerikanischer Sicht wohl interessantesten Aspekt im Hinblick auf das Phänomen Terrorismus beschäftigt sich der Berliner Islamwissenschaftler Peter Heine in seiner Studie "Religiös motivierter Terrorismus". Daß Heine hier insbesondere den radikal-islamisch motivierten Terrorismus im Auge hat, versteht sich bei seinem wissenschaftlichen Hintergrund von selbst. Heine macht in seiner lesenswerten Studie deutlich, wie stark antiwestlich der radikale Islam ausgerichtet ist. Der Westen ist aus dem Blickwinkel radikaler Moslems vor allem eine Gesellschaft der Manipulation und der Dekadenz. Die Autoren sind sich darin einig, daß die USA dem terroristischen Arm des radikalen Islams in Afghanistan im Krieg gegen die Sowjetunion entscheidende Hilfsdienste geleistet haben. Dies gilt insbesondere auch für den derzetgen Top-Terroristen Osama bin Laden, für den die Besetzung Afghanistans durch sowjetische Truppen 1979 zum "Schlüsselerlebnis" wurde. Mit 500 Millionen Dollar jährlich, so der Terrorismusforscher Rolf Tophoven, sponserten die CIA die afghanischen Widerstandeskämpfer, die mit modernstem Kriegsgerät ausgerüstet wurden. Nach Ende des Krieges rekrutierte bin Laden aus den nun beschäftigungslos gewordenen "Freiheitskämpfern" Kader für den späteren Terror gegen die USA bzw. die westliche Welt. Tophoven skizziert den saudi-arabischen Multimillionär bin Laden als "neuen Typ von Terroristen", "bei dem sich eine radikal-islamistische Weltsicht mit einem ausgeprägten extremistischen Handlungstrieb vermengt". Für bin Laden könne die Gleichung aufgemacht werden: "Extremismus plus Geld gleich Terrorismus!" Die besondere Gefährlichkeit bin Ladens liegt nach Auffassung des US-amerikanischen Terrorismusexperten Stephen Emerson in dessen Fähigkeit, Netzwerke zu knüpfen und unterschiedliche Interessen, Geld und Ideologien nicht nur zu konsolidieren, sondern zu einer "kritischen Masse" bündeln zu können.

Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik beschäftigt sich in seiner Studie mit dem Aspekt, der die Phantasien wohl am meisten anregt: dem Thema "Terrorismus und Massenvernichtungswaffen". In eine ähnliche Richtung geht auch die Abhandlung des Politologen Oliver Thränert, der sich mit biologischen und chemischen Kampfstoffen in den Händen von Terroristen auseinandersetzt. Ohne die Brisanz dieses Themas schmälern zu wollen, kommen beide Autoren zum Ergebnis, daß die logistischen und technischen Probleme, die Massenvernichtungswaffen mit sich bringen, gegen eine breite Anwendung durch Terroristen sprächen und Sprengstoff auch in Zukunft das bevorzugte Mittel für terroristische Anschläge bleiben dürfte.

Der von Hirschmann und Gerhard verantwortete Sammelband zum Thema "Terrorismus" schließt nicht nur eine Lücke in der laufenden Diskussion. Wer immer sich in Zukunft mit diesem Thema auseinandersetzt, wird an diesem Kompilat nicht vorbeikommen, dem es gelingt, die vielenFacetten der Terrorismusproblematik adäquat zu beschreiben. Mit anderen Worten: Hier wurde ein Standardwerk vorgelegt.

 

Kai Hirschmann/Peter Gerhard (Hg.): Terrorismus als weltweites Phänomen. Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Schriftenreihe zur Neuen Sicherheitspolitik, Bd. 18., Berlin-Verlag Arno Spitz Berlin 2000, 269 S., 44 Mark


 
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