© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   26/01 22. Juni 2001


Die eingekesselte Union
Wehrlos läßt sich die CDU in Berlin von PDS, SPD, Grünen und FDP umstellen
Paul Rosen

Angela Merkel hatte einen Befreiungsschlag geplant: Die CDU, so die Parteichefin, solle die eigentliche Partei der Mitte sein und den Bürgern einen Vertrag anbieten. Die in der Welt auf zwei Seiten veröffentlichte Grundsatzerklärung, die sich eigentümlich hohl, kraftlos und leer las, platzte inzwischen wie eine Seifenblase. Das selbsternannte "Bündnis der Anständigen" aus SPD, Grünen und PDS hat die CDU eingekesselt. Auch die FDP will "anständig" sein. In Berlin läuft die Probe für den Ernstfall.

Seit dem Beginn der Krise um die Berliner Bankgesellschaft und ihren Chef, den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky, war es in der CDU-Zentrale ziemlich still geworden. Wort- und tatenlos sah die CDU-Spitze zu, wie sich die Berliner SPD, unterstützt vom Kanzleramt, aus der zehnjährigen Mitverantwortung für das Finanzdebakel herausstahl und ein Volksfrontbündnis vorbereitete. Ohne jedes Management, kaum Kritik übend, nahm die CDU hin, wie die anderen Parteien in Berlin erst die Fäden für ihr Bündnis knüpften und dann den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen in die Wüste schickten.

Wieder einmal zeigt sich, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder nur ein Prinzip kennt: die Erhaltung der Macht. Der Niedersachse, der sich gerne mit den Federn der "New Economy" schmücken läßt und mit dem Schröder/Blair-Papier als großer Modernisierer auftrat, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein Machiavellist alter Schule. Schröder hat verstanden: Er muß sich Mehrheiten sichern gegen die CDU/CSU, die aufgrund schlechter werdender Wirtschaftsdaten durchaus die Chance hat, bei der Bundestagswahl 2002 stärkste Fraktion im Parlament zu werden.

Die Situation ist recht einfach erklärt: In einer für sie günstigen Lage (der Kohl-muß-weg-Stimmung) erzielte die SPD 1998 knapp 41 Prozent. Ob dieses Ergebnis 2002 wiederholt werden kann, ist fraglich. Umfragen zeigen für die Sozialdemokraten ein stark schwankendes Stimmungsbild. Der kleine grüne Koalitionspartner erscheint schwachbrüstig: Die 6,7 Prozent von 1998 lassen sich möglicherweise nicht wiederholen. Vor allem in den neuen Bundesländern hat die selbsternannte Ökopartei bis heute kein Bein an die Erde bekommen. Im Westen ist ihre Glaubwürdigkeit bei ihrer Klientel von einst schwer erschüttert. Die verkrampften Bemühungen, aus der Regierung heraus als nonkonformistisch zu erscheinen, ernten nur noch Häme.

Bereits Mitte der neunziger Jahre hatten führende Sozialdemokraten erkannt, daß man aus der Situation, daß es links von der SPD mit Grünen und PDS zwei Parteien gibt, durchaus Nutzen ziehen kann. Es folgte das Magdeburger Modell. Der Feldversuch einer SPD-Minderheitsregierung (zunächst mit den Grünen) unter Tolerierung der PDS hatte zwei Ziele: Man wollte untersuchen, wie die SPD-Basis besonders in Westdeutschland reagiert und zweitens, wie die deutsche Öffentlichkeit das Quasi-Bündnis mit den Erben der Mauerbau-Partei PDS aufnehmen würde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten rückte das Magdeburger Modell in den Bereich der Normalität, zumal aus Sachsen-Anhalt keine größeren politischen Auseinandersetzungen oder Skandale zu melden waren. Schritt zwei war die Installierung einer rot-roten Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, die seit Jahren unauffällig arbeitet.

Jetzt folgte der dritte Schritt: In Berlin, der früheren Hauptkampflinie zwischen Ost und West, nahm die SPD die Hilfe der PDS in Anspruch, um Diepgen abzulösen. Noch zieren sich die Sozialdemokraten, der sich für alles Ungemach von einst entschuldigenden und angeblich demokratisch geläuterten PDS ein direktes Koalitionsangebot zu machen. Aber die Abwahl des CDU-geführten Senats hat funktioniert. Bemerkenswert, wie still die Christenunion ihre Einkesselung durch alle politischen Konkurrenten hinnahm. Besonders zu denken geben sollte der Führung im Adenauer-Haus, daß die Berliner FDP mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Rexrodt an der Spitze sich sofort an der Abwahl Diepgens beteiligt hätte, wäre sie denn im Abgeordnetenhaus vertreten. Denn damit scheint der einzige verbliebene Partner der Union von der Fahne zu gehen.

Den lautesten Protest hörte man noch aus Bayern von der CSU: "Gerade in der Stadt, die über Jahrzehnte geteilt war und am schlimmsten unter Mauer und Stacheldraht gelitten hat, ist das Zusammengehen von SPD und kommunistischer PDS ein Schlag ins Gesicht all derer, die Opfer und Verfolgte des SED-Regimes geworden sind, nicht zuletzt auch derjenigen großen Sozialdemokraten, die für ihren Widerstand und Einsatz für Demokratie und Rechtsstaat mit Leben, Kerker oder Haft büßen mußten", schrieb der Landesgruppenvorsitzende Michael Glos.

Die Union steht damit in einer fast hoffnungslosen Lage. Bei der letzten Bundestagswahl erzielten CDU und CSU zusammen 35 Prozent der Stimmen. Um in die günstige Situation einer "strategischen Mehrheit" zu kommen, müßte die Opposition zehn Punkte zulegen, so daß Schröder dann gezwungen wäre, Grüne, FDP und PDS in sein Kabinett zu holen, um weiterregieren zu können. Ein Vier-Parteien-Bündnis wäre höchst instabil, so daß die Union sich Hoffnungen machen könnte, die FDP wieder zu sich herüberzuziehen und eine bürgerliche Koalition zu bilden.

Doch nach der Spendenaffäre, einer schwammigen programmatischen "Erneuerung" und vor allem nach den verheerenden Management-Fehlern ist zwar davon auszugehen, daß die Merkel-CDU selbst mit einem bayerischen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber die SPD überrunden kann, aber nicht deutlich über 40 Prozent hinauskommt. Damit hätte Schröder die freie Wahl. Reicht das Ergebnis, kann er mit den Grünen weiterregieren. Sind die Liberalen stärker als heute, kann er auf die Grünen verzichten und die Westerwelle-FDP mit ins Boot nehmen, die bereits heute zur Verfügung steht. Und immer bereit zur Tolerierung oder Koalition ist die PDS.

Irgendwelche Optionen hat die Union nicht. Rechts von ihr gibt es erstens nichts im parlamentarischen Raum, und wenn es so wäre, käme nicht einmal eine Tolerierung in Frage. Mit den Grünen hat die CDU gelegentlich angebandelt, selbst der ehemalige Parteichef Wolfgang Schäuble machte solche Versuche. Doch über lokale Bündnisse, etwa in Frankfurt und Saarbrücken, kam die schwarz-grüne Option nicht heraus. Es gibt zwischen den beiden Parteien mehr Trennendes als Verbindendes.

Somit stellen sich die Aussichten für das bürgerliche Lager in Deutschland düster dar. Die CDU-Vorsitzende kann ihren Bürgervertrag allenfalls mit sich selber schließen.


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