© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Gipfelpoesie zwischen Bush und Putin
Carl Gustaf Ströhm

Und ein klein bißchen Lieb, und ein klein bißchen Treu, und ein klein bißchen Falschheit war auch mit dabei – dieser Heine-Vers kommt einem in den Sinn, wenn man den seltsamen Bush-Putin-Gipfel vom 16. Juni an sich vorüberziehen läßt. Beide Präsidenten machten, wie man so sagt, freundliche Nasenlöcher in der slowenischen Hauptstadt. Bush betonte, Amerika betrachte Moskau nicht als Feind, sondern als Partner und sogar potentiellen Verbündeten. Der Russe betonte gleichfalls die Notwendigkeit gegenseitiger Zusammenarbeit. Bush sagte, Rußland gehöre zu Europa – was besonders jenen Europäern, die an den russischen Koloß grenzen, nicht sehr gefallen dürfte.

Ansonsten sagte schon die Reiseroute der beiden Weltstaatsmänner das genaue Gegenteil aus. Bush kam aus Polen – dem traditionellen Gegenspieler Rußlands –, wo er den Willen der USA bekräftigte, die baltischen Staaten als Vollmitglieder in die Nato aufzunehmen, was Putin überhaupt nicht behagt. Die Umrahmung der Putin-Reise vor und nach den Treffen von Laibach schmeckte gleichfalls mehr nach Konflikt als nach einem ost-westlichen Honigmond. Bevor er sich mit Bush traf, reiste Putin demonstrativ nach China, wo er sich mit seinen Pekinger Gastgebern im Zeichen gemeinsamer Ablehnung der US-Hegemonie verbrüderte. Eine Achse Peking – Moskau mit antiamerikanischen Vorzeichen ist nicht mehr auszuschließen.

Als die Sondermaschine "Rossija" vom Laibacher Flughafen abhob, nahm Putin nicht etwa Kurs nach Moskau, sondern besuchte – gleichfalls demonstrativ – Serbien, den traditionellen Schützling Rußlands auf den Balkan. Angesichts der bewaffneten Nato-Intervention ist es hier nicht schwer, offene oder verdeckte antiamerikanische Gefühle zu mobilisieren. Um dem Ganzen gewissermaßen die nötige Würze zu geben, flog die "Rossija" gleich auch noch ins Kosovo, wo Putin russische KFOR-Truppen inspizierte und – wie schon zuvor in Belgrad – die territoriale Integrität Jugoslawiens sowie die Unveränderbarkeit der Grenzen postulierte. Der russische Präsident machte kein Hehl daraus, daß er die Albaner, die er als "Terroristen" charakterisiert, ebenso vernichtet sehen möchte wie bei sich zu Hause die Tschetschenen. George W. Bush hat dem russischen Präsidenten konzediert, zumindest formell gleichberechtigt mit der US-Weltmacht auftreten und global mitsprechen zu dürfen. Die Situation ist ein wenig absurd: Rußland balanciert am Rande des Abgrunds, 40 Prozent der Wirtschaft des Landes werden von der Mafia kontrolliert – aber Moskau hat noch immer genügend atomare Macht, um die ganze Menschheit zu vernichten. Mit diesem Paradoxon wird die Welt leben müssen.

Die Amerikaner aber sollten sich daran gewöhnen, daß ihnen das Rußland Putins ungeniert in den Suppenteller spuckt – der Balkan ist in dieser Hinsicht für Moskau ein ideales Manövrierfeld. Die westliche Politik in diesem Raum ist konzeptionslos, mutlos und in sich uneins. Auch die Bush-Administration hat bisher kein kohärentes Konzept vorgelegt. Der Ex-KGB-Resident Putin weiß, was er will: Er hat den russischen Fuß in die balkanische Tür gesetzt und sich voll hinter Serbien gestellt. Wer aber ist Amerikas Verbündeter in diesem Raum? Kroaten, Montenegriner und Albaner – die eigentlich pro-westlichen Nationen sind teils enttäuscht, teils gedemütigt. Die Mazedonier, auf die sich die USA stützen wollten, pfeifen aus dem vorletzten Loch. Die westeuropäischen Nato-Verbündeten aber konterkarieren die US-Politik. Amerika muß sich fragen, auf wen es sich noch verlassen kann.


 
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