© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Der antipreußische Affekt
von Karlheinz Weißmann

Bismarckismus" – bismarckism war ein während des Ersten Weltkriegs häufig gebrauchter Begriff, mit dem die preußisch-deutsche Politik charakterisiert werden sollte. Die Propaganda der Entente verstand darunter eine brutale Vorgehensweise, die Macht vor Recht stellte, keine Bindung an das christliche Sittengesetz und die "westliche" Zivilisation kannte.

In seinem 1918 erschienenen Buch "Wilhelm Hohenzollern & Co." schrieb der amerikanische Journalist Edward Lyell Fox, man führe den Krieg "... nicht gegen das deutsche Volk, aber gegen jene kleine Gruppe, (…), die ein natürliches, friedliches und kunstliebendes Volk mit Preußentum vergiftet". Bismarck sei derjenige, der diese Vergiftung begonnen habe, Friedrich Nietzsche der "Philosoph des Preußentums", der Historiker Heinrich von Treitschke und der frühere General Friedrich von Bernhardi hätten die "Essenz des Preußentums" am erfolgreichsten propagiert, und diese Essenz sei "Barbarei".

Man kann in der Argumentation Denkfiguren wiederfinden, die schon im 19. Jahrhundert ausgebildet worden waren und seitdem in immer neuen Varianten aufgetaucht sind. Die erste beruht auf der Annahme der "beiden Deutschland", die in etwa besagt, es gebe ein gutes, gemütliches, poetisches, zurückgebliebenes und machtloses Deutschland und ein böses, effizientes, dämonisches, modernes und starkes Deutschland. Für das eine steht symbolisch "Weimar", für das andere "Potsdam". Dieses Stereotyp spielte in der französischen Literatur vor allem nach der Niederlage von 1871 eine wichtige Rolle, läßt sich aber in seiner Grundstruktur bis auf die Betrachtungen über Deutschland der Madame de Staël zurückführen, die den Dualismus vor allem in Preußen selbst feststellte: "Preußen zeigt ein Doppelgesicht", äußerte sie schon 1810, "wie der Januskopf: ein militärisches und ein philosophisches".

Der erste, der den Begriff "Bismarckismus" benutzte, war aber kein Franzose, sondern der Engländer Frederic Harrison, der im Dezember 1870, also während des Deutsch-Französischen Krieges, in der angesehenen Fortnightly Review schrieb: "... was ist dann Preußen? Die preußische Monarchie ist ein Geschöpf des Krieges. Ihre Geschichte, ihre Traditionen, ihre Ideale sind einfach die des Krieges. Es ist das einzige europäische Königreich, das, Provinz für Provinz, auf dem Schlachtfelde aufgebaut wurde, Stein für Stein mit Blut gemauert. Seine Könige waren Soldaten: manchmal waren es Generale, manchmal, so wie jetzt, Drillfeldwebel; aber immer Soldaten. Die ganze Staatsorganisation, von oben bis unten, ist militärisch. Die Bevölkerung ist eine wohlgedrillte Nation von Soldaten auf Urlaub: ihr Souverän der Höchstkommandierende, ihre Aristokratie die Generalstabsoffiziere, ihre Hauptstadt ein Militärlager ... Unglücklicherweise hat sich dieses Evangelium des Schwertes dem preußischen Volke tiefer eingeprägt als irgendeinem anderen in Europa ... Es ist dort ganz vergessen worden, daß das Individuum ein vom Nationalcharakter wesentlich verschiedenes Ding ist: und aus dem behaglich-fröhlichen Hans an seinem stillen Herd wird vermöge eines verwickelten Systems von Staatseinrichtungen ein Glied einer Nation, ein Teil eines Eroberervolkes (…) Ich spreche es bewußt aus, daß Deutschland jetzt den Krieg mit unmenschlicher Grausamkeit weiterführt. Ein Krieg von solcher Wildheit, eine solch erbarmungslose Drangsalierung der Zivilbevölkerung ist seit zwei Generationen in Europa nicht mehr erlebt worden – mit einer Ausnahme: dem russischen Vernichtungskrieg gegen Polen. Es war Deutschland mit seiner angeblichen Kultur vorbehalten, die verabscheuungswürdigen Sitten östlicher Barbarei in das Herz des Westens getragen zu haben (…) Obwohl die Deutschen die Grausamkeit nicht geradezu lieben, sind sie ihrer sehr wohl fähig, wenn sie ihren Zwecken dient, und sie legen dabei eine ruhige, innere Zufriedenheit, eine geschäftsmäßige Gründlichkeit an den Tag, die noch viel abscheulicher ist als Exzesse der Leidenschaften (…) Auf ihnen und auf ihren Kindern wird der Fluch ruhen, im heutigen Europa die blutigen und barbarischen Sitten der Vergangenheit wiedererweckt zu haben – das Verwüsten des Feindeslandes im großen Maßstabe, das systematische Hinmorden der Zivilbevölkerung."

