© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Pankraz,
Johannes Rau und die Seele im Ei

Mit einer ehrgeizigen Rede hat sich Bundespräsident Rau an die Seite jener ideologischen Fundamentalisten gestellt, die seit Monaten an einer gigantischen Drohkulisse gegen die mögliche Lockerung der deutschen Gesetzgebung in Biomedizin und Genforschung basteln. Alle, die für Lockerung plädieren, wurden von Rau in die Nähe geldgieriger Profitmacher und ruchloser Postnazis gerückt, die angeblich "den Menschen instrumentalisieren" wollen. Und der Bundeskanzler Schröder, auf den diese Polemik letztlich zielte, führt immer nur pragmatische Gründe ins Feld. Die Gentechnik sei nun mal die Zukunftstechnologie, sagt er, Deutschland könne nicht als einziges Land auf sie verzichten.

So richtig das sein mag, es ist zu wenig, um die Attacken der Fundamentalisten in die fälligen Schranken zu weisen. Letztlich beruht deren Argumentieren auf einer einzigen Behauptung: daß nämlich eine befruchtete Eizelle bereits ein Mensch sei, auf den das fünfte Gebot angewendet werden müsse, daß diese Zelle "Seele" und "Menschenwürde" habe. Aber diese Behauptung ist eine Zumutung. Eine befruchtete Eizelle ist nicht nur kein Mensch, sie ist nicht einmal ein Lebewesen, sofern man den schwierigen Begriff des Lebens auch nur halbwegs seriös traktiert. Sie hat sich noch nicht einmal in der Gebärmutter eingenistet, in deren Schutz sie sich erst zum Lebewesen ausbilden kann.

Eine befruchtete Eizelle hat weniger "Würde" als ein Regenwurm oder eine Bettwanze. Es ist geradezu obszön, ihr eine "Seele" zusprechen zu wollen, ganz abgesehen davon, daß die Existenz von Seelen Glaubenssache ist. Unzählige höchst ehrenwerte Menschen glauben nicht an Seelen, und sie werden es nicht dulden, daß sie deshalb – also ihres fehlenden Glaubens wegen – aus dem Diskurs über Biomedizin und Gentechnik ausgegrenzt werden.

Was die vom Bundespräsidenten so sehr bemühte Kategorie der "Würde" betrifft, so sollte man in der Diskussion erst einmal ordentlich definieren, was "Würde" eigentlich sei. Dem inflationären Wortgebrauch steht bisher ein Minimum an Reflexion gegenüber. Im allgemeinen wird unter "Würde" intensiv erlebtes Selbstbewußtsein verstanden und ebenso intensives Bemühen, dieses Selbstbewußtsein öffentlich zur Geltung zu bringen, es zu "wahren", es nicht im Ansturm von Affekten untergehen zu lassen. Keinem Sophisten wird es je gelingen, dieses herkömmliche und sehr vernünftige Verständnis von Würde glaubhaft mit einer befruchteten Eizelle in Verbindung zu bringen.

Auch wird kein Dogmatiker je in der Lage sein, definitiv zu bestimmen, wann die Seele (so er denn an sie glaubt) in den Keimling einzieht. Die christlichen Kirchenväter, die freilich noch keine Vorstellung von der zellularen Struktur der Fortpflanzung hatten, Augustinus, Thomas von Aquin, hohe Autoritäten für alle Nachdenklichen auch heute noch, vermuteten eine eher späte oder gar allmähliche, "sukzessive" Beseelung. Die hohnvollen Ausführungen des Bundespräsidenten über die Schwierigkeiten diverser Beseelungstheorien sind völlig unverständlich.

Immer wieder warnte Johannes Rau in seiner Rede davor, den Menschen zu "instrumentalisieren". Was er damit meinte, sagte er aber nicht. Wenn er gemeint haben sollte, daß es verboten werden müsse, an der körperlichen und seelischen Veränderung des Menschen zu arbeiten, so wäre dagegen einzuwenden, daß es ja gerade das Menschsein, das Wesen des Menschen ausmacht, daß dieser unentwegt an seiner Veränderung, seiner "Verbesserung", seiner "Höherbildung" arbeitet. "Der Mensch übersteigt unendlich den Menschen", skandierte schon Sophokles, und alle Poeten, Philosophen und Moralisten nach ihm haben ihm darin zugestimmt.

Ohne ständiges Experimentieren an sich selbst wäre der Affe gar nicht zum Menschen geworden. Das (Danaer?)-Geschenk des Gehirns verurteilte ihn regelrecht zum Selbstexperiment. Er war ein "Mängelwesen" (Arnold Gehlen) mit dramatisch reduzierten Leitinstinkten, er mußte diesen schweren Nachteil im Existenzkampf mit den anderen Lebewesen ständig kompensieren – und wie schaffte er das? Indem er energisch an der Veränderung der Natur, der äußeren wie seiner eigenen, arbeitete. Das war sein "göttlicher Auftrag", davon legten sämtliche alten Schöpfungsmythen beredtes Zeugnis ab.

Nirgendwo steht geschrieben, daß es eine unveränderte Menschennatur geben müsse und daß es dem Menschen untersagt sei, an sich selbst zu experimentieren. Wenn in der wissenschaftlich-technisch geprägten Neuzeit (Stichwörter: Nova Atlantis, Übermensch, kommunistisches Paradies) allzu hochgemute Experimente eingeleitet wurden, die dramatisch schiefgingen und Menschenopfer unerhört forderten, so war das zwar eine sehr bittere Erfahrung, aus der man lernen muß, aber sie gibt den heutigen Generationen noch lange nicht das Recht, das Experimentieren nun einfach einzustellen und sich selber als den unüberbietbaren Gipfelpunkt der Würdigkeit hinzustellen.

Nicht auf das "Daß" des Experimentierens beziehen sich die Negativ-Erfahrungen des letzten Jahrhunderts, sondern auf das "Wie". Es gilt zu lernen (sofern man es nicht schon weiß), daß Menschengemeinschaften niemals gegeneinander, sondern immer nur miteinander an (sozialen wie genetischen) Veränderungen arbeiten dürfen und daß jedes Experiment, jedes Ausprobieren und Bessermachenwollen in Freiheit und in gegenseitiger Verabredung zu erfolgen hat, wobei zu den zu Befragenden in erster Linie die künftigen Generationen gehören.

Da diese noch nicht real mitreden können, muß ihrer in besonders verantwortungsbewußter Stellvertretung gedacht werden. Nicht der mögliche Profit für die Gegenwärtigen gehört in den Mittelpunkt der Erörterungen über Biotechnik und Bioethik, sondern das Heil der Zukünftigen. Dies ins Stammbuch des von Rau so herb angegangenen Bundeskanzlers und seiner Ethikkommission.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen