© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Die Wahl scheint schon entschieden
Großbritannien: Niederlage der Tory-Opposition erwartet / Rechtsparteien leiden unter Mehrheitswahlrecht
Derek Turner

Eine Woche vor den britischen Parlamentswahlen am 7. Juni liegen die Konservativen in den Prognosen weiter hinter der regierenden Labour-Partei zurück als jemals eine Oppositionspartei, seit im Vereinigten Königreich Wahlforschung betrieben wird.

Zwar könnenUmfrageergebnisse sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem wer die Umfrage in Auftrag gegeben hat. Aber selbst optimistische Prognosen sehen die Tories bei 32 Prozent, während die Regierungspartei auf 48 Prozent kommt. Alles sieht danach aus, als wäre ihr die Wiederwahl sicher, wenn auch mit einer weniger deutlichen Mehrheit im Parlament als in der letzten Amtsperiode, als Labour 418 der insgesamt 659 Abgeordneten stellte, die Konservativen nur 165. Daß viele Wählergruppen – darunter die Landbevölkerung, die Euro-Skeptiker und so spezielle Klientelen wie Transportunternehmer und Fischer – von Tony Blairs Politik enttäuscht sind, scheint sich bislang nicht zugunsten des Tory-Kandidaten William Hague ausgewirkt zu haben. So bleibt seiner Partei nur die Hoffnung, daß die Wahlforscher sich irren und daß auf den Themengebieten europäische Integration, innere Sicherheit, Asyl- und Steuerpolitik noch Boden gutzumachen ist.

Bezüglich der europäischen Integration versprechen die Tories, der Währungsunion "während der Amtszeit des nächsten Parlaments" nicht beizutreten. Mit dieser Strategie sucht man Euro-Skeptiker innerhalb der Partei ruhigzustellen, ohne allzu viele Wähler aus der "Mitte" abzuschrecken. Den Konservativen droht jedoch Konkurrenz seitens der United Kingdom Independence Party (UKIP), die sich den Austritt Großbritanniens aus der EU auf die Fahnen geschrieben hat.

Die UKIP, die immerhin drei Abgeordnete im Europaparlament sitzen hat, tritt diesmal in 450 Wahlkreisen an. Die Tories müssen somit befürchten, daß sich die Stimmen der EU-Gegner in einigen Wahlkreisen aufteilen und damit Parlamentssitze an die Labour-Partei oder die Liberaldemokraten – die momentan bei 13 bis 16 Prozent gehandelt werden – verschenkt werden. Allerdings gilt die UKIP nach wie vor als Partei mit einem einzigen Anliegen, und erfahrungsgemäß stimmen die Bürger bei Parlamentswahlen im allgemeinen nicht über Einzelfragen ab. Daß die UKIP bei den letzten Europawahlen so erfolgreich war, lag nur daran, daß sie nach dem Verhältniswahlrecht ausgetragen wurden, während diesmal wieder das traditionelle britische Mehrheitswahlrecht Anwendung findet. Mit anderen Worten wird sich das konstant hohe Maß an Europaskepsis in der Bevölkerung kaum in Stimmen für die UKIP niederschlagen.

Von "Rechtsaußen"-Parteien droht den Konservativen wenig Gefahr. Lediglich die British National Party (BNP) unter Nick Griffin, die in 31 Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt hat, könnte ein paar respektable Ergebnisse erzielen. Selbst in wirtschaftlich schwachen Bezirken mit einem hohen Einwandereranteil – Oldham etwa, wo es jüngst zu schweren Rassenunruhen kam – dürfte es ihr nicht gelingen, einen Abgeordnetensitz zu erringen. In Teilen Londons, vor allem im Osten der Stadt, hat die BNP in den letzten Jahren zwischen sieben und zwanzig Prozent der Wähler für sich gewinnen und damit die Tories hinter sich lassen können. Die National Front, die in den 1970er Jahren eine starke politische und gesellschaftliche Kraft war, kandidiert landesweit in fünf Wahlkreisen und wird keinen Blumentopf gewinnen. Die beiden anderen Rechtsparteien, die Nationaldemokraten und der Third Way, schicken bei den Parlamentswahlen nicht einmal Kandidaten ins Rennen. Auch auf lokaler Ebene (die Kommunalwahlen finden zeitgleich statt) wird ihnen wohl wenig Erfolg beschieden sein.

In letzter Zeit dominierten der Streit um die Steuern und der Schlag ins Gesicht, den Tony Blairs Vize John Prescott einem Demonstranten erteilte, den Wahlkampf. Ein Tory-Kandidat formulierte treffend den neuen Wahlspruch der Konservativen: "Erst versehrt Labour Ihre Brieftasche, dann Ihren Körper." In seinem Anfangsstadium allerdings überschattete eine ganz andere Debatte den Wahlkampf: der Riesenkrach um den angeblichen Rassismus der Tories.