Es war notwendig, hier etwas ausführlicher zu zitieren, um zu zeigen, wie stark man bestimmte antipreußische und antideutsche Stereotypen bereits vor der Zeit der beiden Weltkriege entwickelt hatte. Neben dem Bild des mordenden und sengenden Barbaren spielte dabei noch ein anderes Motiv eine wichtige Rolle, das in dem eingangs erwähnten Text auch ausdrücklich hervorgehoben wird: die Behauptung von "Vorläufern" und "Wegbereitern", die das Unheil, das das "Preußentum" über Deutschland gebracht haben sollte, durch Rekonstruktion des Ursprungs erklären sollte. Die Linien können wie bei Fox bis auf den germanischen Furor zurückreichen, für gewöhnlich zielen sie aber auf die Darlegung eines direkteren Zusammenhangs zwischen den Eroberungen Friedrichs des Großen, der "Blut-und-Eisen"-Politik Bismarcks, der "Macht"-Philosophie Nietzsches, dem Bellizismus Treitschkes und des erwähnten Bernhardi.

Letzterer ist heute praktisch vergessen, hatte aber 1911 ein viel gelesenes Buch mit dem Titel "Deutschland und der nächste Krieg" geschrieben, das den Kampf in darwinistischer Manier als Jungbrunnen der Nationen feierte, dem aber im Blick auf die politische Gesamtlage eine gewisse Hellsichtigkeit nicht zu bestreiten ist: "England, Frankreich und Rußland haben das gemeinsame Interesse, unsere Macht zu brechen. Dieses Interesse wird sie voraussichtlich über kurz oder lang auch militärisch zusammenführen."

Angesichts der Vorstellung von der fatalen Bedeutung des prussianism kann nicht überraschen, daß im Ersten Weltkrieg für den Fall eines alliierten Sieges zumindest die Zerschlagung des preußischen Staates und der preußischen Armee verlangt wurde. Vor allem auf französischer Seite war die Idee einer "Hinrichtung Preußens" populär. Der Geograph Onésime Reclus schrieb bereits 1915 in seinem Pamphlet L’Allemagne en morceaux ("Deutschland in Stücken" ): "Die ganze Nation ist schuld. Bis zu den preußischen Siegen mochte sich der Krieg in Grenzen der Ehre und Menschlichkeit halten. (…) Seit Bismarcks Zeiten (…) haben sie aus dem Kriege ein allgemeines Halsabschneiden gemacht. (…) Ja, sie sind es wert, in die Sklaverei geschleppt zu werden! Zögern wir nicht, sie bis über den Hals in Schulden zu stürzen! Die Theoretiker und Praktiker des Präventivkrieges müssen präventiv vernichtet werden."

Es ist dieses Delirium des Hasses keineswegs die Ausnahme, sondern eher die Regel gewesen, aber man könnte sich trotzdem damit beruhigen, daß solche Ausfälle in modernen Kriegszeiten häufig waren, im Blick auf Preußen und Deutschland aber der Vergangenheit angehören, wenn nicht zu befürchten stände, daß das Zerrbild preußischer Politik, das hier gezeichnet wurde, bis in die Gegenwart überlebt hat. Abgemildert vielleicht, aber trotzdem vital. Neben dem tumben Michel sind der "Hunne" mit Pickelhaube, von Blut triefende Waffen in den Klauen, und der gefühlskalte, dabei hochintelligente und trotzdem düsterer Todessehnsucht hingegebene Generalstabsoffizier bis heute verwendete Chiffren, um preußisch-deutsches Wesen darzustellen, in den populären Medien sowieso, aber sublimiert auch in jedem anderen Kontext.

