© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Bis zum letzten Knaller
Der Regisseur Billy Wilder feiert seinen 95. Geburtstag
Werner Olles

Es gibt Filme, die nur vom Witz ihres Regisseurs leben. Ist dieser auch noch ein scharfzüngiger Ironiker, ein Kunstsammler von erlesenem Geschmack, ein Sportfanatiker und Sturkopf, der im hohen Alter lieber Treppen steigt, als den Aufzug zu nehmen, und immer noch jeden Vormittag um zehn Uhr in seinem kleinen Einzimmerbüro erscheint, wo er ohne Sekretärin und ohne den Hut abzulegen Drehbücher liest, dann kann es sich nur um Billy Wilder handeln. Seine Tips für Autoren sind dabei denkbar einfach: "Du mußt die Zuschauer bei der Gurgel packen und darfst sie nicht mehr loslassen", und auch für das Filmende hat er einen guten Ratschlag parat: "Der dritte Akt muß Tempo aufbauen, steigern, weiter steigern, bis zum letzten Knaller. Und dann – das wars. Häng nicht länger rum."

Den meisten Filmlexika zum Trotz ist Billy Wilder nicht in Wien, sondern am 22. Juni 1906 im galizischen Suche bei Krakau geboren. Er wuchs jedoch im Wien des Ersten Weltkrieges und der bitteren Nachkriegsjahre auf, um sich dann in den zwanziger Jahren in Berlin als Filmjournalist durchzuschlagen. Hier saß er mit Autoren und Schauspielern im legendären "Romanischen Café" und schrieb über das Casino in Monte Carlo und seine Abenteuer als Eintänzer im Hotel Eden, wo der junge Samuel – dies war sein eigenlicher Vorname – aus chronischem Geldmangel wohlhabende Damen im Tangoschritt und Quickstep amüsierte.

Seine ersten Versuche als Drehbuchautor begann er bald darauf im Dienste etablierter Autoren. 1929 schrieb er bereits unter eigenem Namen für die UFA das Drehbuch zu "Menschen am Sonntag", ein Jahr später folgte "Ninotschka". 1933 war Wilders vielversprechende UFA-Karriere schon wieder beendet. Einen Tag nach dem Reichtagsbrand floh er nach Paris. Dort arbeitete er vorwiegend als Co-Regisseur, was ihn aber nicht sehr befriedigte. Ein knappes Jahr später ging er nach Hollywood, wo er zunächst wieder Drehbücher schrieb. 1942 durfte er endlich seinen ersten eigenen Film inszenieren: "The Major and the Minor". Der große Durchbruch gelang ihm aber erst 1944 mit dem Thriller "Frau ohne Gewissen". Ein Jahr später folgte das Meisterwerk "Das verlorene Wochenende", die packende Geschichte eines dem Alkohol verfallenen Schriftstellers, der mit dem Mut der Verzweiflung gegen seine tückische Sucht kämpft.

In den fünfziger Jahren wechselten gesellschaftskritische Filme, Komödien und Thriller einander ab. In "Boulevard der Dämmerung" (1950) schilderte er das Schicksal einer alternden Filmdiva, in "Reporter des Satans" (1951) attackierte er die Sensationsgier skrupelloser Massenmedien, in "Sabrina" (1954) präsentierte er die bezaubernde Audrey Hepburn als arme Chauffeurstochter, die zwei ungleichen Millionärsbrüdern (Humphrey Bogart und William Holden) den Kopf verdreht, und in "Das verflixte siebente Jahr" (1955) erliegt ein harmloser Strohwitwer beinahe den erotischen Reizen der hinreißenden Marilyn Monroe. 1957 drehte Wilder "Zeugin der Anklage", ein hochspannendes Gerichtsdrama mit dem großen Charles Laughton und der deutschen Emigrantin Marlene Dietrich.

Zu seinen schönsten Komödien gehört wohl "Manche mögen’s heiß" (1959), ein Travestieulk mit der Monroe als Tingeltangel-Sängerin und Jack Lemmon und Tony Curtis als arbeitslosen Musikern. Der Film beginnt im Chikago der zwanziger Jahre, in der Ära der Prohibition und der blutigen Bandenkriege. Ausgerechnet am Valentinstag, eigentlich einem Fest der Liebe, findet hier ein in die amerikanische Kriminalgeschichte eingegangenes Massaker statt, das der Regisseur zu einem unglaublich komischen Einstieg in eine Verkleidungskomödie ersten Ranges benutzt. Zu allem Überfluß wird der Mafiapate am Schluß von einem Killer erschossen, der einer riesigen Geburtstagstorte entsteigt, ein so genialer Gag, daß nur Wilder ihn erfinden konnte. Mit "Das Apartment" (1960), wiederum mit Jack Lemmon als gutmütigem Angestellten, der von seinen diversen Chefs ausgenutzt wird, und Shirley Mac-Laine als hübschem Liftgirl, das sich prinzipiell in die falschen Männer verliebt, bewies er, daß er auch die verhalten-komödiantischen Töne bestens beherrschte. Im Berlin des Kalten Krieges ließ Wilder 1961 die Komödie "Eins, zwei drei" mit deutschen Stars wie Lieselotte Pulver und Horst Buchholz spielen. Mit Jack Lemmon, dem Favoriten unter seinen Stars, durften die Zuschauer 1963 in "Das Mädchen Irma la Douce" (mit Shirley MacLaine) und 1981 in "Buddy, Buddy" ein Wiedersehen feiern.

1977 erschienen seine Memoiren "Billy Wilder in Hollywood", 1992 in Zusammenarbeit mit Hellmuth Karasek "Billy Wilder – eine Nahaufnahme" und 1999 Cameron Crowes "Conversations with Billy Wilder". Wenn man ihm zuhört, lernt man eine Menge über die pragmatische Seite des Filmemachens jenseits der glamourösen Attitüden der Traumfabrik Hollywood, deren berühmtester Regisseur er gleichwohl ist. Am 22. Juni feiert das Regie-Genie Billy Wilder seinen 95. Geburtstag.


 
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