© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Neue Wende in der US-Balkanpolitik
Carl Gustaf Ströhm

Steht die US-Balkanpolitik vor einer einschneidenden Wende? In Washington stehen einander in den amerikanischen think tanks – den Gedankenschmieden der US-Administration – neuerdings zwei Konzepte und zwei Lager gegenüber: Einmal die "Multikulti"-Schule, die einer Vermischung der Nationen und der Schaffung eines bosnischen "Schmelztiegels" das Wort redet, in dem dann Moslems, Serben und Kroaten auf Dauer aufgehen und eine neu zu schaffende "bosnische Nation" bilden sollen. Dieses Konzept wird auch von der EU stark forciert.

In letzter Zeit gewinnt aber in den USA ein entgegengesetztes Konzept an Boden. Hier heißt es dann, der Versuch einer multiethnischen Verschmelzung, wie ihn die internationale Gemeinschaft seit dem Dayton-Abkommen 1995 forcierte, habe kontraproduktive Wirkungen hervorgebracht. Das multinationale Konzept von Dayton habe die Gegensätze zwischen den in Bosnien lebenden Nationen nicht gemindert, sondern verschärft und die westlichen Repräsentanten in sinnlose Konflikte hineingezogen. Man solle die bestehenden ethnischen Differenzen also nicht künstlich vertuschen, sondern sie als Tatsache respektieren. Die Folge wäre eine notwendige Teilung Bosnien-Herzegowinas entlang der bestehenden ethnischen Siedlungsgrenzen. So würden die mehrheitlich von Moslems besiedelten Gebiete einen eigenen Staat bilden, die Serben würden in den serbisch besiedelten Gebieten und die Kroaten im kroatisch geprägten Teil der (West-)Herzegowina das Sagen haben.

Noch ist nicht klar, ob es in Zukunft noch ein gemeinsames Dach der drei betreffenden Nationen in Bosnien geben wird, vielleicht in Form einer lockeren Konföderation – oder ob sich am Ende die Republik Srpska an Jugoslawien – also Belgrad – und die West-Herzegowina an Kroatien anschließt. Beobachter der bosnisch-herzegowinischen Szene meinen, daß eine konsequente "Teilung" ehrlicher wäre und wahrscheinlich eher interethnische Spannungen abbauen würde als der bisherige Justament-Standpunkt etwa des "hohen" Repräsentanten Wolfgang Petritsch, der durch seine unsensible Politik am Ende die Kroaten und die katholische Kirche brutal vor den Kopf stieß, ohne deshalb die Zuneigung der Serben zu erringen. Am Ende sitzt der "hohe Repräsentant" des Westens zwar auf einem "Thron der Macht", wie ihn nur Kolonialgouverneure des 19. Jahrhunders in Afrika genießen konnten – aber die Chance zu positiver politischer Gestaltung hat er verspielt.

Natürlich stellt Bosnien für die Bush-Administration nur ein Randproblem dar. Aber Washington möchte angesichts der chaotischen Situation zwischen Israelis und Palästinensern im Nahen Osten und der gefährlich anschwellenden bewaffneten Konflikte zwischen albanischen Freischärlern und der hilflos herumballernden mazedonischen Armee kein weiteres Konfliktgebiet – diesmal in Bosnien – zulassen. In Washington reagiert man auch höchst befremdet auf das Verhalten einiger europäischer Nato-Verbündeter, die hinter vorgehaltener Hand erklären, die USA hätten in diesem europäischen Hinterhof nichts verloren. Eine Wende in Bosnien würde auch Mazedonien betreffen. Wenn die mazedonischen Albaner (ein Drittel der Bevölkerung) partout nicht in einem slawisch-orthodox dominierten Staat Mazedonien bleiben wollen, helfen noch so viele Kanonen- und Raketensalven nicht weiter. Die normative Kraft der Tatsachen stellt das Dogma von der "Unveränderbarkeit der Grenzen" zur Disposition – ob man will oder nicht.


 
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