© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Wo der Geist ausruhen kann
Horst Janssen: Skandinavische Reise. Ein Sizzenbuch, ein Tagebuch und sechs Briefe an Joachim Fest
Thorsten Thaler

Es lebt in diesem Land ein verborgener Reichtum, der gleichsam erwartet, daß man ihn hebt. Daher glaube ich auch, daß das Land der geistigen Arbeit günstig ist." Diese Sätze notierte Ernst Jünger in einem Brief an seinen Bruder Friedrich Georg anläßlich einer Reise durch Norwegen, die er im Sommer 1935 mit seinem philosophischen Lehrer und Freund Hugo Fischer unternahm. Von der Faszination, die das naturwüchsige Land auf Jünger ausübte, berichtete er in seinem 1943 veröffentlichten Reisetagebuch "Myrdun". Hier oben, schrieb Jünger, findet "der Geist hinter den schmalen Kulissen des menschlichen und historischen Seins das völlig ungeformte chaotische Element und mit ihm die herrlichste Gelegenheit zum Ausruhen".

Mehr als drei Jahrzehnte später suchte ein anderer Norwegen-Reisender "nach einem Gegenstand, in dem das Selbst sich verlieren kann". Im September 1971 fuhr der Zeichner und Graphiker Horst Janssen zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin Gesche Tietjens in drei Wochen ein paar tausend Kilometer quer durch Norwegen, von Svanhall im Süden des Landes über Oslo, Trondheim, Fauske und Narvik bis zum nördlichsten Punkt nach Hammerfest und wieder zurück über Lakselv, Inari, Rovaniemi, Sundsvall und Helsingborg. Von dieser Reise künden Skizzen, ein Tagebuch und sechs Briefe Janssens an seinen Freund Joachim Fest, die jetzt erstmals der Öffentlichkeit zugänglich sind. Bald sechs Jahre nach dem Tod Janssens – er starb am 31. August 1995 – veröffentlichte der Alexander Fest Verlag diese Aufzeichnungen mitsamt einigen Fotos von Gesche Tietjens unter dem Titel "Skandinavische Reise".

Der am 14. November 1929 in Hamburg geborene Janssen wuchs ohne Vater in Oldenburg und Haselhüne im Emsland auf, wo er die Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola) besuchte. Nach dem frühen Tod der Mutter 1943 wurde er von einer Tante in Hamburg aufgenommen. Als Meisterschüler von Alfred Mahlau studierte er nach dem Krieg an der Landeskunstschule Hamburg. Eine erste Zeichnung veröffentlichte er 1947 in der Wochenzeitung Die Zeit, im Jahr darauf folgte sein erstes Buch "Seid ihr alle da?". Den künstlerischen Durchbruch feierte er 1965 mit einer Werkschau in der Kestner-Gesellschaft Hannover, der Ausstellungen in Düsseldorf, Lübeck, München und Basel folgen.

Horst Janssen gehört zu den produktivsten Künstlers des 20. Jahrhunderts, sein Lebenswerk umfaßt annähernd 25.000 Zeichnungen, Aquarelle, Holzschnitte und Radierungen sowie 40 Buchpublikationen. Anläßlich seines fünften Todestages öffnete im November vorigen Jahres das neue Horst-Janssen-Museum in Oldenburg seine Pforten (JF 47/00) mit einer Sonderausstellung zu "Metamorphosen im Werk Horst Janssens".

Trotz seines Erfolges fühlte sich Janssen, dessen Trunksucht legendär war, immer wieder von Lebenskrisen geschüttelt. Als er 1968 den Publizisten Joachim Fest kennenlernte, steckte er tief in einer solchen Krise. Im Jahr zuvor waren seine Tante und sein Lehrer Mahlau verstorben, und Janssens dritte Ehe mit Verena von Bethmann Hollweg war gescheitert.