Wenn man als Maßstab für die Aggressivität eines Staates die Zahl der von ihm geführten Kriege nimmt, wird man große Schwierigkeiten haben, Preußen "Angriffslust" (David Lloyd George) nachzuweisen. Ohne Zweifel hat unter den europäischen Mächten Großbritannien im 19. Jahrhundert die meisten Kriege geführt, bald gefolgt von Frankreich und Rußland. Preußen war dagegen nach dem Ende der napoleonischen Zeit für fünfzig Jahre an keinem der größeren Feldzüge – der Expedition Frankreichs gegen Spanien von 1823, dem Krimkrieg 1853-1856, dem Italienisch-Österreichischen Krieg von 1859 – beteiligt. Aber man müßte daneben ja auch noch die kriegsähnliche, jedenfalls ausgesprochen gewaltsame Unterdrückung nationaler Aufstandsbewegungen (in Irland) sowie die Kämpfe in Übersee einbeziehen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat Großbritannien zur Ausdehnung oder Verteidigung seines Imperiums Kriege gegen die USA und China geführt, außerdem zahlreiche Territorien in Afrika und Asien unterworfen. Diese Linie setzte sich in den folgenden Dezennien fort, führte zur vollständigen Eroberung Indiens, Australiens und Neuseelands sowie der Schaffung eines afrikanischen Reiches, das fast die Linie Kap – Kairo unter britische Kontrolle stellte. Dem Muster folgen in der zweiten Jahrhunderthälfte neben Frankreich auch kleinere Staaten wie Belgien, die Niederlande und Dänemark, und schließlich auch Deutschland.

Noch 1860 höhnte die Times über Preußen, daß es Verhandlungen auf Konferenzen vorziehe und die Entscheidung auf dem Schlachtfeld furchtsam scheue. Das änderte sich rasch in der Folgezeit, als Preußen Kriege führte oder mitführte, die sich zwischen 1864 und 1871 gegen Dänemark, Österreich und Frankreich richteten. Kaum ein Zeitgenosse (abgesehen von Angehörigen der besiegten Nationen) hat an der "Normalität" dieser Kämpfe irgendwelche Zweifel gehabt. Sie waren kein Ausdruck von latenter Aggressivität, sondern – wie es der bedeutende preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz formuliert hatte – Anwendung des Krieges als "... ein wahres politisches Instrument ..., eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln". Der erste dieser Konflikte hatte ganz den Zweck einer Wiederherstellung des Rechtszustandes in den von Kopenhagen dem dänischen Reichsverband zugeschlagenen "deutschen" Herzogtümern Schleswig und Holstein, der zweite erinnerte schon Miterlebende an den Amerikanischen Bürgerkrieg, bei dem es gleichfalls um den Bestand beziehungsweise die Einheit der Nation ging, der dritte schließlich mußte für jeden als unvermeidbar gelten, der die traditionell gegen ein Erstarken Deutschlands gerichtete Politik Frankreichs kannte und ernst nahm.

Bezeichnenderweise hat Bismarck nach der Reichsgründung immer wieder betont, daß der neue Staat "saturiert" sei, daß er keine weitergehenden Ansprüche territorialer Art mache; selbst in der Kolonialfrage war er äußerst zurückhaltend, um zusätzliche Konflikte mit den anderen europäischen Mächten zu vermeiden. Der Historiker Rudolf Stadelmann hat mit Grund die Auffassung vertreten, daß Bismarck 1871 weitergehenden Sicherungsforderungen der Militärs widersprochen habe, obwohl er sie angesichts der zu erwartenden Revanche Frankreichs für berechtigt hielt. Moltkes zwei Jahre nach der Reichsgründung geäußerter Ansicht, man müsse einen weiteren Waffengang gegen den Erbfeind kalkulieren, der dann aber eine wirkliche Entscheidung zur Folge haben sollte – "... endlich den Vulkan zu schließen, der seit einem Jahrhundert Europa durch seine Kriege wie durch seine Revolutionen erschüttert" –, hat er ebenso widersprochen, wie dem Plan des Generalstabschefs für einen vierten Einigungskrieg, um Österreich mit Deutschland in einem mitteleuropäischen Block zusammenzuschließen, der auf Dauer eine unangreifbare Stellung haben sollte. Bismarck graute vor einer "Reihe von Rassenkriegen", die die Zukunft des alten Kontinents bestimmen könnten, und man darf ihm den Satz schon abnehmen, es sei "Jeder Krieg, auch der siegreiche, immer – ein großes Unglück für das Land, das ihn führt".

