© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
"Das erschreckt mich"
Die SPD-Abgeordnete Anneliese Neef zur Kooperation ihrer Partei mit der PDS
Moritz Schwarz

Frau Neef, Sie haben als Abgeordnete der SPD in der Sondersitzung am 16. Juni des Berliner Abgeordnetenhauses gegen das konstruktive Mißtrauensvotum von SPD, PDS und Grünen gegen Eberhard Diepgen protestiert. Warum?

Neef: Mit einer möglichen Zusammenarbeit mit der PDS nach den Neuwahlen vor Augen ist der Sturz der bisherigen Regierung der Einstieg in einen Prozeß, der in eben einer solchen Koalition endet. Fast dreißig Jahre Mauer und vierzig Jahre Stasi-Überwachung sind aber wohl Grund genug, gegen jede Gemeinsamkeit mit der PDS zu stimmen.

Haben Sie bewußt als Sozialdemokratin dagegen gestimmt?

Neef: Ja. Ich sehe mich mit meiner Entscheidung durchaus im Einklang mit der Tradition der SPD. In dieser bin ich erzogen worden. Das ist keine Rückwärtsgewandheit, sondern Kenntnis der Geschichte.

Wenn es "sozialdemokratische" Gründe waren, warum haben sich dann nicht mehr Genossen auf die Hinterbeine gestellt?

Neef: Der Eindruck trügt. Es ist nicht so, daß die ganze SPD ihr Versprechen von 1999, nicht mit der PDS zusammenzuarbeiten, vergessen hätte. Zwei Fraktionskollegen haben sich immerhin der Stimme enthalten. Gerade im Osten haben sehr viele Sozialdemokraten erhebliche Probleme mit der Zusammenarbeit mit der PDS. Ein Motiv für meine Rede war auch, für die in der SPD zu sprechen, die so denken, aber keine Stimme haben.

Der Kurt-Schumacher-Kreis erinnert in einem öffentlichen Protestbrief daran, daß auf Veranlassung der SED 5.000 Sozialdemokraten zumeist langjährig inhaftiert wurden, 400 davon in der Haft umgekommen sind. Die SPD verrät also ihre eigenen Genossen!

Neef: Das ist in der Tat ein treffendes Argument. Andersdenkende wurden in der DDR immer ausgegrenzt. "Sozialdemokratismus" war ein Schimpfwort.

Warum gibt es fast keine Sensibilität dafür unter Ihren Fraktionskollegen?

Neef: Nein – das Problem wird dort schon differenziert gesehen. Einzelne Menschen von der PDS in die SPD zu holen, befürworte auch ich auf jeden Fall, denn Menschen können sich ändern. Aber mit der ganzen Partei zusammenzuarbeiten ist in meinen Augen nicht richtig.

Hat sich die PDS gewandelt?

Neef: Nein.

Wurden Sie intern für Ihr Engagement kritisiert?

Neef: Kritisiert wurde ich dafür, daß mir die CDU Beifall geklatscht hat.

Das übliche undemokratische Totschlagargument des "Applaus von der falschen Seite"?

Neef: Ja, aber alles in allem fühle ich mich durchaus fair von meinen Fraktionskollegen behandelt. Auch mit dem Wissen im Hinterkopf, daß ich nicht nur für mich alleine spreche. Die SPD ist eine pluralistische Partei, in der verschiedene Meinungen durchaus ausgehalten werden.

Was werden Sie tun, wenn es nach der Neuwahl tatsächlich zu einer rot-roten Koalition kommt?

Neef: Mit der Perspektive einer Zusammenarbeit mit der PDS werde ich wohl gar nicht mehr für meine Partei antreten. Das ist die Logik aus meinen Worten.

Was halten Sie von Klaus Wowereit?

Neef: Es kann mir natürlich nur recht sein, daß jetzt ein Sozialdemokrat Regierender Bürgermeister von Berlin ist. Ich bedaure nur, daß es auf so abenteuerliche Weise geschen mußte. Ich denke, er hätte auch mit einem ruhigeren Voranschreiten seine durchaus berechtigten Machtansprüche erreichen können.

Zeigt der Weg, den Wowereit gegangen ist, also seine Skrupellosigkeit?

Neef: Ich möchte nicht moralisch über ihn richten, ich sagte ja, daß ich den gewählten Weg mißbillige.

Erst Tolerierung, dann Koalition in der Provinz, dann in der Bundeshauptstadt. Ganz offensichtlich eine Salamitaktik, um Skrupel unmerklich zu beseitigen. Nach dieser Logik ist 2002 auch eine eine rot-rote Koalition im Bund möglich.

Neef: Die Befürchtung muß man haben. Und das erschreckt nicht nur mich.

Also: "Stoppt die SPD!"?

Neef: Es ist ja keine Wunschkoalition. Ich hoffe, die SPD erhält bei der Neuwahl viele Stimmen und es reicht für Rot-Grün oder Rot-Gelb.

Hat Sie das alles moralisch verstört?

Neef: Ja, ich bin sehr enttäuscht. Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Ich bin 1989 mit Begeisterung in die Sozialdemokratie gegangen, damals noch SDP, und ich hätte nie an eine erneute Wende nach nur zehn Jahren geglaubt. Wir waren uns damals alle einig: Was in der DDR passiert ist, sollte nie vergessen sein.

 

Dr. Anneliese Neef, 58, ist Kulturwissenschaftlerin und seit 1995 für die SPD Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit 1969 arbeitete sie an der Humboldt-Universität. 1989 trat sie der neugegründeten Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP) bei, die sich 1990 mit der SPD vereinte.


 
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