"Wohin er damals kam", schrieb Fest kürzlich in einem Zeitungsbeitrag über Janssen, "erweckte er die Faszination einer Theaterfigur: Ein Kerl von mehr als hundert Kilo Gewicht, laut und von aufbrausendem Temperament mit dem stets griffbereiten Flachmann als Tröster und Begleiter – aber zugleich mit dem zartesten Strich auf den wie hingehaucht wirkenden Körpern, Puppen und Porträts." Später habe Janssen Fest versichert, er sei damals, im September 1968, sowohl mit seiner Kunst wie "mit Kopf und Körper" am Ende gewesen. Janssen wollte aus dem "schönen Sumpf" herauskommen, die "verlorenen und verlotterten Jahre" mitsamt der "falschen" Kunst jener Zeit hinter sich lassen und einen "großen Bruch" vollziehen, weiß Joachim Fest zu berichten.

Drei Jahre später, im Spätsommer 1971, befand sich Janssen noch immer in dieser Phase des Umbruchs. In einem Postscriptum zur "Skandinavischen Reise" schreibt Gesche Tietjens, Janssen tastete sich damals "zu einer Art Zwischenbilanz, einem Resümieren des Erreichten und des Herkommens vor"; in Norwegen suchte er "Abklärung, ein Sich-Ausruhen im Unambitionierten, auch wenn dergleichen natürlich immer andere Ambitionen produziert". Die "fehlende Dimension" der norwegischen Landschaft, die schon Ernst Jünger in sich aufgesogen hatte, schien dafür wie geschaffen. "Zur Ausdehnung gehört in Norwegen auch jene Größe, die in der vierten Dimension liegt", notierte Janssen, "und so überfällt den Reisenden sehr bald die Ahnung, daß auch alle Gegenden abseits der Straße selbst bei aufmerksamster Ergründung und genauester Vermessung ein großes Verschlossenes bleiben – wiederum voll Suggestion des Ahnungsvollen".

Die unverfälschten Reiseschilderungen stehen in einem merkwürdigen Kontrast dazu, daß Janssen ein "durch und durch untouristischer Mensch" (Gesche Tietjens) war. Er selbst bekannte in einem Brief an Joachim Fest: "Ich bin doch kein echter Reisender, sondern in allen Situationen schon mit dem Werkstatt-Fixpunkt im Gehirn und deswegen nach ’ner Völlerei dieser Art von großer Sehnsucht nach zu Hause gefüllt."

Daß die Betrachtungen und Reflexionen Janssens vielerorts an Jüngers Reisetagebuch "Myrdun" erinnern, kommt nicht von ungefähr. Janssen war ein passionierter Jünger-Leser und gehörte später zu den engsten Freunden des Jahrhunderts-Schriftstellers; zum 100. Geburtstag Jüngers widmete er ihm "gewissermaßen in Dankbarkeit" ein Porträt. Als Janssen 1995 mit 65 Jahren verstarb, notierte der 35 Jahre ältere Jünger am 2. September in seinem Tagebuch "Siebzig verweht V", dies bedeute auch für ihn persönlich einen herben Verlust. "Janssen galt mir als Beispiel dafür, daß Genie auch in dürftiger Zeit wie ein Meteor aufleuchten kann. Er setzt keine Tradition fort und bringt keine hervor. Unmittelbar entspringt er dem Reichtum der Welt und verglüht. Janssen fürchtete, sein eigener Plagiator zu werden, und wechselte nach Belieben den Stil. Trotzdem erkennt man ihn in jeder Version." Einen Einblick in diese Vielseitigkeit vermitteln nun auch die Aufzeichnungen, Briefe und Skizzen Janssens von seiner "Skandinavischen Reise".

 

Horst Janssen: Skandinavische Reise. Ein Skizzenbuch, ein Tagebuch und sechs Briefe an Joachim Fest. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, geb., 96 Seiten, Abb., Fotos, 38 Mark

Eine Dauerausstellung zu Janssens Leben und Wek ist im Horst-Janssen-Museum, Am Stadtmuseum, in Oldenburg zu sehen. Täglich außer montags 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 7 Mark, ermäßigt 3 Mark.


 
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