© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
PRO&CONTRA
Rückzug der Bundeswehr vom Balkan?
Peter Felser / Klaus Wilkens

Wer sich einmal im kriegs- und krisengeschüttelten Balkan engagiert, der wird mindestens fünf, zehn ja gar fünfzehn Jahre bleiben. So hieß es vor dem Einsatz, so hatte nicht nur Balkanexperte Peter Scholl-Latour gewarnt. Die Bundeswehr ist dennoch von der Politik geschickt worden. Soldaten wurden einsatznah ausgebildet, neues Material wurde gekauft, finanzielle Anreize füllten rasch die Einsatzkontingente.

Und wieder einmal hat sich der deutsche Bundeswehrsoldat vortrefflich bewährt. Bei allen Ethnien genießen die deutschen SFOR- und KFOR-Soldaten einen guten Ruf für ihr Engagement, für ihr Auftreten und nicht zuletzt für ihr zuverlässiges und neutrales Verhalten. Aber die Bundeswehr hat noch mehr geleistet: sie hat in all dieser Zeit die in der Heimat verbliebenen Bataillone personell, materiell und ausbildungsspezifisch ausgeschlachtet. Unter dem Stichwort "Durchhaltefähigkeit der Einsatzkontingente" wurden Soldaten wahllos und divisionsübergreifend für die Kontingente aus ihrer Stammeinheit abgezogen. Meldungen des Generalinspekteurs, die in aller Deutlichkeit die Nichteinsatzfähigkeit der Bundeswehr als Verteidigungsarmee beschrieben, wurden der Idee eines befriedeten multiethnischen und multireligiösen Balkanstaates untergeordnet. Eindringlichen Forderungen des Verteidigungsministers nach Ausgleich der durch den Einsatz bedingten Ausgaben wurde kein Gehör geschenkt.

Laut Grundgesetz besteht die wichtigste Aufgabe der Streitkräfte in der Gewährleistung der Landesverteidigung. Statt dessen werden völkerrechts- und grundgesetzlich sehr fragwürdige Einsätze als wichtigste Aufgaben für die "moderne Bundeswehr" bezeichnet. Unter dem Vorwand der Rechtsgutabwägung ist der Kriegs-einsatz wieder diskutabel geworden. Rückzug vom Balkan, Besinnung auf den eigentlichen Auftrag – jetzt oder die nächsten fünfzehn Jahre nicht mehr.

 

Peter Felser ist Oberleutnant in der 1. Gebirgsdivision und war am Bosnien-Einsatz der Bundeswehr beteiligt.

 

 

Vorweg möchte ich sagen, daß ich der Meinung bin, daß nach den schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Kosovo-Albanern von seiten der jugoslawischen Regierung 1998 durchaus zunächst Anlaß bestand, auch militärisch zu intervenieren.

Das Nato-Bombardement hat jedoch nicht die Wirkung gehabt, die man sich davon erhofft hat, sondern die Wirkung ist die gewesen, daß – wie Bundesverfassungsrichter Marenholz gesagt hat – eine Rache- und Haßlandschaft entstanden ist, die es jetzt furchtbar schwer macht, dort wieder zu friedlichen Verhältnissen zu kommen. Das aber ist auch der Grund, weshalb ich der Meinung bin, daß man sich jetzt auch militärisch aus dem Kosovo nicht zurückziehen kann. Weil diese Feindschaft, diese Haßlandschaft, die man nicht zuletzt durch dieses militärische Eingreifen zustande gebracht hat, eben doch die Anwesenheit militärischer Truppen notwendig macht, um ein neues Ausbrechen der Feindseligkeiten und gewalttätigen Auseinandersetzungen zu verhindern. Es ist denn auch sehr bedauerlich, daß man den notwendigen Aufbau einer zivilen demokratischen Verwaltung und Rechtsordnung, die dann nach dem Bombardement den UN übertragen wurde, im Grunde nur halbherzig betrieben hat.

Für das Nato-Bombardement hat man 106 Milliarden Mark aufgebracht, eine enorme Summe. Was jetzt zur Verfügung steht, um das Land wieder auf zivile, tragfähige Grundlagen zu stellen, ist minimal und völlig unzureichend. Insofern ist es mit der Anwesenheit der Bundeswehr nicht getan. Die Hauptaufgabe ist das, was im Rahmen des Stabilisierungspaktes dort geschehen soll und was mit den Aufbau einer Rechtsordnung voraussetzt. Aber das wird nur aufzubauen sein im Schutz militärischer Einheiten. Und deshalb, meine ich, ist die Bundeswehr dort nach wie vor nötig.

 

Klaus Wilkens ist Oberkirchenrat im Ruhestand und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V. (AGDF).


 
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