Der Befund für das 19. gilt im Grunde ähnlich für das 18. Jahrhundert. Auch hier war die erste Hälfte eine ausgesprochen friedliche Ära preußischer Geschichte, gab es keine Verwicklung in größere militärische Konflikte zwischen der Krönung Friedrichs I. und der Thronbesteigung Friedrichs des Großen, abgesehen von der eher belanglosen Teilnahme am Spanischen Erbfolgekrieg und dem Nordischen Krieg gegen das Schweden Karls XII. Den entscheidenden Bruch bildete selbstverständlich die Zeit Friedrichs des Großen, die durch immerhin drei Kriege gekennzeichnet war.

Am Beginn des Ersten Schlesischen Krieges wurde in Paris folgendes Couplet verbreitet: "Was halten Sie von diesem neuen König,/ der sich entrüstet gegen Machiavell/ und unter seinesgleichen Aristarch will sein?/ Ist dies ein Weg wohl zur Unsterblichkeit?/ Bringe in Einklang, wer’s vermag,/ seine Moral und seiner Invasion Motive!/ Dies gleicht der Dirne, die Vestalin glaubt zu sein,/weil über die Versuchung sie gelehrt geschrieben./ Mit offener Gewalt ins Erbe einzudringen/ des Souverains, dem man sich Freund genannt,/ als Vater reden und als Widersacher handeln –/ wahrhaftig, mehr hat Machiavell auch nicht gewollt!"

Der Text spielte darauf an, daß Friedrich in der Kronprinzenzeit einen "Anti-machiavell" verfaßt hatte, der noch kurz vor seiner Thronbesteigung veröffentlicht worden war. Es handelte sich um eine scharfe Abrechnung mit dem Politik-Konzept Machiavellis. Dazu schien der Angriff auf Schlesien im eklatantem Widerspruch zu stehen. (...)

Der Philosoph und Soziologe Hans Freyer hat in einer gründlichen Analyse des "Antimachiavell" versucht, ein gerechtes Urteil über das Vorgehen Friedrichs zu fällen und die Frage des Widerspruchs zu seinen ursprünglichen Äußerungen zu klären. Freyer meinte, daß dieser Widerspruch nur ein scheinbarer sei und auf eine oberflächliche Lektüre des Buches zurückgehe. Keineswegs habe Friedrich jene schon oft geübte und billige Kritik an Machiavelli wiederholen wollen, die diesem einen Mangel an Tugend vorwarf. Er habe vielmehr dessen Begriff des Politischen abgelehnt.

Machiavelli sei durch die Ausnahmesituation der oberitalienischen Stadtrepubliken zu der Anschauung verführt worden, daß es zwischen Staat und privater Existenz keine wirkliche Unterscheidung gebe, dieselben Mittel hier wie dort gebraucht würden und gleichermaßen brauchbar seien. Demgegenüber bestehe Friedrich auf dem Sonderrecht des Staates, den er allerdings schon in einer entwickelten Gestalt kenne, stabilisiert durch eine Legitimität, von der Machiavelli in den politisch chaotischen Zeiten der italienischen Renaissance nichts wissen konnte.

