© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Ein Richter als bürgerlicher Rettungsanker
Hamburg: Drei Monate vor der Bürgerschaftswahl verlieren SPD und Grüne immer mehr an Boden / Schill-Partei steht vor Einzug ins Parlament
Hans-Joachim von Leesen

Während sich in der deutschen Hauptstadt eine grün-rot-knallrote Koalition anschickt, die Macht zu übernehmen, bestehen realistische Aussichten, daß in der zweitgrößten Stadt des Landes, der Hansestadt Hamburg, die rot-grüne Mehrheit bei den Bürgerschaftswahlen am 23. September gekippt wird. Bei neuesten vom Hamburger Abendblatt und dem NDR veranlaßten Repräsentativbefragungen kam heraus, daß zur Zeit SPD und Grüne zusammen nicht mehr die Mehrheit haben. Sie kommen gemeinsam gerade auf 46 Prozent. Genausoviel könnte eine Koalition aus CDU, FDP und der Partei Rechtsstaatlicher Offensive PRO auf sich vereinigen. Die Tendenz ist für den "bürgerlichen Block" positiv. Sowohl der SPD als auch den Grünen, die in Hamburg unter der Bezeichnung GAL (Grün-Alternative Liste) firmieren, werden zunehmende Verluste vorhergesagt, während die CDU etwa gleich bleibt, die FDP von zuletzt 3,5 Prozent (1995) auf sechs Prozent geklettert ist. Die PRO, volkstümlich auch Schill-Partei genannt, gab es 1995 noch nicht; von Umfrage zu Umfrage steigt ihr Stimmenanteil unter den wahlberechtigten Hamburgern.

Grund für das sich abzeichnende rot-grüne Debakel ist in erster Linie die in Hamburg explosionsartig angewachsene Kriminalität, gegen die SPD und Grün-Alternative nach Meinung der Hamburger nichts oder viel zu wenig unternehmen. Kriminelle stoßen bei den Linken auf erhebliches Verständnis. Rigorose Verfolgung wird aus humanitären Gründen abgelehnt.

Tatsächlich steht nach einer Statistik der Illustrierten Stern Hamburg mit insgesamt 16.675 Straftaten im Jahre 2000 an der Spitze aller deutschen Großstädte. Bei Todschlag, schwerer Körperverletzung, Vergewaltigung liegt Hamburg stets weit vorn in der Statistik. Spitzenpositionen nimmt die Hansestadt ein bei Raub und bei Wohnungseinbrüchen. Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung steht Hamburg auf Rang 4.

Die offene Drogenszene bekommt die Polizei in Hamburg nicht in den Griff, und das nicht etwa, weil es an Einsatzbereitschaft mangelt, sondern weil ihr Eingreifen angesichts der Hamburger Justiz nur unzureichende Wirkung hat. Immer wieder werden Drogenhändler von der Polizei erwischt, doch müssen die Beamten die Kriminellen meist laufen lassen, nachdem man einen Platzverweis ausgesprochen hat, der nichts bewirkt. Wenn dann in schweren Fällen ein Richter tätig werden muß, läßt er nur allzu oft die Dealer laufen. Das führt zu einer frustrierten Hamburger Polizei, die sich von der Justiz und der Politik im Kampf gegen die Kriminalität im Stich gelassen fühlt.

Geradezu unglaublich wirkt beispielsweise die Tatsache, daß im vergangenen Jahr in Hamburg 560 Asylbewerber, fast immer Schwarzafrikaner, aufgegriffen wurden, die sich laut Ausländergesetz nicht in Hamburg aufhalten durften, sondern denen andere Unterbringungsorte in Deutschland zugewiesen worden waren. Von diesen waren 430 nachgewiesene Drogenhändler, also 78 Prozent. Sie waren untergekommen bei Landsleuten, die auf dem Asylbewerberwohnschiff "Bibby Altona" auf der Elbe wohnten, und betrieben von dorther den Handel. Die Hamburger Drogenszene gilt bei Asylbewerbern als "äußerst attraktiver Markt", wie die Presse schreibt.

Diese 430 Dealer wurden von der Polizei an die Hamburger Ausländerbehörde weitergereicht , die dann die Aufgabe hatte, sie mit Kleinbussen in die zugewiesenen Orte zurückzubringen. Reicht das Personal nicht aus, so berichtet die Welt, löst die Ausländerbehörde für die Kriminellen eine Fahrkarte und setzt sie in den Zug in der Hoffnung, daß sie nun selbst in die Aufenthaltsorte zurückfahren. Nach wenigen Tagen werden sie von der Polizei in Hamburg erneut geschnappt. Und das Spiel beginnt von vorn.