Es begann am 16. März mit einer Rede, die John Townend, ein parlamentarischer "Hinterbänkler", der sich nach den Wahlen aus der aktiven Politik zurückziehen wird, auf einer Bürgerversammlung hielt. Townend sagte wörtlich: "Unsere homogene angelsächsische Gesellschaft ist bedrohlich unterminiert worden von der massiven Einwanderung vor allem aus Commonwealth-Ländern, die seit dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat. ... Viele von ihnen kommen aus Gesellschaften, in denen Gewalt alltäglich ist und denen unsere Traditionen der Freiheit, des Rechts auf freie Meinungsäußerung, der Toleranz und der Gesetzestreue fremd sind. Es ist unvermeidlich, daß die Kriminalitätsrate in den Stadtteilen steigt, wo sie leben ... wir werden unter dem Gewicht ihrer Masse untergehen, und unser Land, so wie wir es kennen, wird zerstört werden." Von Großbritannien als einer "homogenen angelsächsischen Gesellschaft" zu sprechen, mag zwar eine übertriebene Vereinfachung sein – dem Publikum jedenfalls gefiel Townends Rede.

Nicht so den Medien, die einen kollektiven Anfall erlitten, zumal sich Townend auf die berüchtigte "rivers of blood"-Ansprache Enoch Powells berufen hatte, in der der umstrittene Politiker seinem Land 1968 zukünftige "Blutströme" versprach, wenn die Regierung ihre Einwanderungspolitik nicht änderte. Die regierungsnahe Presse begann, nach Beweisen für eine "extremistische Unterwanderung" der konservativen Partei zu wühlen. Aber auch von der rechten Seite des Zeitungsspektrums kam bestenfalls halbherzige Unterstützung für Townend. In seiner Kolumne für den Daily Telegraph nannte A. N. Wilson Townend einen "alten Dummkopf", seine Äußerungen "mißgünstig und mißfällig". Der frühere Tory-Abgeordnete Matthew Parris schrieb im Spectator, Townend habe "idiotische und widerwärtige Ansichten". In derselben Ausgabe bezeichnete Bruce Anderson Townend als "Widerling". Wer solche Freunde hat, braucht sich über seine wachsende Isolation nicht zu wundern. Nicht einmal der Parteivorsitzende William Hague stellte sich hinter Townend, von dessen "anstößigen" Kommentare er sich sofort "entschieden distanzierte". Zwar nahm Hague zunächst Abstand von einem Verweis des unliebsamen Abgeordneten, erteilte ihm aber dann Redeverbot und drohte ihm andernfalls mit dem Parteiausschluß. Lord Taylor of Warwick, ein schwarzer Anwalt, den der damalige Premierminister John Major ins House of Lords berufen hatte, nachdem er bei den Parlamentswahlen 1992 einen als sicher geltenden konservativen Sitz im Unterhaus verloren hatte, drohte aus der Partei auszutreten, falls Townend nicht abgestraft würde.

Unterstützung erfuhr Townend lediglich von drei Tory-Abgeordneten: Lord Tebbit, Christopher Gill, der nach diesen Wahlen ebenfalls in den Ruhestand gehen will, und Laurence Robertson, der zu Protokoll gab, verschiedene Rassen "zusammenzustopfen" erzeuge gesellschaftliche Spannungen. Diese Bemerkung zog er allerdings später wieder zurück. Sechzehn konservative Kandidaten auf Sitze im Abgeordnetenhaus sprachen Townend ebenfalls ihre Sympathie für seine Position – oder zumindest für sein recht auf freie Meinungsäußerung – aus. Das zentrale Parteibüro der Tories gab zu, daß seine Telefonleitungen mit Zustimmungsbekundungen überlaufen waren. Doch das reichte nicht. Am 1. Mai gab Townend nach und entschuldigte sich für seine "unüberlegten Worte". Ein letzter Funke Interesse regte sich, als er gegenüber der Lokalzeitung seines Wahlkreises sagte, er bedauere seine Entschuldigung und werde nach den Wahlen "Klartext reden". Ob er dieses Versprechen hält, wird sich zeigen.

Als der "Fall Townend" gerade am Hochkochen war, wurde bekannt, daß sich Townend im Vorfeld des Wahlkampfes geweigert hatte, eine Erklärung zu unterzeichnen, die die von der Regierung finanzierte Kommission für Rassengleichheit verfaßt hatte. In dem Papier hieß es, Kandidaten sollten generell verpflichtet werden, in Wahlkämpfen auf Sprache zu verzichten, die "Rassenhaß anheizt". Was zunächst gefundenes Fressen für die Presse war, erwies sich schnell als Nullnummer – auch viele liberalere Tories und Abgeordnete anderer Parteien hatten die Erklärung nicht unterschrieben, weil sie sie als Beleidigung und Beeinträchtigung empfanden.

Labour benutzt diese Rassismus-Debatte, um nicht über die Asylbewerber-Krise reden zu müsse. Doch – egal, wie diese Wahlen ausgehen – dieses Problem wird nicht wieder verschwinden. Im vergangenen Jahr kamen 97.000 Asylbewerber nach Großbritannien. Insgesamt sind inzwischen 300.000 abgelehnte Asylanten im Land, die noch nicht abgeschoben worden sind. Ein Kosovo-Flüchtling brachte es auf den Punkt, als er gegenüber dem regierungskritischen Daily Telegraph erläuterte: "Für uns ist Tony Blair besser, weil er uns hilft, hierher zu kommen."

Fototext: Muslimisches Mädchen vor der brennenden Greenhill Mill-Schule in Oldham: Die Rassenunruhen zwischen Engländern und Einwandererkindern sorgten für Aufsehen. Der Chef der British National Party, Nick Griffin, sagte der BBC: "Oldham ist nur die Spitze des Eisbergs. Dasselbe kann im ganzen Land passieren."

 

Derek Turner ist Herausgeber der britischen Zeitschrift Right Now!.


 
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