© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Von Aussöhnung noch weit entfernt
Europa: Vor zehn Jahren wurde der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag unterzeichnet / Ungelöste Fragen bleiben
Bernhard Knapstein

Am 17. Juni 1991 unterzeichneten die Regierungschefs und Außenminister Deutschlands und Polens den "Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag" – Grund genug für eine Zwischenbilanz. Das beiderseitige Verhältnis hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert. An dem Verständigungsprozeß haben sich seit 1991 in erster Linie die deutschen Heimatvertriebenen beteiligt, denen zu Recht eine "Brückenbauerfunktion" zugesprochen wird.

Im Ergebnis konnten die Landsmannschaften in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen mehrere Sozialstationen in Ostpreußen und Schlesien einrichten und gleichberechtigte Partnerschaftsverträge zwischen Kreisgemeinschaften und den entsprechenden polnischen Kommunalverwaltungen in Ostpreußen, Pommern und Schlesien schließen. So etwa den Partnerschaftsvertrag zwischen der Kreisgemeinschaft und der Stadt Preußisch Holland (Paslek). Denkmalschützende Maßnahmen ebenso wie die Einrichtung von Museen waren und sind oft genug auf die finanzielle Beteiligung von Vertriebenenorganisationen und einzelnen Heimatvertriebenen zurückzuführen. So hat sich beispielsweise auch die ostpreußische Kreisgemeinschaft Lyck um die Renovierung des Lycker Wasserturms und die Kreisgemeinschaft Lötzen um die Einrichtung des Museums in der "Feste Boyen" verdient gemacht. Erst vor kurzem wurde das Allensteiner Kopernikushaus unter maßgeblicher Beteiligung der Landsmannschaft Ostpreußen und der beiden Allensteiner Kreisgemeinschaften eingerichtet, ein repräsentativer Begegnungsort für die Deutschen in der Allensteiner Region.

Auch, wenn man wegen der offenen vertriebenenpolitischen Fragen noch nicht von einer deutsch-polnischen Aussöhnung sprechen kann, so findet doch ein erheblicher und spürbarer Annäherungsprozeß statt. Dieser Prozeß bringt es aber auch mit sich, daß alte Wunden erneut aufreißen. Das verdeutlicht vor allem die einseitige Gewährung der Entschädigung an ehemalige polnische Zwangsarbeiter durch die Stiftung "Polnisch-Deutsche Aussöhnung" unter Ausschluß deutscher Opfer von Zwangsarbeit in den Kriegsfolgejahren.

Der ursprünglich gute Ansatz des Nachbarschaftsvertrages geht heute, nach zehn Jahren, ins Leere, da es an Korrektiven und innerpolnischen Umsetzungsgesetzen fehlt. Frühzeitig hatte daher die Landsmannschaft Ostpreußen, unterstützt vom Bund der Vertriebenen (BdV), gegenüber der Bundesregierung auf die Nachbesserungsfrist des Vertrages hingewiesen und dabei einen fundierten Vorschlagskatalog vorgelegt. Die Vertriebenen hatten dabei insbesondere die Beseitigung der Mängel bei der Förderung der Kulturarbeit zugunsten der deutschen Volksgruppe und die Einbeziehung der Vertriebenenverbände in die regelmäßigen Konsultationen zur Weiterentwicklung und Vertiefung der bilateralen Beziehungen ins Auge gefaßt. Letzteres, um neben dem Verständigungsprozeß auch den Aussöhnungsprozeß endlich einzuleiten.

Berlin zeigte sich wohl interessiert, wollte aber nicht an dem Vertragswerk rütteln, um ein Abbröckeln an anderen Stellen auszuschließen. Möglicherweise ist dieses Nichthandeln der Bundesregierung der Grund für Bundespräsident Johannes Rau gewesen, in diesen Tagen in einem dpa-Interview den Nachbarschaftsvertrag ausgiebig zu loben und zu behaupten, die deutsche Sprache sei für die Minderheit "kein Problem mehr". Zur gleichen Zeit rügt der im schlesischen Oppeln lebende Sejmabgeordnete Heinrich Kroll das Fehlen eines ausreichenden muttersprachlichen Unterrichts und bedauert, daß es mit den deutschen Sprachkenntnissen bei der deutschen Volksgruppe nicht zum besten stehe und dies, obwohl in Schlesien Ortschaften mit über 90 Prozent deutschem Bevölkerungsanteil existieren. Die deutsche Volksgruppe ist zwar nach innerpolnischem Recht grundsätzlich frei, die deutsche Kultur zu pflegen und muttersprachlichen Unterricht in Anspruch zu nehmen. Fehlende Finanzmittel und das Fehlen von Umsetzungsgesetzen zum Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag führen aber dazu, daß Polen seiner vertraglichen Verpflichtung zur Förderung der deutschen Kulturlandschaft nur mangelhaft nachkommt.

Ferner sind die zwischen den beiden Nationen stehenden völkerrechtswidrigen Bierut-Dekrete, die den tschechischen Benes- oder jugoslawischen Avnoj-Dekreten entsprechen, und die damit verbundene Enteignungsfrage noch immer kein Thema bei den Verhandlungen um die Osterweiterung der Europäischen Union. Letztere soll eine "Rechts- und Wertegemeinschaft" sein, ein Anspruch immerhin, den auch Polen erst einmal erfüllen muß.

Gleichwohl gibt es auch Lichtblicke. In Polen wird neuerdings heftig über polnische Verbrechen gegenüber anderen ethnischen Gruppen diskutiert. Die Massaker von Jedwabne und in dem Lager Lamsdorf sind Themen, mit denen sich die polnische Intelligenz heute befaßt. Auch wenn das Verbrechen der Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland in Polen noch immer als ausschließliche Angelegenheit der Alliierten gilt, macht sich ein Umdenken in Spurenelementen bemerkbar.

Der Nachbarschaftsvertrag ist nach zehn Jahren an seine Grenzen geraten. Trotz seiner damals schon vorhandenen Mängel bildet er eine gute Grundlage für den Annäherungsprozeß. Polen ist aber von einer den realen Verhältnissen gerecht werdenden Minderheitenpolitik und von einer wahrhaften Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte, geschweige denn von einer Restituierung der Deutschen, noch weit entfernt. Aussöhnung verlangt nach zehn Jahren mehr als den bisherigen Vertrag. Berlin war, ist und bleibt gefordert, deutsche Interessen zu vertreten.


 
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