© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Papstbesuch auf vermintem Gelände
Carl Gustaf Ströhm

Papstbesuch auf vermintem Gelände Ost ist Ost und West ist West – und niemals kommen sie zusammen. Dieser Ausspruch des Briten Rudyard Kiplings – Verfasser des "Dschungelbuchs" – könnte als Motto über der Papstreise in die Ukraine stehen. Der polnische Papst Johannes Paul II. hat die Versöhnung zwischen westlichem Katholizismus und orthodoxer Ostkirche zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Seit Jahren ist sein Ziel eine Reise nach Moskau, um dort die wiedergewonnene Einheit mit der Orthodoxie zu besiegeln.

Die jetzige Reise nach Kiew war zwar kein Ersatz dafür, aber doch eine Art Versuchsballon. Wie würde das orthodoxe Moskauer Patriarchat reagieren? Johannes Paul II. hat sich gleich zu Beginn öffentlich für alles Böse entschuldigt, was Katholiken den Orthodoxen im Lauf der Geschichte angetan haben. Vom Moskauer Patriarchat dagegen kam nichts Versöhnliches. Patriarch Alexius II. hielt sich – vielleicht nicht ganz zufällig – im benachbarten Weißrußland auf, als der Papst in Kiew landete. Der Patriarch lehnte ein Treffen mit dem römischen Oberhirten schlichtweg ab. Mit zusammengepreßten Lippen und funkelnden Augen sagte Alexius, mit der katholischen Kirche sei keinerlei Zusammenarbeit möglich, weil diese "Proselyten" mache – mit anderen Worten: im Raum der Orthodoxie missioniere. Außerdem nimmt das Moskauer Patriarchat dem Papst übel, daß dessen Gläubige in der Ukraine das kirchliche Eigentum der Unierten zurückfordern, das Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg der Orthodoxie zuschanzte. Damals mußten die Unierten, die vor allem in der Westukraine verbreitet sind, in den Untergrund gehen und wurden blutig verfolgt. Einer ihrer Märtyrer war Kardinal und Metropolit Josyf Slipyj, der nach 18jähriger Gulag-Haft 1963 nach Rom ausreisen durfte und dort 1984 – verbittert über die Verständnislosigkeit der "Westler" – mit 92 gestorben ist, ohne das Ende des Sowjetsystems erlebt zu haben.

Vielleicht hat der polnische Papst, der gesundheitlich immer zerbrechlicher wird, während er geistig noch voll präsent ist, selber nicht begriffen, daß er mit seiner Ukraine-Reise in ein Wespennest religiöser, nationaler und machtpolitischer Intrigen gestochen hat. Moskaus neuer Botschafter in der Ukraine, Viktor Tschernomyrdin, sprach sich heftig gegen den Besuch des Papstes aus. Hier zeigt sich der politisch-konfessionelle Gleichklang zwischen dem politischen und dem religiösen Moskau: Beide sehen im Papst einen westlichen Eindringling, wenn nicht gar Feind auf heiliger orthodoxer, russischer Erde – zu der auch die Ukraine gezählt wird. Die besonders in der Westukraine heimische unierte (griechisch-katholische) Kirche, die seit dem 16. Jahrhundert den Papst als Oberhaupt hat, gleichzeitig aber am Ritus der Ostkirche festhält (auch Priesterehen sind erlaubt), gilt als besonders heimtückische Missionswaffe des Vatikan. "Unierte" und "westliche" Katholiken haben gegenüber der russischen Orthodoxie einen Vorteil: Sie sind, anders als das Moskauer Patriarchat, nicht mit dem Makel der Kollaboration mit der Sowjetmacht behaftet. Das verschafft den "Divisionen des Papstes" im Osten Respekt und Vertrauen.

Nicht zu vergessen: die westliche Ukraine (Lemberg, Tarnopol) gehörte bis 1918 zu Österreich, danach bis 1939 zu Polen. Das hat Menschen und Kirche geprägt. Der Papstbesuch hat gezeigt, daß der Kampf um die Ukraine nicht ausgestanden ist, ja daß er vielleicht in sein entscheidendes Stadium tritt. An ihm wird sich entscheiden, ob die Ukraine sich religiös, aber auch politisch nach Westen oder nach Moskau orientieren wird.


 
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