© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
Die Reaktion als Exekutive
Handbuch zur Geschichte der deutschen Freikorps
Matthias Bäkermann

Die Freikorpsbewegung in den Nachkriegswirren des Ersten Weltkrieges ist ein interessantes Beispiel deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts, welches durch schwierige äußere Umstände historiographisch vernachlässigt worden ist.

Der Freikorpskämpfer Ernst von Salomon, welcher sich neben anderen in den zwanziger und dreißiger Jahren mit dem Zusammentragen von Dokumenten und ihrer Forschung befaßt hatte, gab diese 1938 an das Heeresarchiv in Potsdam, aus welchem darauf das Heeresamt nach Aktenauswertung die "Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher Truppen und Freikorps" herausgab. Durch die Zerstörung des Heeresarchives im April 1945 bei einem Bombenangriff ging dann die wertvolle Materialsammlung verloren. Erst wieder 1970 griff das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr das Thema Freikorps auf, um besonders die Grundlagen und Ursachen einer großen freiwilligen "Bewegung" im Handbuch der deutschen Militärgeschichte zu untersuchen.

Mit diesen Grundlagen und Widrigkeiten konfrontiert, bemühen sich die Autoren Robert Thoms und Stefan Pochanke, die Geschichte der Freikorpsverbände nicht nur als Ansammlung von verschiedenen Regimentsgeschichten darzustellen, sondern auch in den historischen Kontext einzureihen. In den unterschiedlichen geographischen Einsatzgebieten der Freikorps gelingt dieses allerdings nicht gleichermaßen.

Durch die Unzugänglichkeit der Quellen erschwert, gerät die Darstellung der baltischen Freikorpsverbände in ihrer besonderen Beziehung zwischen deutscher Reichsregierung und Heeresführung, lettischer Regierung und ihren britischen Alliierten sehr diffus.

Positiv gelingt ein Abriß der Freikorpstätigkeit im Berlin der Nachkriegszeit, ohne sich dabei zu sehr in den umfangreichen politischen Ereignissen dieser Tage zu verlieren. Besonderes Augenmerk hat dabei die Rolle der sozialdemokratischen Reichsregierung verdient, welche in Zeiten revolutionärer Unruhen auf in ihren Augen Reaktionäre zurückgreifen mußte, um sie pikanterweise gegen die Genossen der Räte kämpfen zu lassen, da die aus ehemaligen Reichswehrangehörigen bestehenden Freikorps die einzige verfügbare und organisierte Wehreinheit bildeten.

Weiterhin werden die Kämpfe an der Ruhr und besonders die oberschlesischen Abwehrkämpfe von 1919/21 beschrieben. Diese werden nachvollziehbar chronologisch aufgearbeitet und bilden den gelungensten Teil des Handbuches zur Freikorpsgeschichte. In direktem Zusammenhang hierzu steht ein weiteres Buch Thoms’, das die Erstürmung des Annaberges in Oberschlesien im Kontext historischer Dokumente veranschaulicht. Die einseitige Heranziehung von Texten mit politisch zeittypischer Blut- und Bodenrhetorik ist jedoch einer urteilsfreien historischen Erschließung dieser Thematik abträglich.

Dem Anspruch eines umfassenden Handbuches werden die Verfasser im gut recherchierten zweiten Teil gerecht, der eine umfangreiche Auflistung annähernd 700 Freikorpsverbände und umfangreiche Kurzbiographien von wichtigen Freikorpsführern beinhaltet. Ebenso wird auf die Rezeptionsgeschichte der Freikorps eingegangen, die sich auch in Form von Denkmälern ausdrückt, die in der Weimarer Zeit und besonders im Dritten Reich entstanden. Die Nationalsozialisten beschrieben die Freikorps gerne als Keimzelle ihrer eigenen Bewegung und stilisierten besondere Freikorpskämpfer – der bekannteste dürfte der 1923 von der französischen Besatzungsmacht im Ruhrgebiet hingerichtete Albert Leo Schlageter sein – zu Märtyrern der nationalsozialistischen Idee. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden, besonders in den sozialistischen Ländern, die Freikorpskämpfer als die Inkarnation des Klassenfeindes angesehen und deren Gedenkstätten geschleift.

Die abschließende Bibliographie ist durch die jeweiligen Herausgeberjahrgänge der angegebenen Literatur, größtenteils zwanziger und dreißiger Jahre, allenfalls für ein Studium im Archiv hilfreich und kann der aktuellen Interpretation wenig dienen.

 

Robert Thoms/ Stefan Pochanke: Handbuch zur Geschichte der deutschen Freicorps, MTM-Verlag, Bad Soden 2001, 240 Seiten, 49,80 Mark.

Robert Thoms: Der Sturm auf den Annaberg. Dokumente zur Geschichte der deutschen Freikorps, Bd.1, Hamburg 2001, Books on Demand, 65 Seiten, 26 Mark


 
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