© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Am Glauben scheiden sich die Geister
Parteien: Der Streit um Chancen und Risiken der Gentechnik geht quer durch alle politischen Lager
Klaus Kunze

Der Bundestag debattiert über Gentechnik. Die einen klopfen in hehrem Einsatz für die Freiheiten der Wissenschaft und der Wirtschaft, die anderen in banger Furcht um die sittliche Weltordnung. Ideologische Lager scharen sich um die Fahnen ihrer jeweiligen Grundwerte und deklinieren das Wort Gentechnik höchst verschieden: zweckbezogen pragmatisch wie der Bundeskanzler, alles erlauben wollend die Liberalen, restriktiv die Grünen, und dann flattern da irgendwo noch ein paar aufgescheuchte CDU-Politiker auf der Suche nach einer einheitlichen Parteilinie.

Je mehr ideologische "Grenzpfähle" eingeschlagen werden, wie sie etwa CDU-Vize Rüttgers fordert, je ehrgeiziger die moralischen Absichten werden, desto eher verwirren sich die Argumente und widersprechen sich die Folgerungen: So lehnt die Mehrheit der Grünen nach den Worten der früheren Gesundheitsministerin Andrea Fischer die Forschung an Embryonen ab. Sie könnte sich vorstellen, gemeinsam mit der CSU gegen Präimplantationsdiagnostik (PID) zu stimmen. Man dürfe nicht menschlisches Leben nutzen, um anderem menschlichen Leben zu dienen. Dieselbe Partei hatte indessen für die Straffreiheit der Abtreibung gestimmt.

Daß ein winziges, schon erkennbares Menschlein im dritten Monat zerstückelt wird, möchten die Grünen erlauben, doch Forschung mit einer embryonalen Zellkultur in der dritten Lebenswoche wollen sie verbieten.

Leichter haben es in den Unionsparteien diejenigen, die noch wirklich auf christlicher Grundlage argumentieren. Sie verurteilen jede Abtreibung als Sünde gegen Gottes Willen. Auch daß Gott keine PID will, gilt Christen wie dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch offenbar als völlig klar. Niemand stellt die Frage, woher Koch das so genau wissen will. Muß Veränderungen für Blasphemie halten, wer an Gottesschöpfung glaubt? Gott soll uns doch nach seinem Ebenbild geschaffen haben und anscheinend mit der Fähigkeit, unser genetisches Schicksal selbst zu bestimmen.

Nicht jeder argumentiert offen christlich. Einige Gentechnik-Gegner projizieren in das Faktum "Mensch" ihr metaphysisches Ideal namens Seele oder Würde, um dieses luzide Etwas triumphierend wieder hervorzuzaubern, wo immer man ein Körperteil mit dem Adjektiv "menschlich" schmücken und für tabu erklären kann. Ähnlich verfuhr man schon im Mittelalter, als chirurgische Studien am menschlichen Leichnam gegen die Menschenwürde verstießen und streng verboten waren.

Heute graust es Moralisten, daß mit menschlichen Stammzellen gearbeitet werden soll, um die ärztliche Kunst zu erweitern. Nicht alles "Menschliche" aber ist ein Mensch, selbst wenn die Fähigkeit zum Menschwerden in ihm angelegt ist. Die Hypothese, im Menschen wohne ein metaphysisches Etwas, führt in letzter Konsequenz zur Vorstellung beseelter Einzeller im Reagenzglas; letztlich scheiden sich die Geister an eben diesem Punkt, an Glauben oder Unglauben an eine unsichtbare, metaphysische Natur des Menschen. Wo dieser Glaube beginnt, ist weitere Diskussion sinnlos. Darum haben die Fraktionen des Bundestages ihren Abgeordneten zu Recht keinen Fraktionszwang auferlegt. Alle wollen "das Leben" schützen, verstehen aber ganz Unterschiedliches darunter: die einen biologische Fortexistenz, die anderen göttliches Mysterium, und ganz Diesseitige wie der Bundeskanzler fühlen sich nur für das ökonomische Wohlergehen der Lebenden verantwortlich.

In der SPD findet zur Zeit jedweder Fundamentalismus schlechten Nährboden. Während die Grüne Andrea Fischer keinesfalls "menschliches Leben nutzen will, um anderem menschlichen Leben zu dienen", quälen die meisten Genossen keine Gewissensbisse. Jahrelang landeten in den Kliniken abgetriebene Kinder im Müll. Auch über die Nutzung von Spenderorganen Toter für Lebende regt sich niemand auf. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) verteidigte die Stammzellenforschung zur besseren Heilung Kranker. Wer sie ablehne, müsse beantworten, ob in Deutschland ausländische Arzneien überhaupt verwenden dürfen, die dort auf Grundlage solcher Forschung entwickelt werden.

Der Bundestag wird eine rein staatliche Entscheidung zu treffen haben, an deren absolute Wahrheit niemand glauben muß. In der Demokratie kann keiner beanspruchen, daß der Staat sich nach bestimmten Glaubenslehren richtet. Wie bei der Abtreibungsregelung muß der Staat nicht auf jede Tötung menschlichen Lebens mit Strafe reagieren. Das Bundesverfassungsgericht legt ihn nicht auf einen einzigen Weg fest, den Schutz menschlichen Lebens zu gewährleisten. Wohl beginne dieses mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle und stehe damit unter dem Schutz der Menschenwürde. Der Gesetzgeber muß aber den – vom Verfassungsgeber gesetzten – absoluten Wert eines technisch erzeugten, drei Tage alten Embryos nicht dadurch schützen, daß er seine gentechnische Veränderung oder seine Tötung unter Strafe stellt. Wie bei der Fristenregelung der Abtreibung kann er den Lebensschutz auch durch staatliche Hilfestellung und Beratung gewährleisten. Daß der Schutz des Lebens nicht absolut gilt, zeigt schon Artikel 2 II 3 Grundgesetz, wonach in das Recht auf körperliche Unversehrtheit gesetzlich eingegriffen werden darf.

So verwahrte sich auch die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach (SPD), dagegen, jedweden gentechnischen Eingriff von vornherein als verfassungswidrig hinzustellen. Die Urteile von 1975 und 1993 gestatteten noch keine Aussage über den Grundrechts-Status einer Reagenzglas-Befruchtung. Das Grundgesetz läßt mehr Freiraum, als etwa der von Bundespräsident Johannes Rau eingenommene fundamentalistische Standpunkt gelten läßt. Für unantastbar erklärt es die "Würde des Menschen", nicht hingegen die Menschenwürde. Sind Stammzellen und befruchtete Eier wirklich Menschen, oder sind sie nur "menschlich"?

Das werdende Bio-Recht wird das Leben Künftiger nur effektiv schützen können, wenn es Forschung nicht be- oder verhindert. Leben vermochte sich immer durch Flexibilität zu erhalten.

 

Zellforschung: Eine Diplomandin arbeitet in einem Labor der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität an einem Laserscanning-Mikroskop, mit dem kleinste Bausteine des Lebens sichtbar werden


 
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