© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001


Europäische Union
"L’Europe, c’est moi"
Bernd-Thomas Ramb

An der lang erwarteten Stellungnahme Frankreichs zu den deutschen EU-Zukunftsvisionen konnte eigentlich nur verwundern, warum sich der französische Ministerpräsident Lionel Jospin so viel Zeit für so wenig Überraschendes ließ. Europa als "Vereinigte Staaten" ist den Franzosen seit je ein Greuel, weil damit de Gaulles Idee vom Europa der Vaterländer aufgehoben wird. Aber auch die vom deutschen Außenminister Fischer geäußerte Vorstellung einer Föderation europäischer Staaten wird mißtrauisch beäugt, steht doch das Wort Föderation als ein Synonym für einen für Frankreich unakzeptablen Versuch, Europa in eine politische Gemeinschaft zu überführen.

Überhaupt sieht Jospin keinen Anlaß zu einer institutionellen Reform oder gar Weiterentwicklung der EU. Warum auch, nachdem bereits der Gipfel in Nizza eine Schwächung der französischen Vertretung im künftigen Ministerrat der osterweiterten EU vorsah. So verwundert es nicht, daß die aufnahmeheischenden Osteuropäer keine Erwähnung in Jospins Rede fanden. Die Vorstellung des deutschen Bundeskanzlers, die EU-Machtverhältnisse zugunsten des Europaparlaments und zu Lasten des Ministerrates zu verschieben, mußte ebenfalls die heftigsten Widersprüche Frankreichs hervorrufen. Schließlich birgt der Ministerrat immer noch eine größere Bevorzugung Frankreichs gegenüber Deutschland als das Europaparlament, und alles was Frankreich in Europa institutionell schwächen könnte, kann nicht im Interesse Frankreichs liegen.

Wohl aber liegt es im Interesse der Franzosen, wenn in Europa französische Politik praktiziert wird. Jospins Ruf nach politischen Inhalten statt institutionellen Reformen verdeckt nichts anderes als das Begehren Frankreichs, französische Grundwerte auf Europa zu übertragen. Nachdem das Bemühen um die Beseitigung der hegemonialen D-Mark bereits vom Euro-Erfolg gekrönt wurde, steht logischerweise als nächster Schritt die Verwirklichung einer französisch gefärbten Wirtschafts- und Finanzpolitik auf dem Plan. So gehen die Forderungen nach Harmonisierung der Steuergesetzgebung und verstärktem Arbeitnehmerschutz sowie das Begehren, nationale Wirtschaftspolitik habe künftig die "Empfehlungen" der europäischen Partner einzuholen, über das natürliche Charakteristikum einer sozialistisch-kommunistischen Regierung hinaus. Das ist französische planification pure. Europa leidet weiter unter dem französischen Trauma: Frankreichs Verlust des Status als Grande Nation. Dies scheint seit dem Zweiten Weltkrieg jede französischen Regierung über alle Parteifarben hinweg mindestens ebenso intensiv zu beschäftigen wie die deutsche Frage und das Problem, den Einfluß Deutschlands in Europa zu kontrolliert. Die Deutschen aber werden ein weiteres Mal an der Nase herumgeführt. Erst versprach man den Euro als Krönung des gemeinsamen Marktes, dann sollte er die Vorreiterrolle spielen und nun wird der gemeinsame freie Markt der Vorstellung Frankreichs vom staatlich regulierten Markt geopfert. L’Europe, c’est moi. Von Freiheit war in Jospins Europa-Visionen nicht die Rede.


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