Daß das die Hamburger Bürger nicht sehr amüsiert, liegt ebenso auf der Hand wie das Mißvergnügen darüber, daß sich in Hamburg der Terror von links fast ungehindert verbreiten kann. Immer wieder waren in den vergangenen Jahren Politiker, Manager, Publizisten und Polizeibeamte das Ziel autonomer Gewaltakte. Im April dieses Jahres überfielen Linke das Wohnhaus des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Karl-Heinz Warnholz, schleuderten Feldsteine durch die Fensterscheiben und beschädigten das Auto des Politikers. Die Ursache: Warnholz hatte sich im Landesparlament für den Verkauf der "Roten Flora", eingesetzt, um diesen rechtsfreien Raum der Autonomen endlich beseitigen zu können. Im vorigen Jahr griffen Linksextreme das Haus von Lufthansa-Manager Jürgen Weber in Hamburg-Hummelsbüttel an. Ein Jahr davor zündeten bisher nicht ermittelte Täter den Dienstwagen des damaligen Innensenators Wrocklage vor dessen Privathaus in Winterhude an. Auch Innenstaatsrat Wolfgang Prill, der ehemalige Justizsenator Klaus Hardraht, Hochbahnchef Günter Elste und der Journalist Rüdiger Proske sowie der Polizeibeamte Klaus Dommel wurden Opfer von Anschlägen. Daß die Täter aus dem linksradikalen Milieu stammen, dürfte sicher sein, denn alle Opfer hatten sich dort unbeliebt gemacht, indem sie für Maßnahmen gegen linke Aktivitäten eingetreten waren. Rüdiger Proske beispielsweise war offen gegen die Anti-Wehrmacht-Ausstellung von Reemtsa/Heer aufgetreten, was ihm eingeworfene Fensterscheiben, zerstörtes Mobiliar und ein beschädigtes Auto eintrug.

Aufsehen weit über die Grenze der Hansestadt hinaus erregte eine Erklärung, die von 97 Prozent der Richter des Landgerichts Hamburg unterschrieben worden war. In ihr schlugen sie Alarm, weil durch die Sparmaßnahmen des Senats das Personal des Gerichts so weit ausgedünnt war, daß die Funktionsfähigkeit stark eingeschränkt worden war. Immer häufiger müssen Straftäter aus der Haft entlassen werden, ohne daß sie innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist hatten vor Gericht gestellt werden können. Amtsgerichtspräsident Raab warnt, bei Amtsgerichten werde sich auch nur noch "durchgewurschtelt". Schreibarbeiten könnten zum Teil gar nicht geleistet werden, so Raab. Beim Erwachsenenstrafrecht seien Zuwächse von 30 Prozent zu verzeichnen, denen die Richter rat- und machtlos gegenüber stehen.

Die sozialdemokratische Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit wiegelt ab und findet das alles nicht so bemerkenswert. Im übrigen verweist sie darauf, daß der Staat kein Geld habe.

Betrachtet man die Befragungen der Wähler über die Parteipräferenzen der Hamburger, dann fällt ins Auge, daß SPD und CDU im Vergleich zu den letzten Bürgerschaftswahlen vor vier Jahren ihre Sympathiewerte kaum verändert haben: die SPD nahm nur um 1,2 Prozent ab, die CDU wuchs gerade mal um 0,3 Prozent. Die Verschiebung in der Parteienlandschaft ergibt sich in allererster Linie durch das Auftreten der neuen Partei des Richters Schill, den die Linken durch den Spitznamen "Richter Gnadenlos" diskriminieren wollten, eine Bezeichnung, die ihm jedoch durchaus Sympathien eingetragen hat. Sie ist im Grunde eine Ein-Punkt-Partei, die für mehr innere Sicherheit sorgen will – etwa so wie in ihrer Anfangszeit die Grünen auch nur eine Forderung auf ihre Fahnen geschrieben hatten, nämlich den Umweltschutz. Zwar bemüht sich die Schill-Partei darum, ihr Programm zu erweitern, doch wird sich das erst im Laufe der politischen Praxis ergeben – vor allem, wenn die Partei an einer bürgerlichen Hamburger Landesregierung beteiligt wird, in der Schill den Posten des Justizsenators anstrebt.

Sogleich nach dem Auftreten seiner Partei, die sich heute Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) nennt, versuchten die Linken, Stimmung zu machen mit der Behauptung, es handele sich um eine rechtsradikale Partei. Der Spitzenkandidat der CDU, Ole von Beust (46), war jedoch überraschenderweise nicht bereit, in diese Falle zu laufen, und verhielt sich damit anders als die Bundes-CDU und die CSU, die stets unverzüglich in Deckung gehen, wenn von angeblichen Rechten oder gar Rechtsradikalen die Rede ist. Von Beust jedoch wehrte ab und erklärte, daß der Vorwurf unberechtigt sei. Die PRO könnte für die CDU durchaus ein Koalitionspartner sein. Er hat offenbar erkannt, daß ohne diese konservative Partei eine bürgerliche Mehrheit nie zustande käme.

Foto-Text: Drogenrazzia: Zwei Kripobeamte bewachen bei einer Großrazzia am 17. Mai in Hamburg den Zugangssteg zum Wohnschiff "Bibby Altona"


 
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