In diesem Zusammenhang wies Freyer auch ausdrücklich auf das 26. Kapitel im "Antimachiavell" hin; dort heißt es: "Da es in der Welt keine Gerichtshöfe gibt, die über den Königen stehen, und keine Behörden, die ihre Streitigkeiten schlichten, so kann nur der Kampf über ihre Rechte entscheiden und das Urteil über die Gültigkeit ihrer Gründe fällen. Herrscher plädieren mit den Waffen in der Hand; sie zwingen, wenn sie können, ihre Gegner, die Gerechtigkeit ihrer Sache anzuerkennen." Niemand, der die Geschichte und Gegenwart der Staaten betrachtet, kann diesen Sachverhalt im Ernst bestreiten. Das Fehlen jeder funktionstüchtigen zwischenstaatlichen Gewalt führt bis heute dazu, daß Staaten ihre Forderungen im letzten nur selbst verfechten und durchsetzen können, notfalls unter Anwendung militärischer Mittel. Allerdings scheut man sich vor der Ehrlichkeit, mit der Friedrich alles Bemühen beiseite schob, ganz formal gerechte von ungerechten Kriegen, Angriffskriege von Verteidigungskriegen zu scheiden. "Ich gebe übrigens zu", heißt es an anderer Stelle, "daß es peinliche Notwendigkeiten gibt, wo ein Fürst nicht umhin kann, seine Verträge und Bündnisse zu brechen ...". Das dürfe aber nur geschehen, wenn eine "Notwendigkeit" vorliege. Die necessita war auch für Machiavelli ein entscheidendes Argument, um die Anwendung von Gewalt in der Politik zu rechtfertigen, aber anders als Machiavelli hat Friedrich niemals bestritten, daß der Krieg an sich ein Übel sei, eine nécessité fatale.

Nur derjenige, so Friedrich weiter, dürfe dieses Argument für sich in Anspruch nehmen, dessen Staat auch die Möglichkeit habe, auf dem eingeschlagenen Weg seine Aufgabe zu erfüllen. Nur "Eroberer aus Notwendigkeit", nicht "Eroberer aus Temperament" sind gerechtfertigt in ihrem Tun, nur Staaten, die das Potential haben, dürfen sich durch Expansion eine Grundlage für ihre dauernde Fortexistenz schaffen. Das klingt in den Ohren der Heutigen ungeheuerlich, aber jede nüchterne Betrachtung der Vergangenheit zwingt zur Anerkennung der Tatsache, daß die Entwicklung aller politischen Ordnung, die sich durchsetzen konnte, diesem Grundsatz folgte.

Allerdings geschah das noch nicht im Licht der europäischen oder Weltöffentlichkeit, und die moralischen Bedenken des einen oder anderen Autors, oft genug nur im geheimen niedergeschrieben, blieben ohne Folgen. Weder Frankreich noch England noch Rußland oder Italien, um nur diese Beispiele zu nennen, entstanden ohne die Unterwerfung von Gebieten und nachfolgende Einschmelzung etwa widerstrebender Teile. Die USA sind nur ein letztes Beispiel in dieser Reihe. Ihre politische Basis wurde im 19. Jahrhundert geschaffen in einer ununterbrochenen Folge von Kriegen, nicht nur gegen die Ureinwohner, sondern auch gegen die Nachbarn; bereits 1812 griffen die Vereinigten Staaten Kanada an mit dem Ziel, es der Union einzugliedern, es folgten Kriege gegen Mexiko, die mit der Eroberung von Florida, Texas und New Mexico endeten, und schließlich noch der Konflikt mit Spanien um den Besitz von Kuba. (...)

Es ist dieser Hinweis auch wichtig im Zusammenhang mit der Entstehung des Textes von Freyer, den dieser 1943/44 niederschrieb, und der zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht wurde. Freyer hat ihn ganz bewußt im Kontrast zur Herrschaftspraxis eines Regimes entworfen, das sich gerne auf das Vorbild Preußens und insbesondere Friedrichs des Großen berief, aber in seiner Halt- und Hemmungslosigkeit gerade jene Tradition verriet, die man bevorzugt in Anspruch nahm. Hitler kannte weder den Glauben des Soldatenkönigs an die Nemesis Gottes, der die Taten des schlechten Monarchen zeitlich und ewig strafen werde, noch den Glauben Friedrichs an die sittliche Kraft der Vernunft.

 

Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat in Göttingen. Bei seinem Text handelt es sich um einen Vorabdruck aus seinem neuen Buch "Die preußische Dimension", das im Juli im Herbig Verlag, München, erscheint.


 
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